18. Juli 2018

Lemurische Halbwelten, zwielichtig ausgestaltet

Die erste Biografie über den Alien-Schöpfer H. R. Giger leistet sich Schwächen

Lesezeit: 4 min.

Welch unverhoffte Gelegenheit: Der Schriftsteller, Essayist und Journalist Herbert M. Hurka stößt beim Besuch des Basler Stadttheaters zufällig auf den „Alien“-Schöpfer H. R. Giger und bekommt nach nur wenigen weiteren Begegnungen das Angebot, die Lebensgeschichte des weltbekannten Künstlers zu schreiben. Das Ziel ist es dabei, Biografisches nur dann zu verwenden, wenn es „aus erster Hand“ stammt, wobei die Werkgeschichte ausdrücklich mit einbezogen werden soll. Das Resultat ist nichts weniger als die erste Gesamtdarstellung von Gigers Leben, leidet aber unter erstaunlichen Nachlässigkeiten.

Herbert M. Hurka: HR Giger. Das BuchGrundsätzlich braucht man Giger im Science-Fiction-Kontext nicht mehr groß vorzustellen; ein Nachruf findet sich hier. Der Erfinder des „Alien“ wurde zwar Zeit seines Lebens von den Museen gerne ignoriert (was er mit Künstlern wie Ernst Fuchs, Friedensreich Hundertwasser und Paul Wunderlich gemeinsam hat), war aber mit seinen unverwechselbaren Arbeiten in der Populärkultur umso präsenter. Poster, Schallplattencover und die eigenen Bildbände sorgten wie die begeisterten Adaptionen in der Tattoo-Szene über Jahrzehnte dafür, dass Gigers Kunst ähnlich unverwechselbar wurde wie die des Surrealisten Salvador Dalí, was sie allerdings – wie bei letzterem – keineswegs vor ästhetischen Missgriffen schützte. Natürlich war es nicht zuletzt auch der anhaltende Erfolg der Alien-Filmreihe, die seinen Namen im kollektiven Gedächtnis verankerte.

Hurka hat sich in vielen Telefonaten Gigers Leben erzählen lassen. Ausführlich wird das Churer Elternhaus des Apothekers Hans-Richard Giger und seiner Frau Melly vorgestellt, als deren Kind der Hansruedi gerufene Hans Rudolf am 5. Februar 1940 zur Welt kommt. Dessen schwierige Schulzeit wird ebenso thematisiert wie seine frühe Neigung zu lemurischen Halbwelten, wie sie beispielsweise das Rätische Museum bereithält, wo sich ein „Sammelsurium nekrophiler Kuriosa“ befindet. Nach einigen Wirren gelangt Giger nach Zürich, wo er ab 1962 Innenarchitektur und Industriedesign an der dortigen Hochschule der Künste studiert – eine praxisorientierte Ausbildung, die ihm exzellente Dienste leisten wird. Doch die eigentliche Künstlerkarriere nach frühen Veröffentlichungen in Schüler- und Undergroundzeitschriften ist nicht aufzuhalten. Bereits um 1966/67 beginnt sein Hauptwerk; ab 1969 entstehen die Passagen, dann folgen die Airbrush-Gemälde, die über zwei Zwischenstationen – dem abgebrochenem Dune-Projekt sowie Gigers Buch „Necronomicon“ – zu Ridley Scotts Film Alien führen. Den Höhepunkt in Sachen Popularität markiert die Oscar-Vergabe 1980, bei der Giger für die besten visuellen Effekte in Alien ausgezeichnet wird. Es folgen eine Vielzahl weiterer Projekte, darunter Filmentwürfe, Bücher und plastische Arbeiten, die die entwickelte Bildwelt weiter ausgestalten. Schließlich gelingt es sogar, ein eigenes Museum in Gruyères aufzubauen, dessen Leiterin seine zweite Ehefrau Carmen Maria Giger wird. Am 14. Mai 2014 – kurz nach der Vollendung des sehenswerten Dokumentarfilms Dark Star – HR Gigers Welt von Belinda Sallin – stirbt der Künstler durch einen Treppensturz.

Doch Hurka erzählt nicht nur – durchaus flüssig, durchaus unterhaltsam – Gigers Leben nach, er beschäftigt sich auch mit dem Werk. Natürlich ist dessen Kunst zunächst ein Beitrag zu Phantastik und Surrealismus, aber eben nicht nur. Hurka verweist auf die Ähnlichkeit zur Pop Art, der Giger nicht nur im Hinblick auf die Beseitigung der Grenze zwischen Kunst und Ware nahestehen würde: „Wo Pop Art die assoziationsleeren Oberflächen als Symbole und Fetische des Alltags sichtbar macht, wendet sich Giger, indem er sich an den Symbolismus, Surrealismus und Phantastischen Realismus ankoppelt, dem Verborgenen, Verdrängten, Archaischen zu, die nur in Symbole übersetzt an der Oberfläche sichtbar werden können.“ Es ist dabei die Nähe zum Objekt und zum Design, die die Verbindung herstellt. Natürlich erweist sich auch die Tatsache als bedeutsam, dass nicht wenige Künstler der Pop Art aus dem Kunstgewerbe kamen: James Rosenquist etwa war zunächst Plakatmaler. Umso überraschender mutet aber dann doch an, wenn Hurka postuliert, „kein zweiter Künstler (respektive Designer)“ würde die „Schnittstelle zwischen E-Kunst und Massenkultur“ so besetzen wie eben H. R. Giger, was die Leistung Andy Warhols überraschend beiseiteschiebt.

H. R. Giger
H. R. Giger (1940–2014)

Auch sonst ist dem Buch leider nicht immer zu trauen, was mit zahlreichen Fehlern auf der Textoberfläche zusammenhängt. Der chilenische Regisseur Alejandro Jodorowsky heißt mal „Alexander“, mal „Alexandro“ (und wird mal mit „y“ und mal mit „i“ geschrieben), der Bildband „ARh+“ erscheint in mindestens drei verschiedenen Schreibweisen, und die Mappe „Erotomanics“ (richtig: „Erotomechanics“) enthält keineswegs acht, sondern nur sechs Drucke. Auch Kubricks Space-Odyssey 2001 heißt im Original durchaus anders. Gänzlich peinlich wird es, wenn der Text Gigers französischen Verlag Les Humanoïdes associés zu „Humanoid Association“ und dessen Mitbegründer Jean-Pierre Dionnet zu dem alleinigen Verlagsbesitzer „Jean Paul Dionet“ verballhornt; das legendäre Comicmagazin Métal hurlant heißt hier Metal Urland. Bei all diesen Dingen hätte ein Blick in die Wikipedia genügt, und man ahnt, wieso Hurka im Vorwort „Querelen um die Lektorierung“ einräumt. Doch es geht noch weiter: In dem Kapitel, das Gigers Muse Li Tobler gewidmet ist, wird ihr Nachname ebenso wenig genannt wie ihr Geburtsjahr (1948); ein paar Seiten später fehlt auch ihr Sterbedatum (19. Mai 1975). Ähnlich lässig handhabt Hurka Zitate, die nur in Ausnahmefällen vollständig belegt werden; ein Literaturverzeichnis und einen Namensindex hat er sich konsequenterweise erspart. Damit ist der – überraschenderweise kaum und allenfalls belanglos illustrierte – Band für die ernsthafte Forschung weniger brauchbar, als es möglich und eigentlich auch notwendig gewesen wäre.

Was bleibt also? Hurka kommt das Verdienst zu, Gigers Leben erstmals komplett dargestellt zu haben, wobei sein Vorteil im persönlichen Kontakt zum Künstler bestand – künftige Biographien werden sich primär auf Zeitzeugen und Archivalien verlassen müssen. Kurzweilig ist die Lektüre ebenfalls. Aber die Mängel im Detail lassen einen doch auf eine gründlich überarbeitete Neuauflage hoffen.
 

Herbert M. Hurka: HR Giger. Das Buch. Biografie. Kunst. Medien • Transkript Verlag • 332 Seiten • HC € 24,90 • PB € 19,90 • E-Book € 3,90

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