1. Oktober 2015 3 Likes

Metawesen wie aus tausendundeiner Nacht

Salman Rushdies Roman „Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte“

Lesezeit: 3 min.

Es stimmt schon: Mit „Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte“ hat Salman Rushdie keinen weiteren seiner ‚wichtigen, großen Romane’ geschrieben. Nichtsdestotrotz ist sein neuer Roman, in dem ein Erzähler aus der Zukunft auf die Tage der Seltsamkeiten in der Nähe zu unserer Ära zurückblickt und den Krieg der Dschinn schildert, ein großartiger, in mehr als einem Sinne fantastischer Roman, in den man so richtig schön und tief eintauchen kann, während Rushdie einem sein ungewöhnliches ‚Märchen’ erzählt …

Dass selbiges dermaßen tief und reich erscheint, liegt nicht allein am Personal, also dem Philosophen Ibn Rushd, der fruchtbaren Dschinn-Prinzessin Dunia und deren Nachfahren, darunter eine blitzeschleudernde, rachsüchtige Geliebte und der alte, sympathische Gärtner Mr. Geronimo, der buchstäblich über dem Boden der Tatsachen schwebt und passenderweise im Mietshaus The Bagdad lebt. Es liegt zu einem Großteil an Rushdies gewaltiger, mitreißender, lebendiger Fabulierfreude, von der jedes Satzgefüge dieses originellen Märchen-Metawesen-Gemischs durchdrungen ist. Rushdie, der große Denker und Kritiker und Philosoph, gibt in seinem Tribut an Scheherezade und die berühmten Geschichten aus tausendundeiner Nacht den klassischen Märchenerzähler, und das kann er bekanntlich richtig gut.

Unterwegs fabuliert sich der 1947 in Bombay geborene Schriftsteller, der 1989 aufgrund seines Buches „Die satanischen Verse“ via Fatwa zum Freiwild für islamistische Radikale erklärt wurde und heute hauptsächlich in New York lebt, durch die Abschnitte der Weltgeschichte und seiner fantasievollen Geschichte, die Westen und Osten, Märchen und Superhelden sowie Vergangenheit und Gegenwart scheinbar mühelos verbindet. Rushdie berichtet über die eigentümliche Liebe zwischen Rushd und Dunia im Spanien des 12. Jahrhunderts, aus der viele Nachkommen mit angewachsenen Ohrläppchen (ein sicheres Erkennungsmerkmal für ihre Kinder) und großes Potential für Seltsamkeiten hervorgehen. Und er berichtet über die Folgen eines mächtigen Sturms viele Jahrhunderte später, der die Welt und ihre Zukunft genauso verändert wie der Krieg zwischen den Menschen und den Dschinn, die mehr Möglichkeiten denn je haben, in die irdischen Gefilde zu gelangen, derweil in ihrem Märchenland wiederum ein Bürgerkrieg zwischen Hell und Dunkel tobt.

Seit Rushdies vorherigem Roman „Die bezaubernde Florentinerin“ sind sieben bzw. hierzulande sechs Jahre vergangen, in denen der heute 68-jährige sich unter anderem an seinen Memoiren versuchte. Dass es sich lohnt, auf Rushdie zu warten, und er einen noch immer überraschen und sowieso begeistern kann, beweist seine neue Fabel über Dschinn, die Liebe und alles dazwischen. Dass Rushdie mit dieser – und letztlich mit postmodernem Anspruch – am Ende erneut die Fackel der Fantastik in die Gefilde der so genannten Hochliteratur trägt, ist lediglich ein Bonus, den man aus der Position des Anhängers von Fantasy, Science-Fiction und Comic heraus freilich nicht übersehen kann und sehr wohlwollend zur Kenntnis nimmt (und gleichzeitig einen höchst andersartigen, vollmundigen fantastischen Roman über magische Geister, Metas und andere Dimensionen genießt).

Im Feuilleton wurde dieser Tage der überfällige Nobel-Preis für den facettenreichen Mr. Rushdie gefordert – dieser Forderung schließt man sich auch nach der nicht ganz so bedeutungsschweren, aber äußerst vergnüglichen und verzaubernden Lektüre von „Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte“ gerne an.

Salman Rushdie: Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte • C. Bertelsmann, München 2015 • 384 Seiten • € 19,99

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