18. Oktober 2015 3 Likes

Nach Hause telegrafieren

„The Bozz Chronicles“: Ein selbstmordgefährdeter Alien-Detektiv im viktorianischen London

Lesezeit: 2 min.

Zwischen Dezember 1985 und November 1986 erschienen beim Epic-Imprint des Marvel-Verlags, wo man erstaunlicherweise schon recht früh dem Creator-Owned-Gedanken folgte und den Kreativen die Rechte an ihren Comic-Schöpfungen ließ, sechs US-Hefte von „The Bozz Chronicles“, einer schrägen, erwachsenen, charmanten Mischung aus E. T., Sherlock Holmes und Doctor Who.

Der große gelbe Titelheld ist ein Alien, das auf der Erde im viktorianischen London bruchlandet, keine Möglichkeit zur Rückkehr nach Hause sieht und bei zu großer Langeweile auf der öden Menschenwelt jedes Mal an Selbstmord denkt. Deshalb schnappt ihn sich die gutherzige Dirne Mandy, tauft ihn in Anlehnung an die erste Silbe seines unaussprechlichen Namens Boswell bzw. Bozz und gründet eine Detektiv-Agentur für seltsame Fälle, was Bozz von seiner Melancholie und seinen Suizidgedanken ablenken soll. Genug Talent für die Ermittler-Arbeit hat Bozz trotz seiner Naivität bezüglich der menschlichen Verschlagenheit allemal, insofern er sich denn bequemt, die für ihn ungewohnte Kleidung anzuziehen: Er kann mit Tieren sprechen, fliegen und einiges mehr. Schließlich stößt noch der chili-kochende Cowboy und Faustkämpfer Salem zum Team, das bizarre Rätsel lösen muss, die sich zwischen Steampunk, Abenteuer und Horror bewegen und die Ermittler in London, auf dem Land und sogar in Afrika mit Dämonen, Zeitreise-Kanonen, Alchemisten, einem Untergrund-Utopia, dem Teufel und Königin Solomons Raumschiff konfrontieren …

David Michelinie, langjähriger Autor von „Iron Man“ und „The Amazing Spider-Man“, der Tony Stark gegen den Alkoholismus kämpfen ließ und Peter Parkers Intimfeind Venom mitentwickelte, wurde ursprünglich vom Kinoerfolg „E.T. – Der Außerirdische“ zu „The Bozz Chronicles“ inspiriert und lag goldrichtig, was Setting, Humor und Dialekte angeht. Als famoser Stamm-Zeichner fungierte „New Mutants“- und „Batman“-Künstler Bret Blevins, wobei als Gast-Zeichner für ein Kapitel John Ridgway einsprang (der einst als Erster Judge Dredd ohne Helm zeichnen durfte) und Comic-Legende Al Williamson seinem jungen Studiokollegen Blevins zudem als Tuscher zur Hand ging.

Seit September liegt erstmals ein alles in allem recht ordentlich reproduzierter Sammelband von „The Bozz Chronicles“ auf Englisch vor, der neben allen Comics ein Vorwort von Brandon Graham („King City“, „Prophet“), begleitende Texte von Michelinie, Blevins und Ridgway sowie eine Galerie mit Skizzen, Zusatz-Artwork und Covern enthält.

Schade, dass Mr. Michelinie die Serie nie fortsetzte – die Fälle des Aliens, der Ex-Prostituierten und des Cowboys im viktorianischen Zeitalter machen nämlich noch immer eine Menge Spaß. Michelinie hat das damals allerdings clever angestellt und den ersten und letztlich einzigen Sechsteiler mit einem Ende ausgestattet, das man als Finale durchaus akzeptieren kann.

David Michelinie, Bret Blevins, John Ridgway: The Bozz Chronicles • Dover Publications, Mineola 2015 • 128 Seiten • $ 19,95 • Sprache: Englisch

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