19. August 2016 1 Likes

Drohnenjagd

In Ursula Poznanskis „Elanus“ wird ein junger Voyeur zum Gejagten

Lesezeit: 4 min.

Grenzen auszuloten gehört zum Heranwachsen genauso dazu wie Schulstress, Partys, erste Liebe und die Aufregung über allzu korrekte Erwachsene, die sich als Spaßbremsen betätigen. In wie weit die Technik neue Formen der Grenzüberschreitungen ermöglicht und Gefahren mit sich bringt, zeigt Ursula Poznanski in ihrem neuen Techno-Thriller „Elanus“.

Ging es in „Erebos“ noch um die Anziehungskraft und Wirkung eines diabolischen Computerspiels auf dessen Spieler, befasste sich die Österreicherin in „Layers“ mit einer Datenbrille, die Google Glass wie ein harmloses Spielzeug erscheinen lässt. Gegenüber den „Visionern“ genannten Brillen aus „Layers“ hat „Elanus“ jedoch einen Vorteil: dieses Mal geht es nicht um eine technische Erfindung, die erst noch Realität werden muss, sondern um ein Gadget, das schon morgen die Wege der Leser kreuzen könnte.

Im Mittelpunkt des neuen All Age-Romans steht der siebzehnjährige Jona Wolfram. Das Wunderkind erhält ein Vollstipendium für die Victor-Franz-Hess-Privatuniversität, wo er Technomathematik studieren und seine IT-Kenntnisse vertiefen möchte. Als Genie hat der Jugendliche jedoch so seine Probleme mit dem sozialen Miteinander. Gleich an seinem ersten Unitag setzt sich Jona mit seiner hochtrabenden Arroganz in die Nesseln. In der (eigentlich für höhere Semester vorgesehenen) Vorlesung des Dozenten Lichtenberger stiehlt er diesem die Show und macht sich bei seinen viel älteren Kommilitonen unbeliebt. Auch die schöne Laura möchte nichts von ihm wissen und gibt ihm einen Korb. Aus Rache folgt er ihr mit seiner selbstgebauten und -programmierten Drohne ‚Elanus‘. Das handtellergroße Flugobjekt kann via Spyware ein Handysignal (und somit auch Menschen) orten, macht gestochen scharfe Fotos und gute Tonaufnahmen, wobei es relativ leise ist und dadurch fast unbemerkt in der Luft schwebt. Tatsächlich kann Jona auf diese Weise Laura bei einem Techtelmechtel mit einem Unbekannten beobachten. Um seine Rachegelüste zu steigern, verfasst Jona drei Briefe, von denen einer an Laura geht. In ihnen droht er anonym damit, ein Geheimnis auszuplaudern. Kurz darauf erhängt sich Lichtenberger in einem Hörsaal. Ist Jona Schuld daran?

Was zunächst nach einer klischeehaften Teenie-Rachestory um einen technisch versierten, hochintelligenten Stalker und Voyeur klingt, entwickelt sich über 416 Seiten hinweg zu einem knackigen Pageturner.  Denn Jona hat mit seinem nicht wirklich harmlosen Streich schlafende Hunde geweckt, die nicht davor zurück schrecken, neugierige Studenten ins Koma zu versetzen. An der Uni liegt einiges im Argen und der Junge weiß schon bald nicht mehr, wem er trauen kann. Selbst seine Gasteltern scheinen in das Geschehen involviert zu sein und durchsuchen heimlich sein Zimmer auf der Suche nach ‚Elanus‘.

‚Elanus‘, Jonas ganzer Stolz, ist nach einer Habichtart benannt. Raubvögel, die wie der in West- und Südeuropa beheimatete Gleitaar, Jagd auf Nagetiere, Echsen und Federvieh machen, sind eine gute Metapher für die Einsatzmöglichkeiten von Drohnen. Genauso wie ‚Elanus‘ können die gefiederten Jäger ihre Umgebung aus erhöhter Position fast geräuschlos beobachten. Tödlich sind allerdings nur die großen Drohnenbrüder des Militärs, oder die Drohne eines Bastlers, die vor einiger Zeit in einem Onlinevideo eine Waffe abfeuerte. Auch ohne diese Nutzungsmöglichkeiten bleibt beim Lesen ein mulmiges Gefühl. Immerhin sind andere, weniger leistungsfähige Drohnen im Stil von ‚Elanus‘ längst für den „Heimgebrauch“ zu erschwinglichen Preisen auf den Markt – und sorgen immer wieder für negative Schlagzeilen.

Doch zurück zum Roman! Jona ist sich nicht nur seiner sozialen Defizite bewusst, sondern auch der Tatsache, dass jeder Drohnenflug und jeder Einsatz seiner Spyware illegal ist. Nur langsam weiht er den Nachbarjungen Pascal und seine Kommilitonin Marlene in seine Beobachtungen und die Fähigkeiten seines Fluggeräts ein. Schnell wird klar, dass der Neustudent nicht nur durch ‚Elanus‘ in Gefahr geraten ist, sondern dass auch nur durch seine Erfindung das Rätsel um den Tod Lichtenbergers und die Geheimnisse der Uni gelöst werden können. So wird aus dem gruseligen Beobachtungswerkzeug schnell ein Instrument zur Selbstverteidigung. Denn nur weitere Flüge, Fotos, Videos und Tonmitschnitte können Jona einen Vorsprung gegenüber denjenigen verschaffen, die auch ihm nach dem Leben trachten.

„Elanus“ ist ein spannender, flott erzählter All Age-Roman über die Einsatzmöglichkeiten von Drohnen und die damit verbundenen gefährlichen Eingriffe in die Privatsphäre. In ihrem bis dato besten Techno-Thriller regt Ursula Poznanski ihre (vor allem jungen) Leser zur Wachsamkeit an und zum maßvollen Einsatz von technische Errungenschaften. Jona, ihr Held wider Willen, wandelt sich im Verlauf der Geschichte von einem unausstehlichen, unsympathischen Wunderkind im Stil eines Sheldon Cooper zu einem jungen Mann, mit dem mitgefiebert werden kann. Die Leser erwartet ein uneingeschränkt empfehlenswerter Roman. Und, wer weiß, vielleicht wird ihr nächster auch schon per Drohne zugestellt. Die ersten erfolgreichen Testflüge hat DHL bereits vermeldet.

Ab September ist Ursula Poznanski mit „Elanus“ auf Lesereise.

Abb. @ Loewe-Verlag

Ursula Poznanski: Elanus • Loewe, Bindlach, 2016 •  416 Seiten • 14,95 € • Empfohlen ab 14 Jahren • Erhältlich ab dem 22.08.2016 als Paperback, eBook und Hörbuch

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