21. September 2017 2 Likes

Hier fliegt der Bär

Jeff VanderMeers postapokalyptischer Biopunk-Roman „Borne“

Lesezeit: 3 min.

Seine gigantische „Southern Reach“-Trilogie machte den Amerikaner Jeff VanderMeer, der das Feld der Weird Fiction formal immer wieder pusht und der auch als Herausgeber seinen Beitrag leistet, zum international erfolgreichen Bestsellerautor. Anfang 2018 kommt die vielversprechende Hollywood-Verfilmung des ersten „Southern Reach“-Romans „Auslöschung“ in die Kinos, was VanderMeers Bekanntheitsgrad sicher nicht schaden wird. Beim Verlag Antje Kunstmann ist schon jetzt VanderMeers neuester Roman „Borne“ in der Übersetzung von Michael Kellner erschienen. Das Cover der hübsch gestalteten deutschen Hardcover-Ausgabe ziert sogar ein Motiv des kroatischen Comic-Künstlers Danijel „Starve“ Žeželj, auf das alle anderen ruhig neidisch sein können.

„Borne“ setzt in einer postapokalyptischen Welt ein. Rachel durchstreift als Sammlerin von allem Verwertbarem die gefährlichen Ruinen einer zerfallenen Stadt, die von den mutierten Hinterlassenschaften einer Biotech-Firma geprägt und gequält wird – allem voran von Mord, einem mehrere Stockwerke hohen Untier von einem Bären, der fliegen kann. (Das ruhig mal sacken lassen.) Eines Tages findet Rachel im Pelz der schlafenden Bestie ein anemonenartiges Wesen, von dem sie nicht weiß, ob es eine Pflanze, ein Tier, eine Maschine oder gar eine Waffe sein soll. Dennoch tauft sie ihren Fund Borne und nimmt ihn mit in das Versteck, in dem sie und ihr Locker Wick leben, der aus Biotech-Resten Erinnerungskäfer herstellt, die den lokalen Drogenmarkt darstellen. Borne entpuppt sich als schnell wachsender und lernender Gestaltwandler mit einem gesunden, vielleicht sogar gefährlichen Appetit und einer eigensinnigen Logik. Rachel hegt mütterliche Gefühle für Borne, dessen Persönlichkeit so rätselhaft wirkt wie seine Natur, und schwankt zwischen Staunen und Sorgen. Bis ihre fragile Welt, in der Borne eine erhebliche Belastungsprobe für die Beziehung von Rachel und Wick bedeutet, endgültig kollabiert …

Mit seinem ungewöhnlichen Biopunk-Roman, der von Richard Adams’ „Shardik“ und von Angela Carters „Nächte im Zirkus“ inspiriert wurde, tummelt sich Jeff VanderMeer im Umfeld von J. G. Ballard, Samuel R. Delany und William Gibson (im Shop). Sein aberwitzig ideenreicher Ansatz für das postapokalyptische Subgenre erscheint beim Lesen schnell als ebenso herausfordernd wie erfrischend, während die Sprache seiner Ich-Erzählerin eine klare, wenngleich etwas adjektivreiche Schönheit besitzt. Im allegorischen Subtext der Geschichte über das komplizierte Vertrauensverhältnis von Rachel, Wick und Borne geht es um die großen Fragen nach Identität und sogar dem Menschsein an sich; um das Wachstum und die transformierenden Veränderungen, die unweigerlich dazugehören. Die Spannungskurve von „Borne“ vermag indes nicht durchgehend überzeugen – die abgefahrenen Ideen, die aus Weird Fiction fast Bizarro Fiction machen oder gleich alle Schubladen und Grenzen sprengen, dafür umso mehr. „Borne“ erweitert das postapokalyptische, ja das gesamte fantastische Sujet auf kreative Weise und muss in der Hinsicht als mind-blowing bezeichnet werden. Das Buch profitiert also zwar spürbar von der Narrenfreiheit, mit der es dank des Erfolgs der „Southern Reach“-Trilogie geschrieben wurde, kommt jedoch nicht an „Auslöschung“ und seine Fortsetzungen heran, was Konsistenz und Dramaturgie angeht. Die Filmrechte von „Borne“ sind nichtsdestotrotz bereits verkauft.

Der 1968 geborene VanderMeer trainiert seit einiger Zeit regelmäßig im Fitness-Studio und teilt seine positiven Erfahrungen mit dem Workout gelegentlich auf Facebook – das Autorenfoto auf der hinteren Klappe des Schutzumschlages von „Borne“ wird ihm daher schon nicht mehr ganz gerecht. Umso mehr scheint es zu passen, dass „Borne“ letztlich vor allem eines ist: Muskeltraining für die eigene Vorstellungskraft und die postapokalyptische Literatur.

Jeff VanderMeer: Borne • Kunstmann, München 2017 • 364 Seiten • Hardcover: € 22,00

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