14. März 2014

Revision der ganz Großen

Hugo- und Nebula-Gewinnerin Jo Walton über die Rückkehr zu ihren Lieblingsbüchern

Lesezeit: 3 min.

Jo Waltons Roman „Among Others“ von 2011, der vor genau einem Jahr als „In einer anderen Welt“ auf Deutsch erschienen ist und für den sie sich bei der Verleihung von Hugo und Nebula gegen Kollegen wie George R. R. Martin und Stephen King durchsetzte, erzählt eine bezaubernde Coming-of-Age-Geschichte. Doch es geht nicht allein um das Erwachsenwerden in einer Welt, in der es vielleicht Magie, mit Sicherheit aber Schmerz und zum Glück auch viele gute Bücher gibt. Darüber hinaus ist Waltons semiautobiografischer Roman eine Hommage an das Lesen und die Giganten der fantastischen Genres, die Walton während ihrer Jugend in Wales in den 70er Jahren dank der örtlichen Bibliothek kennenlernte. Und so würdigt sie auf einer wunderbaren weiteren Ebene dieses herausragenden Buches letztlich durchgehend die ganz Großen von Fantasy und Science-Fiction, die Altmeister und die Titanen: Ursula K. Le Guin. Roger Zelazny. J. R. R. Tolkien. Anne McCaffrey. Samuel R. Delany. Robert A. Heinlein. Frank Herbert. Poul Anderson. C. S. Lewis. John Brunner. Larry Niven. Robert Silverberg. Arthur C. Clarke. Philip K. Dick. James Tiptree Jr. Kurt Vonnegut. Isaac Asimov. Michael Coney. Clifford Simak. Douglas Adams.

„In einer anderen Welt“ begann dabei als Blog-Eintrag der heute in Kanada lebenden Walton, in dem es um die Landschaft im Wales ihrer Kindheit ging. Auch ihr neuestes auf Englisch erschienenes Buch „What Makes this Book so Great“ nahm seinen Anfang in den interaktiven Weiten des Internets: 2008 startete nämlich das Web-Portal des fantastik-affinen US-Verlags Tor, und Walton wurde gefragt, ob sie regelmäßig Beiträge beisteuern wolle. Nicht irgendwelche Beiträge, wohlgemerkt. Schon vor der Veröffentlichung von „In einer anderen Welt“ war allgemein bekannt, dass Frau Walton eine geradezu manische Leserin ist. Sie schafft unabhängig vom Stress-Faktor in ihrem Leben mehrere Bücher pro Woche, und wenn sie krank ist und den ganzen Tag im Bett liegen muss, verschlingt sie nach eigener Aussage auch mal vier bis sechs Bücher an einem Tag. Dieses Pensum ermöglicht es ihr, Bücher Jahre nach der ersten Lektüre oft ein zweites Mal zu lesen. Und genau darum ging es in ihren Beiträgen, die nun unter dem Titel „What Makes this Book so Great“ als schönes, großes Hardcover gesammelt wurden.

In über 125 stets zutiefst sympathischen und sehr persönlichen Essays erzählt die begeisterte Leserin Walton, die sich im Übrigen nicht als Kritikerin sieht, vom Wiedersehen mit den Werken von Poul Anderson, Iain M. Banks, John Brunner, C. J. Cherryh, Samuel R. Delany, George R. R. Martin, Kim Stanley Robinson, Salman Rushdie, Robert Heinlein, James Tiptree Jr., Roger Zelazny, J. R. R. Tolkien, Lord Dunsany, Lois McMaster Bujold, Steven Brust und vielen anderen, die mit ihren Romanen erneut auf Waltons Lesestapel landeten (man beachte die Kongruenzen zur aufgeführten Garde in „In einer anderen Welt“!). Zu den Kapiteln mit den tatsächlichen Leseeindrücken kommen noch diverse kleine Abschweifungen, zur Science-Fiction, zur Fantasy, zum Schreiben oder entlang der Schnittstelle von Lesern und Autoren (etwa darüber, wie man sich verhalten sollte, wenn man einem Schriftsteller begegnet, von dem man noch nie ein Buch gelesen hat).

Was dieses ungewöhnliche Buch einer Buchliebhaberin für andere ihrer Art also so großartig macht, abgesehen davon, dass Walton auch offen sagt, was ihr beim abermaligen Lesen der großen Werke nicht mehr oder nach wie vor nicht gefällt? Cory Doctorow bringt es ganz gut auf den Punkt, wenn er bilanziert, dass Waltons einsichtsreiche Wiedertreffen mit ihren Lieblingsbüchern einem dabei helfen, die eigenen Favoriten noch etwas mehr zu mögen.

Und natürlich ist Waltons subjektiver Streifzug in die literarische Vergangenheit auch eine Horizonterweiterung innerhalb der Fantastik – und zugleich eine echte Gefahr für die schon jetzt viel zu hohen, extrem einsturzgefährdeten Türme ungelesener Bücher im eigenen Heim. Denn man findet sicher noch ein Buch, das einem bisher nicht viel sagt und für das Jo Walton mit ihren genauso angeregten wie anregenden Nachprüfungen echtes Interesse entfacht…

Jo Walton: What Makes This Book So Great • Tor, New York 2014 • 447 Seiten

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