8. März 2015 4 Likes

Von allen Sinnen akzeptiert

Der finale Roman von Jeff VanderMeers „Southern Reach“-Trilogie

Lesezeit: 4 min.

Vor einer Weile hättest du noch nicht einmal davon zu träumen gewagt, dass die „Southern Reach“-Trilogie des amerikanischen Autors Jeff VanderMeer in deutscher Sprache erscheinen könnte, und jetzt hast du binnen acht Monaten alle drei Bände gelesen – auf Deutsch.

Jedes Buch hat dich fasziniert, während VanderMeer sich in drei sehr unterschiedlichen Romanen der Faszination von Area X gewidmet hat, einem urgewaltigen, lebendigen, mysteriösen, alienhaften, gefährlichen Habitat wild wuchernder Natur, das gleichzeitig so viel mehr ist als lediglich eine Landschaft, ein unberührtes Gebiet. Area X verändert die Menschen, die sich hineinwagen und es wieder hinausschaffen …

Im abschließenden dritten Teil „Akzeptanz“, der gerade wegen seiner Mischung aus Unterschieden und Gemeinsamkeiten mit den Vorgängerbänden stilistisch und inhaltlich den Kreis schließt und somit verdeutlicht, dass alle drei Romane zusammen eine sorgfältig durchdachte und konstruierte Einheit sind, begegnest du als Leser erneut Ghostbird und Control, aber auch der Direktorin und dem Leuchtturmwärter, und selbstverständlich der ungezähmten Natur und dem, was hinter ihr steht. Sogar die Biologin aus dem ersten Band liefert wieder ein Textfragment (und das entschädigt allemal dafür, dass es kurz zuvor mal einige Längen gibt, und für sich genommen „Akzeptanz“ der ‚schwächste’ Teil der Trilogie ist). Überhaupt, Fragment, fragmentiert, damit lässt sich die Struktur des dritten Bandes am ehesten beschreiben. Die Fragmente sind die fehlenden Puzzleteile, die bisher an den unmöglichsten Stellen des Gesamtbilds fehlten. Mehrere Zeitebenen, mehrere Protagonisten, ein großes Mysterium, verknüpft durch drei Einheiten einer großen Geschichte, die sich Band für Band wie ein Puzzle zusammengesetzt hat, das nicht immer der Chronologie folgen musste, um zu funktionieren und das Bild zu vervollständigen – nur der eigenen Logik der Informationspolitik. Nach der Lektüre des finalen Bandes, der wieder alle Sinne anspricht, fällt dir daher voller Bewunderung auf, dass das, was du nach jedem Einzelroman empfunden hast, erst recht für die gesamte Serie gilt, für „Auslöschung“ und für „Autorität“ und für „Akzeptanz“ – für die gesamte Geschichte, die so viel mehr ist als die Aneinanderreihung ihrer drei Etappen als E-Book oder als Broschur mit Schutzumschlag.

„Southern Reach“ war kein Experiment, denn VanderMeer wusste beim Schreiben dieser drei Bücher offenkundig zu jeder Zeit ganz genau, was er da tat, selbst wenn du im dritten Teil hier und da das Gefühl hast, dass ihr euch gemeinsam in seinen Gedanken verlauft. Seine Trilogie ist zeitlos und vereint das Beste aus der Lovecraft’schen Symbiose des übermenschlichem Horror und der Fremdartigkeit der Science Fiction, die dir schon oft begegnet ist und sicher noch einige Male begegnen dürfte, aber vermutlich nie wieder in so intensiver Form. Dir ist bewusst, hier etwas Besonderes gelesen zu haben, etwas Nichtalltägliches, etwas Nichtglattgebürstetes, etwas Nichtkonformes – immer anders, immer gut, immer vibrierend, immer unangepasst, immer faszinierend. Die Menschen in VanderMeers Geschichte sind komplex und widersprüchlich, die Ideen und Philosophien anspruchsvoll, die Beschreibung und Wirkung der Natur eindringlich, und selbst jetzt weißt du genau, dass selbst ein Wort wie eindringlich dem Ganzen nicht gerecht wird.

Am liebsten würdest du diese frei außergewöhnlichen, an den richtigen Stellen sperrigen und zu erklimmenden und zu bezwingenden Romane jedem empfehlen, ob er dich gerade nach einem extraordinären Buchtipp gefragt hat, oder nicht. Allerdings bist du dir darüber im Klaren, dass das keineswegs Science-Fiction oder Literatur für jeden Leser ist. Gleichzeitig weißt du jedoch auch nicht, wer sich am Ende nicht in das Mysterium Area X hineinziehen lassen, ja wer der hypnotischen Spannung und der Qualität dieses Rätsels und seiner kubistischen Betrachtung in drei Romanen wirklich widerstehen wollen sollte. Wer keine so gut geschriebenen, durchdachten Bücher mögen sollte, die von den dem Genre entwachsenen Altmeistern genauso inspiriert wurden wie von Wanderungen durch echte unberührte Natur, und sogar Tove Jansons Naturbeschreibungen in den Mumin-Geschichten.

Du kannst über deine subjektive Euphorie, die dich fast einen Jahreszeiten-Durchlauf im Griff hatte, weit genug hinausblicken, um zu wissen, dass Jeff VanderMeer vermutlich auch nach dieser Trilogie im Kunstmann Verlag keinen Bestseller-Status auf dem deutschen Buchmarkt genießen und ferner einen schweren Stand haben dürfte. Dass es keine Garantie für die Veröffentlichung weiterer Werke dieser wichtigen Stimme der amerikanischen Gegenwarts-Fantastik gibt, die er als Autor und als Herausgeber seit Jahren bereichert.

Doch du bist froh, dankbar und glücklich, dass ein nicht gerade für Genre-Literatur dieses Kalibers bekannter Verlag hierzulande das Risiko einging und die „Southern Reach“-Trilogie in deutscher Sprache erfreulich zügig veröffentlichte (im Original erschien dieser letzte Band erst im September 2014) – und zumindest in diesem Portal, gewissermaßen unter Gleichgesinnten, scheust du dich nicht, verlegerischen Mut zu belohnen und die drei Romane um Area X jedem, der diesen Text hier liest, ans Herz zu legen, egal ob er oder sie als Leser nun eher dem Genuss der Science Fiction, des Horrors oder schlicht besonderer, ungewöhnlicher, unvergesslicher Bücher zugeneigt ist.

Jeff VanderMeer: Akzeptanz (Southern Reach Trilogie Bd. 3) • Verlag Antje Kunstmann, München 2015  • 336 Seiten • € 18,95

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