25. Januar 2017 2 Likes 1

Eine neue Dimension des Horrors

„Resident Evil 7: Biohazard“ im Test

Lesezeit: 8 min.

Getestet für Playstation 4 und Playstation VR – Ich bin hartgesottener Horrorveteran, seit vielen Jahren. So zählten zu meinen frühen Gaming-Erfahrungen bereits das originale „Resident Evil“ auf dem PC (bei dem Dank Tastatur sogar die Steuerung zum Gruseln anregte) und „Silent Hill“ auf der PS One. Beide Reihen begleiten mich nun seit Jahrzehnten und lassen selbst beim Gedanken an bestimmte Passagen mein Herz schneller und höher schlagen. Aber nichts konnte mich auf die Virtual Reality-Erfahrung vorbereiten, die „Resident Evil 7: Biohazard“ darstellt.

Die von Capcom seit 1996 bestehende Spielereihe gewann nicht nur Dank der Filme von Paul W. S. Anderson in den letzten zehn Jahren immer mehr an Popularität. Der letzte vom Schöpfer Shinji Mikami ersonnene vierte Teil brachte „Resident Evil“ auf einen neuen Kurs. Fort waren die festen Kameraperspektiven und hinzu kam massentauglichere Third-Person-Perspektive, knapp hinter die Schulter des Protagonisten geklemmt. Mit den steigenden Verkaufszahlen verlor sich die Horrorreihe jedoch immer mehr im Actiongetümmel, während von „28 Days Later“ und „World War Z“ beeinflusste Zombiemassen über den Schirm rannten, eine Explosion der anderen folgte und die beklemmenden Korridore und nervenaufreibenden 1-gegen-1 Duelle gegen die Untoten im Äther der Erinnerung versanken. Nach dem finanziell mit über 6 Millionen verkauften Exemplaren äußerst erfolgreichen, aber von Fans und Kritikern großenteils getadeltem „Resident Evil 6“ war für mich, wie den meisten Liebhabern weltweit eines klar: „Resident Evil“ war nicht mehr das, was unsere Liebe entfachte. „Resident Evil 6“ ist bis heute Capcoms erfolgreichster Titel. Wer könne da den Japanern dann verübeln, dem actionorientierten Kurs weiter zu folgen? Auf der Spielemesse E3 2016 ließ Capcom jedoch die Bombe platzen und enthüllte „Resident Evil 7“ offiziell, samt äußerst stimmigem First-Person-Footage, das stark an das gecancelte „P.T.“ von Hideo Kojima und Regisseur Guillermo del Toro erinnerte. Ein altes Herrenhaus in den Sümpfen der USA, eine verschrobene Redneck-Familie, die es auf den Protagonisten abgesehen hat, schummrige Korridore, knifflige Rätsel, kaum Munition, und zu allem Übel könnte jede Konfrontation deine letzte sein. „Resident Evil“ ist zurück! Und es hat eine Menge neuer Tricks auf Lager.

Das Spiel beginnt ähnlich wie seinerzeit das legendäre „Silent Hill 2“. Held Ethan Winters erhält einen Brief von seiner seit drei Jahren verschollenen Frau Mia und macht sich auf den Weg sie in den Bayous Amerikas zu suchen. Die Familie Baker ist so stereotypisch, wie sie auch angsteinflößend ist. Da gibt es den scheinbar unsterblichen Vater Jack, der gerade zu Beginn des Spiels die Hallen des Duley-Anwesens durchforstet und zu jedem ungelegenen Zeitpunkt durch die nächste Tür kommen kann. Dann wären da noch die Insekten beherrschende Mutter Marguerite, der verschrobene Sohn Lucas und das namenlose Großmütterchen, das still und stumm in ihrem Rollstuhl sitzt und immer an den bizarrsten Orten aufzufinden ist. Dann wäre da noch Tochter Zoe, mit der ich als Spieler nur über diverse Telefone in Kontakt stehe, die im Haus verteilt sind. Zoe scheint genug von ihrer „Familie“ zu haben und will mir helfen zu flüchten und gibt stets hilfreiche Tipps und Wegweiser. Nach kurzer Zeit begibt man sich schon auf die Suche nach einem Serum, das Mia und die Familie Baker von ihrer mysteriösen Infizierung heilen soll.

Wenn das Anwesen mit seinen verschiedenen Häusern und Abteilungen erstmal zur Erkundung offen steht beginnt der eigentliche Spaß. Und jedem Skeptiker eröffnet sich das klassische Feeling eines „Resident Evil“-Spiels. Unzählige verschlossene Türen mit dran genagelten Tieren und Statuen-Puzzle müssen enträtselt und geöffnet werden. Jeder Tierschlüssel und jede Statue und eventuelles Rätselteil sind in den Untiefen des Anwesens versteckt. Ein gutes, geschultes Gedächtnis wird dem Spieler abverlangt, wenn man dann ein neues Teilchen entdeckt hat, um es wieder an seinen rechtmäßigen Ort zurückzuführen. Oder ich gucke einfach auf die Karte des Hauses, die ich zuvor aber erst ausfindig machen und an mich nehmen muss.

Noch anders als das im Vergleich dazu sterile Spencer-Anwesen aus dem originalen „Resident Evil“ wirkt das Dulvey-Anwesen so, als ob es wirklich bewohnt wurde. Die engen Korridore sind voll mit kleinen Details wie Bilderrahmen, Footballhelmen, Werkzeugen, Büchern und allerlei unerkenntlichen Widerlichkeiten, die neben der schaurigen musikalischen Untermalung und den atemberaubenden Licht- und Schatteneffekten die dicke Atmosphäre des Spiels setzen. In jeder noch so abgelegenen Ecke finden sich versteckte Items, jede Schublade oder Schranktür ist einen Blick wert. Denn Items sind überlebensnotwendig. Gerade die dunklen Kellergewölbe und abgelegenen Räume sind bewohnt von den sogenannten „Molded“ (deutsch: „Geformte“), schwarze teerartige Zombieungetüme mit großen Reißzähnen. Und jede Begegnung mit so einem Unwesen kann tödlich enden, denn Munition und Heilitems sind spärlich verteilt. Ich kann zwar auch mit dem Messer bewaffnet vorpreschen und in den Nahkampf gehen, wobei das meist schlecht für mich enden wird, denn jeder Standardgegner hält vier bis fünf Kopfschüsse aus der Pistole stand und unzählige Messerschwünge. Ein Novum ist jedoch die Fähigkeit per Knopfdruck einen Angriff mit den Armen (oder der später ausgerüsteten Schrotflinte) zu blocken, was den Schaden gering mindert. Ebenfalls klassisch „Resident Evil“ lassen sich aus diversen Einzelteilen neue Items kombinieren. So finde ich Kräuter, die ich entweder zur Heilung direkt nehmen kann oder ich verbinde diese mit einer chemischen Flüssigkeit zu einem Heiltrank. Oder soll ich den einen chemischen Flüssigkeitsbeutel, den ich noch habe, doch mit Schießpulver mischen, um neue Patronen herzustellen? Vor diese knifflige Frage stellt mich die Horrorsimulation immer wieder aufs Neue. Jede dieser Entscheidungen muss weise abgewogen werden, denn ich weiß nie, was mich an der nächsten Ecke erwartet.

Neben Pistole, Messer und Schrotflinte lassen sich noch eine Vielzahl an Utensilien zum Kampf gegen die Baker-Familie finden, von denen die meisten sogar optional sind, aber meist selbst zu späten Zeitpunkten im Spiel immer noch auffindbar sind. Jede einzelne Waffe fühlt sich eigen an und hat Stärken und Schwächen. Neben den diversen Schießeisen haben diese auch noch die Möglichkeit zur Nutzung unterschiedlicher Munitionsarten, die seltener und schwerer herzustellen sind, wie besonders starke Kugeln oder Brand- und Neuro-Munition für den Granatwerfer.

Und wenn ich schon mal beim Granatwerfer bin: Diesen und ähnliches sollte man sich dann doch gut überlegt für die zahlreichen fantastischen Bosskämpfe aufbewahren. In typischer „Resident Evil“-Manier sind die meisten Bossfights ausufernde, spannend inszenierte Intermezzos in denen alles Können gefragt ist. Gelb leuchtende Schwachstellen oder große Augen sind zu treffen, bis die Ungetüme weiter mutieren oder der brennende Stall um mich herum zusammenbricht. „Resident Evil 7: Biohazard“ zeigt der Gaming-Gemeinde und Entwicklern gleichermaßen wieder, wie gute, simple Bossfights auszusehen haben. Und gerade wenn ich mit der VR-Brille einen Kettensägen schwingenden Irren vor mir habe, der mir auf schmerzhaft anmutende Weise die Arme absägt, läuft es mir kalt den Rücken runter und ich habe einen Puls von 180. Die VR-Spiele der Zukunft müssen sich beim Thema Immersion nun mit „Resident Evil 7“ messen, denn was dort an Atmosphäre abgefeuert wird ist unbeschreiblich und lässt sich nur selbst erleben. Das Spiel lässt sich freilich unbeschwert über den Fernseher und dem Controller spielen, wer aber das einzigartige Erlebnis durchmachen will, was ein schweißgebadeter Überlebenskampf in VR ist, der sollte sich zumindest überlegen, Sonys vergleichsweise günstige Heimerfahrung einer PSVR zu holen.

Ich war skeptisch, was ein First-Person VR „Resident Evil“ betraf, so hat es mich innerhalb weniger Minuten aber bereits sofort überzeugt. Horror und Virtual Reality sind wie ein Paar Handschuhe, die nicht mehr getrennt werden wollen. Mal abgesehen von der unglaublich atmosphärischen Erfahrung, die mich mitten in einen steuerbaren Überlebensalbtraum wirft, ist die Bedienung über die VR-Brille etwas komfortabler. Die Möglichkeit mich um Ecken zu lehnen oder das weitaus angenehmere Zielen und Anvisieren mit den Waffen sind ein großer Vorteil, den so nur VR bieten kann. Wenn es nach mir ginge, würde ich „Resident Evil 7“ wohl nie wieder anders spielen wollen. Aus meiner eigenen Erfahrung, die gänzlich neu war, hatte ich aber auch keine Schwindelprobleme mit der VR-Brille von denen immer wieder berichtet wird. Ein einziges wirkliches Manko ist noch die vergleichsweise runtergefahrene Pixelzahl über die Linsen der PSVR, die einfach nicht an einen Full-HD oder gar 4K Fernseher ankommen. Ebenfalls die verschwommenen Ränder im Sichtbereit um das Zentrum herum sind gerade zu Anfang störend, mit dem aktuelle VR-Brillen generell noch zu kämpfen haben. Wenn dann aber die ersten Schweißperlen auf der Stirn stehen und man einen keuchenden Schrei ausstößt, denkt niemand mehr an verschwommene Ränder im Sichtfeld.

Als letzten großen Pluspunkt, der gerade im VR äußerst zur Geltung kommt ist das fantastische Leveldesign. Wie bereits angesprochen wirkt alles homogen und lebendig, aber auch die in der Theorie wenigen Abschnitte der Häuser und des Gartens wirken durch die verwinkelten Gänge und überall verteilten Mysterien gigantisch. Es ist ein unbeschreibliches Glücksgefühl mit dem Moment verbunden, wenn man nach Stunden im abgelegenen Bootshaus ein Schrotflintenmodell findet, das man dann gegen das funktionstüchtige Feuereisen auswechseln kann, das Dank des an „Jäger des verlorenen Schatzes“ erinnernden Austausch-Mechanismus in einem Raum „gefangen“ blieb. Und wenn man erstmal in einem exzellent inszenierten und entworfenen, an „Saw“ erinnernden, Escaperoom steckt und Gehirnschmalz schwitzt, dann merke ich wieder was für eine fabelhafte Arbeit Capcom abgeliefert hat.

Die zehn bis zwölf Stunden lange Kampagne spielt zum Großteil auf dem Anwesen der Bakers und die Story um Ethan und Mia weiß – bis auf die wenigen Hillbilly- und Horrorfilmklischees – durchweg zu unterhalten. Nur „Resident Evil“-Veteranen werden sich wahrscheinlich gegen Ende verwundert den Kopf kratzen, wenn der Abspann von einem der beiden alternativen Enden läuft. Ebenfalls erwähnenswert ist der äußerst hohe Gewaltgrad, den „Resident Evil 7“ an den Tag legt und erinnert mich wieder daran, wie viel sich in den letzten Jahrzehnten bei FSK und USK in Deutschland getan hat. Es handelt sich zwar um „entmenschlichte“ Wesen, wobei es mich dann doch jedes mal aufs Neue überrascht, wenn plötzlich Körperteile weggeschossen werden, oder ich selbst in einer schauernden Todessequenz das Zeitliche segne und mir eine Kettensäge durch den Bauch gezogen wird.

Das einzige Manko, das man „Resident Evil 7“ wirklich ankreiden kann und das Spiel von absoluter Größe fernhält ist das letzte Drittel, das die gesamte Rätselerkundung und den Überlebenskampf über den Haufen wirft. Besagtes letztes Drittel, welches – Achtung leichter Spoiler – nicht bloß auf dem Anwesen spielt, ist deutlich actiongeladener als es die ersten sieben Stunden vermuten lassen. Und gerade diese letzten Stellen fühlen sich dann trotz neuer, unverbrauchter aber typischer „Resident Evil“ Lokalitäten gestreckt und lang an.

Abschließend sei gesagt: Wer Sonys VR-Brille sein Eigen nennt kommt nicht an „Resident Evil 7: Biohazard“ vorbei. Das Triple-AAA Game ist das, worauf die VR-Gemeinde gewartet hat – und es eventuell noch nicht einmal weiß. Und gerade dieses Spiel könnte der Systemseller für das VR-Headset werden. Aber selbst ohne VR ist „Resident Evil 7“ das Spiel, das sich Veteranen seit Jahren erhofft haben. Es besinnt sich der alten Werte und macht diese wieder stark, zeigt aber trotzdem eine wegweisende neue Richtung, wie es „Resident Evil 4“ seinerzeit tat. Ein Horrortrip zum Gruseln, der von mir 9 von 10 Punkten erhalten würde, und nur ganz knapp am grandiosen Meisterstück vorbei schleicht.

„Resident Evil 7: Biohazard“ ist seit dem 24. Januar 2017 für PC, XBox One und Playstation 4 erhältlich.

Resident Evil 7: Biohazard • Capcom • Horror/Survivall • PC, Xbox One, Playstation 4

Kommentare

Bild des Benutzers Alexander Schlicker

Top! Als jemand, der sogar in grauer Vorzeit mal ein Buch zum Survival-Horror-Genre veröffentlicht hat, ist diese Wiederauferstehung von "Resident Evil" schlicht ein Meilenstein;)

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