3. Mai 2017 2 Likes

Hoffnungslos in den Weiten verloren?

„Mass Effect: Andromeda“ im Test

Lesezeit: 6 min.

Die Sterne standen schlecht: Die ersten handfesten Infos samt Gameplay zu „Mass Effect: Andromeda“ gab es erst wenige Monate vor dem Release. Immer wieder drangen Meldungen über Kündigungen langjähriger Entwickler beim RPG-Giganten „BioWare“ nach außen. Und dann hieß es noch, dass der neue Titel nicht vom „Chef“-Team in Edmonton entwickelt wird, sondern von Branchen-Neulingen „BioWare Montreal“. Eines vorweg: „Mass Effect: Andromeda“ zählt zu Biowares schlechtesten Spielen. Warum das aber bei weitem nicht die Bruchlandung ist, nach der es zunächst klingt, klärt der Test.

„Mass Effect: Andromeda“ ist seit dem 23. März 2017 für PC, XBox One und Playstation 4 erhältlich und öffnet ein neues Kapitel im Universum „Mass Effects“, das losgelöst von der alten Trilogie um Commander Shepard und die Reaper funktioniert. Alec Ryder, der sogenannte menschliche „Pathfinder“, soll neue bewohnbare Planeten in der Andromedagalaxis ausfindig machen und besiedeln. Dafür befinden er und seine beiden Kinder, einer der beiden auswählbaren Protagonisten Sara und Scott, sich mit einem ganzen Konglomerat an Menschen und anderen aus „Mass Effect“ bereits bekannten Alienrassen in „Archen“. Dies sind gewaltige Kolonistenschiffe, samt Cryo-Modulen, benötigt für den 600 Jahre langen Flug zu hoffentlich grüneren Wiesen. In der neuen Galaxis ist bereits ein Vorposten angelegt, genannt „Nexus“ (der stark an die Citadel der alten Trilogie erinnert), zu dem die anderen Archen stoßen sollen. Schnell läuft aber alles aus dem Ruder: Mehrere Archen werden vermisst und auch die „goldenen Planeten“, die vorher als neue Koloniestätten auserwählt wurden, sind dank Strahlung, Stürmen oder immenser Hitze plötzlich kaum mehr bewohnbar. Und zu allem Überfluss stirbt Alec zu Beginn der ersten Expedition und leitet seinen Pathfinder-Status inklusive richtungsweisende K.I. „SAM“ an den vom Spieler ausgewählten Protagonisten weiter.

„Andromeda“ gleicht spielerisch der Ursprungstrilogie, mit kleinen Unterschieden. Man wählt anfänglich zwar ein „Profil“ aus, wie den Soldaten oder Adepten, das einem Boni in den gewissen Fähigkeiten verleiht, welches aber jederzeit wechselbar ist. Jenes Profil schränkt auch nicht bei der Wahl der Fähigkeiten ein, wie noch im originalen „Mass Effect“. Wahlweise ein paar Punkte in die Tretmine setzen und dann doch lieber zu biotischen Angriffen oder technischen Geräten wie einer fliegenden Angriffsdrone wechseln? Kein Problem, denn alle Fähigkeiten sind frei ausbaufähig. Nur ausgewählte Kräfte erfordern eine geringe Anzahl an gesetzten Punkten in diesem oder jenem Fertigkeitsbaum. Auch die sogenannten „Powercombos“ kehren zurück. Erst einen Gegner biotisch „heranziehen“ und ihn dann farbenfroh durch die Luft fliegen zu lassen mit einem anschließenden Feuerball macht immer noch so viel Spaß, wie es in „Mass Effect 3“ der Fall war.

Ebenfalls gleich bleibt die Mitnahme eines Squads aus NPCs. Neben der Hauptfigur Ryder lassen sich erneut zwei Kumpanen (aus sechs freischaltbaren) mitnehmen. Diese lassen sich mit rudimentären Befehlen wie „Deckung nehmen“ oder „Angreifen“ steuern, so agieren sie aber weitestgehend selbstständig. Auch das Inventar und die Anpassung der Ausrüstung bleiben lediglich der Spielerfigur vorenthalten. Bei den NPCs wie der vorlauten Asari Peebee oder Jaal, Angehöriger einer neuen Andromedarasse, genannt Angara, lassen sich bloß Punkte in variable Fähigkeiten verteilen. Die höchsten Stufen der Fertigkeitsbäume lassen sich jedoch erst nach Abschluss der jeweiligen Loyalitätsmission des NPCs nutzen.

Die eben erwähnten Loyalitätsmissionen stellen übrigens eines der absoluten Highlights „Mass Effect: Andromedas“ dar. Jede der sechs Missionen ist spannend inszeniert und lockt den Spieler in ein ausgefallenes Setting, vom blubbernden Vulkan bis zu einem Raumkreuzer, in dem die Gravitation ausgefallen ist. Letzteres spielt sich übrigens in Liams Loyalitätsmission ab, einem der zwei menschlichen NPCs. Liams Mission könnte aufgrund des Humors und Irrsinns geradewegs aus Joss Whedons Feder stammen, so stark fühlt sie sich wie eine Episode aus der Kultserie „Firefly“ an und regt häufig zu Gelächter an. Selbst, wenn man diesen oder jenen NPC gerne außen vor lässt, so sollten doch alle Loyalitätsmissionen angegangen werden!

„Andromeda“ liefert aber auch allerhand denkwürdige Nebenquests, die allesamt vielschichtig und in mehreren Phasen ablaufen. Zu einer der allerersten Nebenquests, über die man stolpert, gehört gleich ein spannender Mordfall, den es zu lösen gilt. Und selbst die zunächst scheinbar drögen „Treffe Person X“-Missionen entpuppen sich als wendungsreiche Mikro-Kosmos-Geschichten, die mit einem lohnenswerten Ende aufwarten.

Auch die Hauptquest kann sich sehen lassen und bietet dank dem Archon der „bösen“ Alienrasse, genannt Kett, auch einen würdigen Widersacher, dem man ruhig noch mehr „Screentime“ hätte widmen können. Wenn dieser zum ersten Mal per Holoscreen auf der Brücke der „Tempest“ erscheint, fühlt man sich in eine perfekte Episode von „Star Trek“ hineinversetzt.

Selbstverständlich ist aber bei weitem nicht alles Gold was glänzt – auch nicht in der bislang unbekannten Andromedagalaxs. Zwar wurden die anfänglich zurecht angeprangerten Gesichtsanimationen deutlich nachgebessert, aber den gröbsten Verfehlungen ist damit nicht geholfen. „Mass Effect: Andromeda“ ist ein Spiel, das äußerst lange braucht um den Spieler in seinen Bann zu ziehen. Zu viel Feinschliff fehlt und erinnert stark an das unzureichende Gefühl, das viele bei „Dragon Age II“ hatten. Die Untermenüs sind äußerst wirr, und das Inventarsystem ein Alptraum. Egal ob Waffen, Ausrüstung, Upgrades, Mineralien oder nutzloser Schrott: Alle haben kleine numerisch-wirkende Zeichen als Icons. Keine Minibilder, die vielleicht erahnen lassen, dass dies eine Waffe ist oder jenes ein Upgrade sein könnte, sondern etwas das aussieht, wie der Buchstabe oder eine Ziffer eines Alienalphabets. Welche Items letztlich auch noch nützlich sind oder nicht bleibt der reinen Experimentierfreude des Spielers überlassen. Selbst als „Mass Effect“-Veteranen bleibt einem nur die Hoffnung, dass man irgendwann hinter das System steigt, was nach vielen Stunden dann auch endlich passiert. Auch die in allen BioWare-Spielen herausragenden Squadmitglieder wirken hier persönlichkeitslos und simpel gesagt platt.

Ebenso platt wirken auch die kargen Planetenlandschaften von Eos und Voeld. Ersterer ist ein Wüstenplanet und letzterer ein Eisplanet, die jedoch beide zu gewaltig und leblos für ihr eigenes Wohl sind. Wenn man mit dem motorisierten Nomad durch die Gegend fährt, fühlt man sich oft eher verloren als beeindruckt von dieser neuen Galaxs. Lediglich der verhältnismäßig kleine Dschungelplanet Havarl und der zweite Wüstenplanet Kadara wirken abwechslungsreicher.

Die Kämpfe sind in „Mass Effect: Andromeda“ ebenfalls ein zweischneidiges Schwert: Am System lässt sich nichts bemängeln und die vielen Möglichkeiten, die dem Spieler bleiben, motivieren zum Experimentieren und machen Spaß. Aber auch hier liegt der Hund begraben. Hat der Spieler erst einmal seine bevorzugte Taktik gefunden, so kann er getrost bis zum Spielende nach gut 40-50 Stunden bei dieser bleiben. Egal ob mechanische Remnant-Gegner, menschliche Söldner, große Ungetüme oder fiese Kett: Jedes Getümmel fühlt sich fast austauschbar an und lässt sich ohne große Mühe mit ein und derselben Taktik meistern. Wenn man dagegen an die Furcht einflößenden Banshees in „Mass Effect 3“ denkt, die jede gewohnte Taktik über den Haufen warfen, fehlt hier das Feingefühl.

BioWare rettete fast im Alleingang mit „Baldur’s Gate“ das aussterbende Rollenspiel-Genre und brachte mit dessen Nachfolger eines der besten Spiele aller Zeiten heraus. Und mit dem originalen „Mass Effect“ wurde etwas auf gleicher Ebene für den geneigten Science-Fiction-Fan erschaffen. „Mass Effect: Andromeda“ hingegen braucht jedoch einiges an Eingewöhnungszeit, sollte aber dennoch in jeder Sammlung der Reihe nicht fehlen. Wenn man Geduld für das Spiel aufbringt, wird man letztlich belohnt. Dafür sind die Haupt- und Nebenquests zu durchdacht. Einige weitere Wochen Entwicklungszeit hätten dem Spiel jedoch wirklich gut getan. Dass ein hervorragendes Spiel seine Zeit und die Mühe der Entwickler braucht, zeigen zurzeit Titel wie „Persona 5“ oder „Horizon: Zero Dawn“.

Mass Effect: Andromeda • BioWare • RPG, Action-Adventure

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