19. Januar 2017 4 Likes

Chinas ambitioniertes Weltraumprogramm

Die Volksrepublik steht in den Startlöchern, um der NASA Konkurrenz zu machen

Lesezeit: 5 min.

In Cixin Lius Roman Die drei Sonnen (im Shop) hat China zwar via Radioteleskop den ersten Kontakt zu Aliens hergestellt, aber in Lius nicht allzu weit entfernter Zukunft scheint die Volksrepublik kein Raumfahrtprogramm zu haben. Das sieht in der Realität anders aus – zumindest nach allem, was wir über die staatlichen Kanäle darüber erfahren. Chinas Weltraumprogramm, das von der CNSA, der Chinese National Space Administration, geleitet wird, wurde in den letzten Jahren immer ambitionierter. 2016 startete China 22 Mal in den Orbit – genauso oft wie die USA. Und es könnte sogar sein, dass die CNSA die NASA hier demnächst überholt. Im Dezember 2016 stellte die chinesische Weltraumagentur ihre Pläne für die nächsten fünf Jahre in einem Whitepaper vor – und die haben es in sich.

Chinas Weltraumprogramm ist gut dreißig Jahre jünger als das der Amerikaner. Es wurde im Jahr 1956 vom Ingenieur Qian Xuesen ins Leben gerufen. Er hatte ab 1935 am MIT und ein Jahr später am Caltech in Pasadena studiert, wo er Mitglied der sogenannten „Suicide Squad“, einer Gruppe Ingenieure, deren Experimente wegen häufiger Explosionen Aufsehen erregte, war. Nach seinem Abschluss arbeitete Xuesen für das Manhattan-Projekt, war Mitglied des „Project Paperclip“ und Mitbegründer des berühmten Jet Propulsion Laboratory des Caltech. Als er sich 1950 um die amerikanische Staatsbürgerschaft bewarb, geriet er in den Fokus der McCarthyisten, die ihm vorwarfen, mit den Kommunisten zu sympathisieren. Er wurde fünf Jahre lang unter Hausarrest gestellt und kehrte 1955 nach China zurück. Die Raketen vom Typ Changzheng, zu Deutsch „Langer Marsch“, die bis heute von der CNSA benutzt werden, gehen auf seine Entwürfe zurück. Nach Jahren der Weiterentwicklung und Forschung fand 2003 Chinas erster bemannter Raumflug statt. Seitdem macht das Raumfahrtprogramm immer größere Sprünge, sowohl bei bemannten als auch bei unbemannten Missionen. Ein weiterer Meilenstein war das erste chinesische Weltraumlabor Tiangong-1, das 2011 in den Orbit gebracht wurde; 2016 folgte Tiangong-2, das einen Monat lang bemannt die Erde umkreiste. Damit ist China die dritte Nation der Erde, die in der Lage ist, ohne fremde Hilfe Menschen in den Weltraum zu bringen.

Wie aus dem Whitepaper hervorgeht, soll 2017 zum ersten Mal eine automatische Frachtkapsel am Weltraumlabor andocken; die ersten Tests verliefen erfolgreich. Bis 2022 will China Tiangong-3 in den Orbit bringen, die aus mehreren Modulen bestehen und drei Besatzungsmitglieder beherbergen können soll. Im Hinblick auf das Ende der amerikanischen Beteiligung an der ISS bis 2024 könnte China damit ein durchaus attraktiver Partner für die ESA und die anderen Raumfahrtagenturen werden.  Dafür sind die Weichen bereits gestellt: Seit 2011 hat das Land insgesamt 43 Verträge und Memoranden mit anderen Weltraumagenturen unterzeichnet. Der US-amerikanische Kongress hat der NASA eine Zusammenarbeit mit der CNSA untersagt – es ist also eher unwahrscheinlich, dass auch die Amerikaner in den „Himmelspalast“ – das bedeutet „Tiangong“ auf Deutsch – einziehen werden.

In Sachen unbemannter Raumfahrt will sich die CNSA weiterhin auf die Erforschung des Mondes konzentrieren, anders als die NASA, die seit dem Ende des Constellation-Programmes den Mars im Blick hat. China schickte 2013 die Sonde Chang’e-3 zum Mond, die den Rover Yutu aussetzte. Damit war zum ersten Mal seit 1972 eine weiche Landung auf dem Erdtrabanten gelungen – wenn auch keine bemannte. Ende 2017 will China diesen Erfolg wiederholen: Chang’e-5 ist als Sample-Return-Mission geplant. Die Sonde soll auf dem Mond landen, Proben entnehmen und wieder zur Erde zurückkehren. Die Rückkehr birgt noch einmal eine gewaltige Herausforderung, denn wegen der hohen Geschwindigkeit, die für den Rückflug zur Erde notwendig ist, ist die Reibungshitze beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre enorm hoch.


Chang’e-3 auf dem Mond, fotografiert vom Rover Yutu

Das alles scheint auf den ersten Blick wie eine bloße Wiederholung der Erfolge, die die USA und Russland bereits feiern durften. In den 45 Jahren, die seit der letzten Mondlandung vergangen sind, und nach all den technischen Fortschritten – man stelle sich nur mal vor, was die Ingenieure des Apollo-Programms mit einem modernen Smartphone angefangen hätten! – kommt uns die Landung einer Sonde auf dem Mond geradezu einfach vor. Doch das Gegenteil ist der Fall. Und auch die Bedingungen auf Luna sind sehr viel härter als beispielsweise auf dem Mars, was extreme Anforderungen an das Material stellt, das mit Temperaturschwankungen von bis zu 300° C zurechtkommen muss. Chinas Erfolge auf dem Mond sollten also durchaus ernstgenommen werden, zumal mit der Sample-Return-Mission die Weichen für ein anderes chinesischen Vorhaben gestellt werden dürfte: die erste chinesische Mission zum Mars. Sie soll im Jahr 2020 starten und sieht ebenfalls vor, dass eine Bodenprobe zur Erde zurückgebracht wird. Über das Missionslogo wird derzeit abgestimmt.

Das ambitionierteste Projekt zur Erforschung des Mondes, das in dem Papier vorgestellt wird, ist die Landung auf der „dunklen“ Seite, die für 2018 angedacht ist. Das wäre ein echter Meilenstein, denn dort ist noch nie zuvor jemand gelandet. Chang’e-4 soll ebenfalls einen Rover aussetzen, der seine Umgebung mit Kameras und Infrarot-Spektrometer untersucht. Gerüchten zufolge soll die Mission auch dazu dienen, mögliche Helium-3-Vorkommen auf dem Mond zu erkunden. Helium-3 gilt als Energieträger der Zukunft, weil man es als Treibstoff in Fusionsreaktoren verwenden könnte. Die Herausforderung bei dieser Mission wird jedoch die Kommunikation mit Sonde und Rover. Sie setzt einen Relaissatelliten am Erde-Mond-Lagrange-Punkt L2 voraus, weil aufgrund der fehlenden Sichtverbindung keine „normale“ Funkverbindung möglich ist. Wenn China dieses Meisterstück gelingt, hat das Land mehr als eindrucksvoll unter Beweis gestellt, wozu es im All in der Lage ist. Diese Mission wird vermutlich auch die Weichen für einen bemannten Flug zum Mond stellen – auch wenn davon in dem Papier noch nicht die Rede ist.

Für die Missionen in fernerer Zukunft will China bis 2030 das neue Schwerlastraketensystem Changzheng-9 entwickeln – das auch in der Lage sein soll, bemannte Landekapseln zum Mond zu bringen. Obendrein denkt die CNSA über emissionsärmere und wiederverwendbare Raketen und Booster nach. Neue Raketen nützen jedoch nichts, wenn man nicht die nötige Infrastruktur hat, um sie ins All schicken zu können. Doch auch hier hat China in den letzten Jahren einiges geleistet. Im Juni 2016 fand die Einweihung des Weltraumbahnhofs Wenchang auf der Hainan-Insel statt, von dem aus Changzheng-9 eines Tages starten soll. Auch die drei älteren Startzentren wurden in den letzten Jahren renoviert und modernisiert, sodass dem Land jetzt ein Netzwerk von Startplätzen zur Verfügung steht, von dem aus man sowohl den Orbit als auch eine Flugbahn zum Mond erreichen kann. Auch das Satellitennetzwerk wurde in den letzten Jahren weiter ausgebaut – was durchaus für Bedenken gesorgt hat, denn einer der Partner der CNSA ist das chinesische Militär. Angeblich soll China in der Lage sein, feindliche Satelliten aus dem Orbit zu schießen. Die CNSA betont immer wieder, dass man das All zu friedlichen Zwecken erforschen wolle, aber den westlichen Ländern fällt es doch schwer, dieser Behauptung Glauben zu schenken. Doch durch eine engere Zusammenarbeit mit anderen Weltraumagenturen könnte dasselbe passieren wie schon seinerzeit beim „Space Race“ zwischen den USA und der Sowjetunion: dass die gemeinsame Erforschung des Alls für mehr Frieden auf der Erde sorgt.

Das komplette CNSA-Whitepaper können Sie auf Englisch hier abrufen: english.cas.cn.

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