4. Dezember 2015 4 Likes

Das reinste Chaos

Im Pluto-System ist nichts so, wie wir es erwartet haben

Lesezeit: 5 min.

Knapp fünf Monate ist es her, dass wir dem Pluto Day entgegengefiebert haben. Am 14. Juli 2015 passierte die NASA-Sonde New Horizons den Ex-Planeten in einer Distanz von nur 12 500 Kilometern. Die Bilder und Daten, die die Sonde dabei zusammentrug, werden noch bis Mitte 2016 zur Erde übertragen, während New Horizons sich konstant weiter von der Sonne entfernt und sich dem Kuiper-Belt-Object 2014 MU69, ihrem nächsten Forschungsziel, nähert. Auf dem 47. jährlichen Treffen der American Astronomical Society in Maryland Anfang November wurden die neusten spannende Entdeckungen auf Pluto, Charon und den vier kleineren Monden des Systems diskutiert. „New Horizons hat alles, was wir über Pluto zu wissen glaubten, auf den Kopf gestellt“, so Jim Greene, der Direktor der Planetenwissenschaften der NASA in Washington.

Zum Beispiel scheint es, als gäbe es Eisvulkane auf Pluto. Die Geologen der New-Horizons-Mission kombinierten Bilder von der Oberfläche Plutos zu einer 3-D-Karte, aus der hervorgeht, dass zwei der am besten sichtbarsten Berge auf dem Zwergplaneten, Piccard Mons und Wright Mons, Kryovulkane, die geologisch gesehen noch relativ jung sind, sein könnten. Beide Berge sind ziemlich groß und hoch und haben ein Loch am Gipfel, das auf der Erde nur eins bedeutet: Vulkan, so Oliver White vom New-Horizons-Team. Zudem deutet die Textur der Bergflanken darauf hin, dass hier Material nach unten geflossen sein könnte, aber bisher wissen wir nicht, was das für ein Material ist. Wenn es sich tatsächlich um Eisvulkane handelt, spucken die Pluto-Vulkane wahrscheinlich eine zähe Mischung aus Wassereis, Stickstoff, Ammonium und Methan aus. Vulkane könnten zudem weitere Hinweise auf die Entstehung der Atmosphäre und auf die Geologie des kleinen Planeten geben.

Auch die restliche Pluto-Oberfläche ist erstaunlich, denn sie weist ganz unterschiedliche Altersstufen auf. Um das Alter von Oberflächen auf anderen Planeten zu bestimmen, zählen die Wissenschaftler Krater. Je mehr Einschläge und je größer diese sind, desto älter ist die Oberfläche. Auf der geologisch sehr aktiven Erde findet man deswegen nur wenige Überreste von großen Einschlägen, auf dem geologisch eher inaktivem Mars hingegen sind im Süden stark verkraterte Oberflächen vorhanden, die rund 4 000 Millionen Jahre alt sind. Solche Gebiete gibt es auch auf Pluto, wie man erwartet hatte. Aber dort findet sich auch eine Gegend, die – geologisch gesprochen – erst gestern entstanden ist, also während der letzten zehn Millionen Jahren. Sie wird inoffiziell Sputnik Planum genannt und liegt an der linken Seite von Plutos „Herz“ und scheint komplett kraterfrei zu sein (die IAU muss die Namen, die die Forscher verschiedenen Merkmalen auf Pluto und Charon gegeben haben, erst noch bestätigen. Dabei ist nicht gesagt, dass diese vorläufigen Spitznamen tatsächlich übernommen werden). Neben ganz alten und ganz jungen Gebieten hat man auch solche mittleren Alters entdeckt, was bedeutet, dass Pluto wider Erwarten geologisch aktiv ist oder es noch bis vor Kurzem war. Sputnik Planum ist keine Anomalie, sondern ein Zeugnis für geologische Aktivitäten am Rand unseres Sonnensystems.

Das Kraterzählen gibt uns aber auch Aufschluss über die Struktur des Kuiper-Gürtels selbst, der bisher kaum erforscht ist. Der Mangel an kleineren Kratern auf Pluto und Charon deutet darauf hin, dass es dort sehr viel weniger kleine Objekte geben muss als bisher angenommen. Das wiederum lässt an der bisher gängigen Hypothese zweifeln, nach der alle größeren Objekte im Kuiper-Gürtel durch Zusammenballungen kleiner Körper entstanden seien. Stattdessen legen die Krater auf Pluto und Charon nahe, dass alle Objekte mit einem Durchmesser größer als Fünfzehn Kilometer direkt entstanden sind, also schon „groß geboren“ wurden. New Horizons nächstes Ziel, KBO 2014 MU69, könnte Licht ins Dunkel bringen, denn es hat einen Durchmesser von 40-50 Kilometern und gehört somit zu diesen großen KBOs.

Auch die Monde im Pluto-System faszinieren die Wissenschaftler. Pluto und sein größter Mond, Charon, rotieren um ein gemeinsames Zentrum, das außerhalb Plutos liegt (ein sogenanntes Baryzentrum). Der gräulich-weiße Mond Charon verblüffte durch seine roten Polkappen, die Nordpolkappe wird inoffiziell Mordor Macula genannt. Außerdem weist Charon eine ganze Reihe unterschiedlicher Landschaftsmerkmale und Formen auf: Hügelige Ebenen, verkraterte Tiefebenen und einen gewaltigen Canyon, der den Mond in zwei Teile zu zerschneiden scheint. Dieses Tal ist mindestens 1 600 Kilometer lang, sieben bis neun Kilometer tief und zieht sich vermutlich einmal um den ganzen Planeten, auch wenn New Horizons das bisher noch nicht bestätigen konnte. Welche Kräfte hier gewirkt haben müssen, ist kaum vorstellbar. Es sieht beinahe so aus, als hätte jemand versucht, Charon auseinanderzureißen. Interessant an den Bildern ist, dass der Mond mit seinem Durchmesser von annähernd 1 500 Kilometern groß genug ist, um eine Kugel zu formen, aber klein genug, sodass man auf den Bildern sehen kann, wie der gewaltige Canyon den Horizont durchschneidet. Angesichts der schieren Größe, gerade im Vergleich zur Größe Charons, ist Serenity Vallis, so der inoffizielle Name, am ehesten mit den Valles Marineris auf dem Mars vergleichbar. Direkt südlich davon liegt Vulcan Planum, eine nur sehr wenig verkraterte Ebene, die darauf hinweist, dass Charon, wie Pluto, geologisch sehr aktiv ist oder war. Wie genau Charon es allerdings geschafft hat, einen Berg mitten in einem Graben zu erzeugen, ist ein Rätsel.

Die anderen Monde des Pluto-Systems, Styx, Nix, Kerberos und Hydra (von innen nach außen) sind nicht weniger ungewöhnlich. Fast jeder bekannte Mond im Sonnensystem befindet sich in sogenannter gebundener Rotation: Er kehrt seinem Mutterplaneten immer dieselbe Seite zu. Nicht so die vier kleinen Pluto-Monde, die sich allesamt wesentlich schneller drehen und sogar taumeln, wie in dem Video unten gut zu sehen ist. Außerdem sieht es so aus, als wären Kerberos und Hydra bei Zusammenstößen zwischen kleineren Himmelskörpern entstanden. Hydra, der bucklige äußerste Mond des Systems, rotiert bis zu 89 Mal um die eigene Achse, während er Pluto umrundet. Mark Showalter vom SETI-Institut, der an der Auswertung der New-Horizons-Daten beteiligt ist, vermutet, dass Material von Hydras Oberfläche durch die Zentrifugalkräfte ins All geschleudert werden könnte, wenn der Mond sich noch schneller drehen würde. Nix‘ Rotationsachse ist geneigt, außerdem rotiert der drittgrößte Pluto-Mond rückwärts. Und auch Kerberos taumelt auf seiner Umlaufbahn ganz schön. „Plutos kleine Monde verhalten sich wie Kreisel“, kommentierte Showalter das ungewöhnliche Verhalten der Monde. „Wir haben ein Durcheinander erwartet, aber was wir gefunden haben, ist das reinste Chaos.“ Die Wissenschaftler glauben, dass die Anziehungskraft Charons daran schuld ist, dass die kleinen Monde nicht in eine regelmäßige Umlaufbahn finden. Charon und Pluto erzeugen bei ihrem „Tanz“ um das gemeinsame Baryzentrum ein unregelmäßiges Schwerkraftfeld, das Showalter zufolge die anderen Monde taumeln lässt.

Quelle/Titelbild: NASA/JPL / Bilder: NASA/JHUAPL/SwRI / Video: NASA/JHUAPL/SwRI/M. Showalter

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