9. Juni 2017 2 Likes

18. Japan-Filmfest Hamburg

Von weiblichen Androiden und NecroBorgs

Lesezeit: 5 min.

Wie hier schon ausgeführt wurde, findet der japanische Film in Deutschland praktisch nicht statt, was ausgesprochen schade ist, denn es gibt eigentlich keinen Grund dieses herrlich bunte Kino nicht zu mögen. Aber zum Glück gibt es jedes Jahr zwei Anlaufstellen für Interessierte: Zum einen die Nippon Connection in Frankfurt und das Japan-Filmfest Hamburg, wobei man Letzteres getrost als kleinen Bruder des Ersteren bezeichnen kann; es gibt – abgesehen von zahlreichen Gästen (Regisseure, Schauspieler, Produzenten etc.) – keinerlei Rahmenveranstaltungen, das Filmprogramm ist etwas weniger umfangreich (grenzt sich aber klugerweise mit seiner Genrelastigkeit deutlich ab) und der Besucherandrang überschaubarer. Das soll aber keineswegs als Kritik verstanden werden: Wer weiß, wie unglaublich schwierig es ist – und dann auch noch ehrenamtlich – ein dermaßen exotisches Thema in Deutschland zu installieren (der Autor dieser Zeilen ist bereits selbst bitter gescheitert), kann nur den Hut ziehen, dass die Jungs und Mädels dieses Wunderwerk zwischen dem 31.05.- und dem 04.06. nun schon zum 18. Mal vollbracht hatten. Außerdem bietet die Überschaubarkeit auch einen Vorteil: Das Festival fühlt sich angenehm familiär an. Man kommt schnell mit der freundlichen Veranstalter-Truppe, mit den Künstlern oder mit dem Publikum ins Gespräch und geht im besten Fall nicht nur mit einem Kopf voller Bilder, sondern auch mit neuen Freundschaften nach Hause.

An Filmen gab es allerlei zu entdecken, von sanften Dramen bis zum harten Splatter wurde eine große Palette angeboten und natürlich kamen auch Science-Fiction-Fans nicht zu kurz. So konnte man sich gleich die komplette „Project-Itoh-Trilogie“ („Empire Of The Corpses“, „Harmony“ und „Genocidal Organ“) in einem Block ansehen. Hierbei handelt es sich um drei zwischen 2015 und 2017 veröffentlichte Animes, die auf Vorlagen des preisgekrönten Science-Fiction-Autors Satoshi Ito basieren, der unter dem Namen Project Itoh tätig war, traurigerweise allerdings bereits 2009 im Alter von gerade mal 34 Jahren an Krebs starb. Die drei Filme sind unterm Strich recht gut gelungen – „Empire Of The Corpses“, dessen Vorlage nach Itohs Tod von einem Schriftsteller-Kollegen beendet wurde, ist das schwächste Glied in der Kette – wirken aber auch zuweilen etwas arg voll gestopft, wodurch wiederum Neugierde auf die Romane entfacht wird, die glücklicherweise alle zumindestens auf Englisch erhältlich sind.


Project Itoh: Harmony

Die Superhelden-Zeitreisen-Klamotte „Slavemen“ entpuppt sich als genau der Film, den man sich von einem Regisseur, der in der Vergangenheit die Welt mit Arthouse-Klassikern wie „Zombie Ass“ (2011) oder „Dead Sushi“ (2012) oder „RoboGeisha“ (2009) beglückt hat, erwartet. Noboru Iguchi wurde einmal von Mitarbeitern als ewig großes Kind beschrieben, das seine Sets als Spielplatz betrachtet und exakt so wirken seine Filme auch. Kann man in ihrer pubertären und oftmals rumpeligen Machart sicherlich saudoof finden, man kann aber auch mal wieder den kleinen, jugendlichen Rotzlöffel in sich entdecken und Spaß haben. Eins muss man Iguchi trotz allem irgendwie halt schon zugestehen: Er fährt seine eigene Linie; so, wie er’s macht, macht’s vor allem er und kein anderer.

Was immer man von „Slavemen“ auch halten mag, der Entertainment-Faktor wird besonders im Vergleich mit „Cutie Honey: Tears“ deutlich, der neusten Inkarnation der langlebigen „Cutie Honey“-Franchise, in der sich alles um eine Androidin mit speziellen Fähigkeiten dreht. Takeshi Ashais Debütfilm entpuppt sich leider als Inbegriff von Gesichtslosigkeit: Ganz zeitgemäß wird der fluffige Camp-Faktor der Vorlage über Bord geworfen und angestrengt einen auf „ernst“ und „düster“ gemacht, obwohl man ja doch wieder nur von einer sexy Kunstfrau erzählt, die allerlei Unkraut rupft. Das Ganze erinnert dabei in seiner ausgestellten Künstlichkeit stark an Kurt Wimmers zu Unrecht gescholtenen „Ulraviolet“ (2006) ohne allerdings je dessen Verspieltheit und Bildgewalt zu erreichen. „Cutie Honey: Tears“ ist ein aalglatter, völlig leidenschaftsloser Film, der ohne irgendeine Nachwirkung an einem vorbeirauscht. 

Etwas, das man von der Hauptattraktion des Festivals nur schwer behaupten konnte: Gezeigt wurden nämlich eine neue HD-Version des kleinen Cyberpunk-Klassikers „Meatball Machine“ (2005) und dessen frisch veröffentlichte Fortsetzung (eigentlich eher Quasi-Remake) „Kodoku: Meatball Machine“, dessen Macher ebenfalls anwesend waren, was besonders dank Yoshihiro Nishimura, der bei Teil eins und zwei für die Effekte und bei Teil zwei auch für die Regie verantwortlich war, zu einem denkwürdigen Ereignis wurde.


Meatball Machine

„Meatball Machine“ erzählt davon, wie in Japan Parasiten aus dem Weltall auftauchen, die Menschen als Wirtskörper missbrauchen. Die Opfer werden von den außerirdischen Besuchern in biomechanische Monster, so genannte NecroBorgs, verwandelt, die nur ein Ziel kennen: andere NecroBorgs zu vernichten. Als Sachiko, die Traumfrau des schüchternen Yoji von so einem ekligen Viech befallen wird, setzt der schockierte Mechaniker alles daran seine Angebetete zu retten… Beim Film der beiden Regisseure Yudai Yamaguchi und Yun’ichi Yamamoto handelt es sich um eine astreine Indie-Produktion, deren sehr niedriges Budget jederzeit erkennbar ist, die allerdings trotzdem den internationalen Durchbruch für beide und noch mehr für Yoshihirio Nishimura brachte. Durchaus nachvollziehbar, denn das Trio machte fehlende Finanzen durch souveränen Umgang mit dem vorhandenen Mitteln und jede Menge Fantasie wieder wett. Der mit einem Schuss splattrigen Horror gewürzte Sci-Fi-Film tischt eine ganze Palette an zauberhaften Kostümen und handgemachten Effekten auf und besticht durch eine inhaltliche Doppelbödigkeit: So lässt sich „Meatball Machine“ einerseits prima als purer Genreklopper genießen, er funktioniert dank seiner guten Darsteller (eine japanische Besonderheit: Hauptdarsteller Issei Takahashi war zum Drehzeitpunkt schon ein alter Hase mit Filmen wie „Kill Bill“ (2003) oder „Stimme des Herzens“ (1995) auf dem Konto. Unvorstellbar, dass ein amerikanischer Darsteller mit diesem Resümee zwischendurch mal eben kurz eine C-Produktion einschiebt) aber auch prima als tragische Lovestory zweier Außenseiter in der von Konformismus tiefgeprägten Industrienation Japan. Ein sehr ergiebiger Film jedenfalls, der aber die Bereitschaft einfordert, sich drauf einzulassen.


Yoshihirio Nishimura  beim Publikumsgespräch

Das lässt sich ebenso von „Kodoku: Meatball Machine“ behaupten, ein etwas älteres Zuschauerpärchen flüchtete bereits nach 10 Minuten Richtung Ausgang. Der mittlerweile auf Festivals rund um den Globus abgefeierte Allrounder Yoshihiro Nishimura setzt dem düsteren, ernsten Vorgänger einen für ihn so typischen hypergrellen, viehisch aufgeregten, enorm spritzigen Splattercartoon entgegen, der in etwa noch mal die gleiche Geschichte erzählt, allerdings mit – nicht immer sitzenden – Gags, Brüsten und deutlich mehr Gore (angeblich wurden vier Tonnen Blut verbraucht). Das ist eine gewisse Zeit lang in seiner unbekümmerten „Immer druff“-Mentalität und dank der wie immer schön wilden Effekte durchaus unterhaltsam, zuweilen sogar amüsant, fühlt sich aber auch etwas abgenutzt an, da der Regisseur munter bei sich selbst klaut und natürlich ist das alles in seiner Gesamtheit, wie immer bei Nishimura, mal wieder viel zu viel und viel zu lang. Der Mann ist zweifelsohne ein talentierter Künstler, keine Frage, bräuchte aber dringend mal jemanden, der ihn an die Leine nimmt. Wer aber je mal die Chance hat, den Gaga-Maestro live zu erleben, sollte unbedingt hingehen – schon beim Gang zur Bühne flogen Süßigkeiten durch die Luft und im Gespräch mit dem Publikum entpuppte sich der kleine Charismabolzen im mit Blutflecken bedruckten weißen Overall als selbstironische Rampensau deluxe, der sich bei der Vorstellung seines neusten Werks entschuldigte, dass die ersten 25 Minuten ja schon „ein bisschen lang“ sind, aber „leider ist die Vorstellung von Charakteren bei Spielfilmen obligatorisch“.

Jedenfalls: Schön war’s! Wer haufenweise neue Eindrücke sammeln will, sollte nächstes Jahr definitiv einen Trip nach Hamburg wagen – die Japaner können auch Science-Fiction! Und wie!

Große Abb. oben: „Koduku: Meatball Machine“

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