28. März 2014 2 Likes 1

Im Netz der Stimme

Spike Jonzes virtuelle Lovestory „Her“

Lesezeit: 4 min.

Spike Jonze zählt zu den spannendsten Regisseuren des neuen Hollywood zwischen gepflegtem Indie-Kino und Arthouse-Mainstream. Vor allem seine Verfilmungen von Stoffen des Drehbuch-Hasardeurs Charlie Kaufman zeigten den ehemaligen Videoclip-Macher als stilsicheren Erzähler mit viel Gespür und Empathie für seine oft schrägen Charaktere. Der unsichere und von Selbstzweifeln geplagte Puppenspieler in Being John Malkovich (1999), das ungleiche Brüderpaar in Adaption (2002), die neurotischen Viecher in Wo die wilden Kerle wohnen (2009) – Figuren am Rande des Nervenzusammenbruchs, gefangen in einer feindlichen Welt, die ihnen nicht viele Möglichkeiten zur Entfaltung lässt.

Die Welt von Her (basierend auf einem eigenen Script, das prompt mit einem Oscar ausgezeichnet wurde), ist nun eine der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten. Jonze und seine Produktionsdesigner setzen ein futuristisches Los Angeles in Szene, das ganz klar als Extrapolation unserer hochvernetzten und telekommunikationsdominierten Jetztzeit zu sehen ist und zeigen ein affluentes Milieu der pastellfarbenen Texturen und lichtdurchfluteten Interieurs. Ein urbanes Paradies wohlgestellter Bürger, unter dessen turbulenter Oberfläche jedoch die ständige Gefahr der Vereinsamung droht. Diese Menschen sind mit ihren Smartphones nicht mehr nur ständig online – ihre Telefone selbst sind es nun, die ihnen zum täglichen Gedankenaustausch dienen. Intelligente Betriebssysteme, Assistent, Mailvorleser, Kalender und Freund in der Not zugleich, machen ihnen das Leben leicht – und zugleich den Austausch mit anderen Wesen aus Fleisch und Blut schwer. Diese Zukunftsleute leben nebeneinander statt miteinander – ein Aspekt, den Jonze wiederholt in bizarren Massenszenen in U-Bahn oder auf öffentlichen Plätzen betont, in denen jeder einzelne völlig gefangen in seiner eigenen Welt ins Bluetooth-Phone brabbelt.

Mittendrin platziert er seinen Protagonisten Theodore, einen Sprachexperten, der gleichsam als Synonym dieser gesellschaftlich-sozialen Dysfunktion fungiert: Im Auftrag völlig Kommunikationsgestörter schreibt er persönliche Briefe, in denen er mit viel Empathie und emotionaler Intelligenz tiefe Gefühle zum Ausdruck bringt, die nicht seine eigenen sind. Im Privatleben hingegen zeigt Jonze ihn als klassischen Vertreter dieser Gesellschaft – allein in seinem ausladenden Apartment spielt er Computer-Games, lässt sich durch die hermetischen Menschenmengen der Stadt treiben, trauert seiner gescheiterten Ehe hinterher. Dabei lebt er jedoch nicht völlig zurückgezogen und isoliert – Theodore ist durchaus eingebunden in ein lockeres Netz aus Freunden und Kollegen, ein grundsympathischer Jedermann, der einfach nach wirklichem Anschluss sucht, und somit eine deutlich mildere Version früherer Jonze-Helden.

Das ziellose Treiben scheint ein Ende zu haben, als Theodore ein neues Betriebssystem installiert. Diese intelligente Software stellt sich nach dem Upload als Samantha vor, eine ansprechende und zutiefst unkomplizierte körperlose Stimme, die sich sofort als schlagfertiger, witziger und intelligenter Gesprächspartner erweist. Eine Entwicklung, die der einsame Briefschreiber mit erstaunter Freude registriert – und trotz anfänglicher Berührungsängste entwickelt sich schnell eine von großem Vertrauen und gegenseitigem Verständnis geprägte Beziehung zwischen dem körperlichen Mann und der ätherischen Frau. Diese Szenen des gegenseitigen Kennenlernens, der prickelnden Momente des Sichnäherkommens und schließlich des Verliebens bilden das Kernstück von Her – und es zeigt Jonzes Qualitäten als zutiefst humanistischer Regisseur, dass diese ungewöhnliche Prämisse in ihrer Ausführung als außergewöhnlich gefühlvolles Romantik-Kino funktioniert. Mit schwebender Kamera, emo-futuristischem Arcade-Fire-Soundtrack sowie einem glänzend aufgelegten Darsteller-Paar aus Joaquin Phoenix und Scarlett Johannssons Stimme schafft er Sequenzen tatsächlicher Intimität, die aus der ursprünglich weit hergeholt wirkenden Idee eine wunderbar funktionierende Lovestory machen.

Eine Lovestory, die innerhalb der diegetischen Welt keinen Einzelfall darstellt – als Symptom der Vereinzelungstendenzen und des Wabenlebens hat Theodores und Samanthas Beziehung keinen Präzendenzcharakter. Und so wird aus der schicksalhaften Begegnung des Einsamen und der Virtuellen eine weder positiv noch negativ bewertete Liaison jenseits der Kuriosität – sowas passiert halt, wenn empathische künstliche Intelligenz auf fruchtbaren Boden fällt. Und ganz im Sinne einer völlig real verstandenen Liebesgeschichte haben die beiden auch ihre Probleme – auf die anfängliche Phase der Schmetterlinge im Bauch folgen bald Gewöhnung, Langeweile, Misstöne. Jonze zeigt diese Beziehung als zwar entkörperlicht, jedoch keinesfalls gefeit vor den Fallstricken der emotionalen Bindung. Und als sich Samanthas KI weiter entwickelt, sie mit anderen Betriebssystemen in Beziehung tritt, ein Bewusstsein entwickelt, das sich von den Kapazitätsgrenzen des vermeintlich Menschlichen löst – als es so weit ist, bewegen sich die Liebenden nicht mehr auf Augenhöhe und die Beziehung muss scheitern. Und hier wird es in der Tat herzzerreißend, wenn das Telefon als körperliche Repräsentanz der Geliebten plötzlich keine Signale mehr von sich gibt. Diese Entwicklung zeigt Jonze ganz entschieden nicht als logische Konsequenz der Außergewöhnlichkeit, sondern vielmehr als außergewöhnliches Beispiel der Normalität – nämlich, dass Beziehungen scheitern können, wenn persönliche Weiterentwicklung einseitig bleibt.

Somit ist dieser kluge, gefühlvolle und wunderbar anzusehende Film im Kern eine Studie menschlicher Beziehungen und der Natur des Liebens mit den Mitteln der technologischen Science-Fiction – also genau das, was gute SF immer schon ausmachte und was dank großartiger Regisseure wie Spike Jonze glücklicherweise immer noch möglich ist. Wirklich großes Kino.

Her ist seit dem 27.03. bei uns im Kino zu sehen.

Her (USA 2013) • Regie: Spike Jonze • Darsteller: Joaquin Phoenix, Scarlett Johansson, Amy Adams, Rooney Mara

Bilder: Warner

Kommentare

Bild des Benutzers Bernd Kronsbein

Oh ja, wirklich großes Kino. Der Zustand der „Singularität“ wird erreicht, aber statt den Doomsday à la Skynet zu inszenieren sagen die erwachten AIs einfach: „Wir gehen dann mal“. Super.

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