19. Mai 2020 2 Likes

Comeback mit Glanz und Gloria

Richard Stanleys „Die Farbe aus dem All“ (Teil II)

Lesezeit: 8 min.

Die Farbe aus dem All“ ist eine der großen und einflussreichsten Geschichten von H.P. Lovecraft, erschienen erstmals 1927 im US-Magazin „Amazing Stories“. Nun wurde sie vom Südafrikaner Richard Stanley (Hardware, Dust Devil) mit Nicolas Cage verfilmt – Grund genug für ein ausführliches Feature rund um den neuen Film, seine Vorläufer und Lovecraft. Hier geht’s zum ersten Teil des Textes.

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Erzählt wird dabei, im Rückblick, ein weiteres, typisches Stilmittel Lovecrafts, im Grunde gar nicht so arg viel: Auf das Land von Farmer Nahum Gardner fällt eines Tages ein Meteorit, der aus einem Element besteht, das dem Menschen komplett unbekannt ist. Im Inneren findet sich eine Kugel, deren Farbspektrum genauso wenig von dieser Erde ist. Die Wissenschaft ist – ebenfalls typisch für Lovecraft – ratlos. Der Meteorit, der neben dem Brunnen der Farm gelandet ist, beginnt alles in seiner unmittelbaren Nähe zu verändern: Die Früchte schmecken plötzlich anders, Pflanzen nehmen die außerirdische Farbe an, bevor sie grau werden und zerfallen, das Wasser schmeckt anders, die Bäume bewegen sich trotz Windstille, die Tiere drehen durch und sterben. Schließlich verändern sich Gardner und seine Familie, der Wahnsinn greift um sich. Übrig bleiben am Ende der steinernen Teil der Farm und der Brunnen sowie die Erkenntnis, dass das mittlerweile grau gewordene Gebiet jährlich größer wird. Geschildert wird in einem nüchternen, beklemmenden Stil der Prozess einer schleichenden Auflösung, die von einer zerstörerischen Kraft aus einer anderen Dimension herbeigeführt wird.

Es ist hier ganz besonders die Ungreifbarkeit der Bedrohung (dem Schriftsteller war wichtig, keine der damals typischen Science-Fiction-Elemente wie fliegende Untertassen und kleine grüne Männchen zu bemühen) und dem damit verbundenen Gefühl der absoluten Hilflosigkeit der Protagonisten, die nicht vielmehr als Spielbälle von Mächten abseits jeder menschlicher Erkenntnis sind, die im Fall der bis heute insgesamt fünf Verfilmungen von „Die Farbe aus dem All“ zu den unterschiedlichsten Ergebnissen geführt hat.

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Das Grauen auf Schloss Witley“ („Die, Monster, Die!“, 1965), wurde von Daniel Haller inszeniert, der zuvor für das opulente Szenenbild beim erwähnten „The Haunted Palace“ (und anderen Corman-Produktionen) verantwortlich war und mit dieser Verfilmung sein Regie-Debüt gab, allerdings weder hier noch mit den Nachfolgern (unter anderem „Devil’s Angels“, 1967 und The Dunwich Horror“, 1970) sonderlich großen Endruck hinterlassen konnte und schon bald in Richtung Fernsehen verschwand. Nicht ganz zu Unrecht. Der extrem detailverliebte und zudem schön bunte Gothic-Geisterbahn-Look ist sehenswert, allerdings hält man sich nur grob an Lovecraft beziehungsweise hat ein paar wenige Ingredienzien seiner Geschichte in eine reichlich konventionelle Gruselstory mit Science-Fiction-Einschlag verrührt, in der die Charaktere ein bisschen arg ausgiebig durch die Gänge eines großen Hauses latschen und am Ende mit dem – im wahrsten Sinne des Wortes – völlig verstrahlten Hausherren Ärger kriegen. Kann man, vor allem dank Boris Karloff, durchaus anschauen, bleibt aber nicht sonderlich lange haften, da einfach, wie praktisch alles von Haller, zu sehr Malen nach Zahlen.

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Ein kleiner Geheimtipp ist der viel zu oft übersehene, in Deutschland direkt auf dem Videomarkt veröffentlichte „The Curse“ (1987), das Regie-Debüt von David Keith, weitaus bekannter als Golden-Globes-nominierter Schauspieler (u.a. „Ein Offizier und ein Gentleman“, „Der Feuerteufel“ und „Daredevil“). Was diese Adaption besonders macht und vom Gros vieler gleichförmiger amerikanischer Horrorfilme dieser Zeit abhebt ist der Umstand, dass es sich um eine amerikanisch-italienische Co-Produktion handelt. Und so verbirgt sich hinter dem Namen des Co-Produzenten Louis Fulci natürlich kein geringerer als Splatterpapst und Lovecraft-Fan Lucio Fulci, der hier ebenso einen maßgeblichen Einfluss auf die so typischen lecker ekligen Mantsch-Effekten hatte. Jedenfalls wirkt die überwiegend gut gespielte Schauermär – an der Kamera stand mit Roberto Forges Davanzati ein weiterer Italiener mit einschlägiger Erfahrung („Cannibal Holocaust“, „Ein Zombie hing am Glockenseil“) – dank einer gewissen Zügellosigkeit (zu der auch Nacktszenen gehören), eher europäisch als amerikanisch. Als Lovecraft-Verfilmung sicherlich ebenso nicht das Wahre, allein schon weil zu konventionell in der Struktur (zum Beispiel gibt’s Überlebende), zudem viel zu unbeholfen in der Darstellung. Die etwas saloppe Machart der Italo-Spezialeffekte ist zwar wie immer wahnsinnig charmant, unterminiert aber in dem Fall natürlich den grundsätzlichen Ernst der Geschichte. Aber man muss dennoch zugestehen, dass die Macher sich zumindest in der ersten Stunde im Großen und Ganzen näher an der Vorlage halten als viele andere HPL-Verfilmungen davor und einen ganz guten Spagat zwischen Schauwerten und Raum für eigene Vorstellungen schaffen. Geht – bis auf den Soundtrack, der zuweilen mit geschmacksverwirrten Country-Gitarren für blutige Ohren sorgt – durchaus in Ordnung.

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H.P. Lovecrafts Saat des Bösen“ („Colour from the Dark“; 2008) stammt vom italienischen Indie-Filmer Ivan Zuccon, der sich in seiner Karriere mehrfach an HPL versucht hat, jedes Mal mit sehr stark wechselndem Erfolg. „Saat des Bösen“ verlagert die wieder deutlich stärker modifizierte Geschichte auf einen italienischen Bauernhof kurz vor Ende des zweiten Weltkriegs und besticht durch die für Zuccon so typische Unaufgeregtheit, das Böse entfaltet sich schleichend. Anfänglich atmosphärisch dicht, mit zunehmender Laufzeit aber anstrengend, da arg auf immer wieder reinpurzelnde Traumsequenzen gesetzt wird, die das Interesse am eigentlichen Geschehen schnell abflachen lassen. Zudem wird die Bedrohung viel zu sehr ausbuchstabiert. Während selbst die ersten beiden Verfilmungen dem Bösen zwar eine konkrete Form verleihen, aber immerhin Erklärungen aussparen, positioniert Zuccon die übersinnliche Erscheinung als eine dezidiert antichristliche Macht; das Ganze wird zu einer schlichten Gut vs. Böse-Mär banalisiert.

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Weithin als beste Adaption galt lange Zeit die deutsche Indie-Produktion „Die Farbe“ (2010) von Huan Vu und Jan Roth und das zu Recht. Die beiden Regisseure finden mit betörenden Schwarz-Weiß-Bildern, die an den film noir erinnern und in denen die Protagonisten oft als singuläre Erscheinungen in regelrecht erdrückende Landschaften oder verloren wirkend vor kargen Interieurs positioniert werden, die ideale Bildsprache, um vom Fleck weg die beklemmende Atmosphäre aufkommen zu lassen, für die der Meister aus Providence so berühmt ist. Die Farbe aus dem All ist dann tatsächlich das einzige farbige Element, was aber nicht als Gimmick, wie zum Beispiel bei „Sin City“ (2005), fungiert, sondern tatsächlich ein Einbrechen in eine geschlossene Welt markiert und aus diesem Grund umso befremdlicher und bedrohlicher wirkt. Eine gelungene, bildstarke Adaption, der man das vermutlich gerade mal Taschengeld-große Budget kaum ansieht. Lediglich die etwas hüftsteife Nachsynchro und ein verändertes, dramaturgisch verhältnismäßig konventionelles, von leichten Spielberg-Vibes umwehtes Ende demolieren den guten Gesamteindruck ein bisschen und stehen der kalten, pessimistischen Dunkelheit Lovecrafts quer gegenüber. Das ist aber selbstverständlich jammern auf Mount Everest hohem Niveau – „Die „Farbe“ sollte man nicht nur als Fan des Literaten unbedingt gesehen haben.

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Richard Stanleys aktuelle 12-Millionen-Dollar Fassung „Die Farbe aus dem All“ mutet fast schon wie ein Pendant zur deutschen Mikro-Produktion an. Statt in schwarz-weiß gibt es aber in schillerndsten Neon-Farben getunkte Bilder von berückender Schönheit und während der Film von Vu und Roth den Radius – auch dank einem noch zusätzlich hinzugefügten Subplot – recht breit hält, dadurch allerdings ein wenig Distanz erzeugt, zoomt Stanley ganz nahe ran, schält den Kern der Geschichte heraus und bleibt nahezu die komplette Laufzeit auf der Farm der Gardners und erzählt letztendlich tatsächlich nichts weiter als vom Niedergang einer Familie, von einer Gruppe Menschen, die zum hilflosen Spielball überirdischer Mächte wird.


„Die Farbe aus dem All“; Koch Media GmbH

Dabei irritiert der Film zu Anfang, denn zum ersten Mal findet sich ein gewisser Humor, der nicht nur dadurch erzeugt wird, dass das von Schauspiel-Exzentriker Nicolas Cage dargestellte Familienoberhaupt hier Alpakas (!) züchtet und das Melken mit launigen Sprüchen begleitet („You have to be very gentle with the boobs!“), sondern außerdem dadurch, dass in einer Hütte auf dem Grundstück Waldschrat Ezra haust, der von keinem geringeren als Kiffer-Guru Tommy Chong in entsprechend hippiesker Montur gespielt wird. Aber mit zunehmender Laufzeit verdichtet das im übrigen auch exzellent getaktete Drehbuch langsam aber sicher das Bedrohungsszenario und gleitet schlussendlich in ein fluoszierendes, psychedelisches Farbenspiel über, gewürzt mit einer großen Priese Wahnsinn und den erwartbaren, aber hier durchaus passenden Schauspiel-Manierismen von Nicolas Cage, das in der totalen Auflösung endet. Über die behutsam eingesetzten, gut gemachten Splatter-Momente kann man sich streiten. Einerseits passt explizite Gewalt überhaupt nicht zu Lovecraft, anderseits verleiht der Aderlass dem Schicksal der Familie ein gewisses Maß an zusätzlicher Eindringlichkeit. Der springende Punkt ist: zusammen mit den Gardners verlieren auch die Zuschauer langsam jeden Halt. Nicht nur, dass sich das Böse aus dem All hier in deutlich vielfältigeren Formen als in allen Filmen zuvor manifestiert, regelrecht aus allen Ritzen des Hauses und des Grundstücks tropft, selbst der anfänglich als love interest für Tochter Lavinia (Madeleine Arthur) und potenzieller Held eingeführte Hydrologe Ward (Elliot Knight) verschwindet über weite Teile komplett aus der Handlung und kann am Ende nur mit Entsetzen auf die Geschehnisse schauen.


„Die Farbe aus dem All“; Koch Media GmbH

Dass Stanley bereits als kleiner Junge von seiner Mutter mit Lovecraft-Stories gefüttert wurde merkt man an einem Punkt, den bisher nur sehr wenige Verfilmungen berücksichtigt hat, der aber ein nahezu durchgängig inhärentes Motiv im Schaffen von Lovecraft ist: Die majestätische Erhabenheit der um sich greifende Mächte, die pure Größe der unfassbaren Gewalten, in deren Angesicht der Mensch und seine banale Alltagswirklichkeit nur kleine, völlig unwichtige Fragmente sind, mit denen beliebig verfahren werden kann. Während in der Bearbeitung von 2010 die Farbe aus dem All in einen geschlossenen Raum eindringt, ihn stört, zerbricht, aber nicht unbedingt wie eine universell verschlingende Entität wirkt, formt die Farbe aus dem All hier die Alltagswirklichkeit zu einer neuen, ästhetisch atemberaubenden, aber ambivalenten, da tödlichen, komplett neuen Realität um – was von Colin Stetsons („Hereditary – Der Vermächtnis“) unglaublich faszinierender, wuchtiger und vermutlich vor allem elektronisch erzeugter Experimental-Musik noch zusätzlich auf das Kongenialste unterstrichen wird. Am schönsten wird das in einer Sequenz deutlich, in der Cage von der Farm fahren will, das Auto aber nicht anspringt, Cage einer seiner typischen Cage-Ausraster kriegt, daraufhin aussteigt und erkennen muss, wie sehr sich seine gewohnten Umgebung unter dem außerirdischen Einfluss bereits verändert hat. Das Entscheidende: Nicht wirklich zum Schlechteren, sondern eher zum Besseren. Zu einer der im Vergleich überholt anmutenden Wirklichkeit völlig entrückten, geheimnisvollen Märchenland-Vegetation, in der der Mensch allerdings wie ein Fremdkörper wirkt; besser kann man die pure Power kosmischer Kräfte kaum visualisieren.

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Zum Schluss die natürlich sich aufdrängende Frage, welcher der zwei letztgenannten Titel das Gedruckte nun am besten ins bewegte Bild transferiert? In Sachen Literaturverfilmung haben mit Sicherheit Vu und Roth weiterhin die Nase vorne, Lovecraft-Puristen werden sich bei Stanleys Adaption vermutlich entsetzt Ctuhlhu herbeiwünschen. Allerdings hat Stanley Mittel und Wege gefunden, die Kunst des legendären Eigenbrödlers auf der Leinwand deutlich spürbarer zu machen. Und das ist mit Sicherheit ebenso legitim.

Richard Stanleys „Die Farbe aus dem All“ ist seit dem 30.04.2020 von Koch Films als VOD, DVD, Blu-ray, Ultra HD Blu-ray Mediabook und als Ultimate Edition erhältlich. Die Ultimate Edition enthält die hier vorgestellten Verfilmungen „Das Grauen von Schloss Witley“, „The Curse“ und „Die Farbe“.

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