14. Mai 2017 1 Likes

Die Zombiekrise geht auch anders

Zwei Low-Budget-Zombiefilme aus Japan

Lesezeit: 5 min.

Subgenres sind heilige Kühe. Meist gibt es einen kleinen Kanon von Romanen oder Filmen, an denen sich der Kreative gefälligst zu orientieren hat. Wem das nicht passt, wird schnell der Häresie bezichtigt. Ein besonders gutes Beispiel ist der Zombiefilm, dessen heilige Kuh George A. Romero heißt. Der hat mit „Night of the Living Dead“ und mehr noch mit „Dawn of the Dead“ ein für allemal geklärt, wie so ein Zombie aussieht und wie er sich – verdammt – zu benehmen hat. Wer von der Formel abweicht, kriegt von den Hardcore-Fans sofort Stress. Wehe, die Zombies sind zu schnell, zu intelligent, nicht hirngeil oder nicht verwest genug. Und bitte, bloß kein CGI-Blut – Teufelswerk, mindestens. Die TV-Adaption der Comic-Serie „The Walking Dead“ (deren Roman-Ableger es bei uns im Shop gibt) ist da (fast) exemplarisch puristisch geraten, und der Erfolg auch weit über die enge Zombiefilmfangemeinde hinaus gibt der „Marktforschung“ in der Angelegenheit dann sogar irgendwie recht.

Schön ist es aber dennoch, wenn sich die Autoren trotzdem nicht davon abschrecken lassen und Abwechslung auf den Tisch bringen. Selbst wenn sie dafür aus der Gemeinde verstoßen werden. Danny Boyle machte „28 Days Later…“ (2002), Robin Campillo „Les revenants“ (2004), Bruce McDonald „Pontypool“ (2009), Henry Hobson „Maggie“ (2015), Ben & Chris Blaine „Nina Forever“ (2015) und Colm McCarthy inszenierte „The Girl with all the Gifts“ (2016). Und das sind zum Glück längst nicht alle.

„Schoolgirl Apocalypse“

Auch in Fernost werden Zombiefilme gemacht, was man hier im Westen spätestens nach Ryuhei Kitamuras „Versus“ (2000) begriffen hat, ein Wald/Martial-Arts/Fun-Splatter, der sich tief vor Sam Raimi & Co. verbeugte und trotzdem etwas ganz eigenes war. In der Folge bestand der Output aus Japan aber vor allem aus Exploitationfilmen à la „Stacy“, „Tokyo Zombie“, „Inglorious Zombie Hunters“, „Zombie Killer“, „Yoroi Samurai Zombie“, „Zombie Ass“ oder „Rape Zombie“, häufig – man ahnt es an den Titeln – mit deutlich unernstem Einschlag, auch wenn die Blutpumpen unter Überdruck standen. Ausnahmen von dieser Rohkost sind z.B. Sabus Arthouse-Streifen „Miss Zombie“ (2013), aber auch die gerade von Midori-Impuls veröffentlichten Low-Budget-Filme „Schoolgirl Apocalypse“ (2011) und „Undertaker“ (2012).

Schoolgirl Apocalypse“ wurde von dem in Japan lebenden Amerikaner John Cairns inszeniert, aber die Herkunft des Regisseurs merkt man dem Film nicht an. „Schoolgirl Apocalypse“ ist durch und durch japanisch und das heißt auch: als mitteleuropäisches Gewohnheitstier, das vor allem an angloamerikanische Film- und TV-Kost und dessen Nachahmer gewöhnt ist, muss man sich ein wenig umstellen. Denn Tempo, Rhythmus, Erzählweise, Motive, eigentlich ist alles etwas anders. Man sollte sich auch nicht vom reißerischen Titel und dem bunten Cover des Mediabooks in die Irre leiten lassen. Wer Mädchen in kurzen Rücken mit Kniestrümpfen und fetten Waffen auf Zombiejagd erwartet, dürfte ziemlich enttäuscht werden.

Der Film beginnt zu einem Zeitpunkt, an dem die im Titel beschworene Apokalypse bereits begonnen hat. Das Schulmädchen Sakura, das in einem idyllischen Vorort ein typisch idyllisches Schulmädchenleben samt Matrosenuniform und mit Glücksbringern beschwertem Handy lebt, sieht die Zeichen und ignoriert sie zunächst, bis sie daheim von ihrem Vater angegriffen wird, der sich in ein blutrünstiges Ungetüm verwandelt hat. Alle Männer haben sich verwandelt, und das kriegt Sakura schnell zu spüren. Aber es dauert eine Weile, bis ihr wirklich bewusst wird, dass sich die Welt, die sie kennt, drastisch verändert hat. Sie reagiert so, wie vermutlich die meisten reagieren würden: hilflos und verschreckt. Dass sie überlebt, ist eigentlich ein Wunder.

„Schoolgirl Apocalypse“

Und ein Wunder ist auch, was nun geschieht. Denn Cairns ignoriert praktisch sämtliche Klischees des Subgenres und geht einfach mal völlig neue Wege. Zwar kommt es auch hier zur Bildung einer Minigruppe, die ums Überleben kämpft, aber wie diese Gruppe aussieht und mit was sie es zu tun bekommt, hat nichts mehr mit dem zu tun, was man gemeinhin erwarten würde. Denn der Auslöser der Zombie-Epidemie hat auch Auswirkungen auf die weibliche Bevölkerung, allerdings völlig andere als bei den Männern. Und die Ursache selbst – tja, das ist dann etwas, was Puristen wohl endgültig in den Wahnsinn treibt. Aber wer einfach offen ist und sich mitreiben lässt, dürfte eine positive Überraschung erleben.

Das Mediabook kommt übrigens mit schöner Ausstattung daher: Im Booklet findet sich ein Interview mit Cairns und eine vom ihm signierte Postkarte, und auf der Scheibe selbst gibt es ein (anderes) Interview mit dem Regisseur, eins mit Hauptdarstellerin Higarino und ein paar Kleinigkeiten, darunter ein wirklich niedlicher Trickfilm von Cairns über das Japan Filmfest Hamburg.

Naoyoshi Kawamatsus „Undertaker“ ist „Schoolgirl Apocalypse“ gegenüber zwar weniger gewagt (oder durchgeknallt, ganz wie man will), dafür aber sehr konzentriert und mit gut 60 Minuten Länge auch ökonomisch auf den Punkt. Das Budget war erkennbar noch geringer als bei Cairns, aber das macht das Team um Kawamatsu mit Fantasie und Stilwillen wett.

Auch in „Undertaker“ hält man sich nicht lange mit großen Vorreden auf. Gleich zu Beginn werden die Menschen evakuiert, aber das Unglück lässt sich nicht mehr aufhalten. Der Held der Geschichte wird als Kind von einer alten Frau gerettet und tritt Jahre später in deren Fußstapfen. Denn diese „Walking Dead“ sind nicht ganz so gut zu Fuß wie ihre Genre-Kollegen und bleiben weitgehend am Ort ihres Todes. Das eröffnet überlebenden Angehörigen die Chance, sie von ihrem Leid zu erlösen. Und da kommt nun unser Held, der „Undertaker“, ins Spiel, der gegen Honorar den gewünschten Untoten findet und umlegt. Nur mit einer etwas modifizierten Schaufel bewaffnet dringt er ins Gebiet der Untoten vor und erledigt seinen Job.

Das ist genau so stoisch und wortkarg, wie es klingt. Ein guter Teil des Films spielt in einer dunklen, leeren Mall, wo der Held sein „Opfer“ vermutet. Hier wird es nun regelrecht existentialistisch, denn mit einer herkömmlichen Actionsequenz hat das, was Kawamatsu da inszeniert, nur noch am Rande zu tun. Und die Auflösung dieser Sequenz, die einen Bogen zum Beginn des Films schlägt, ist so nüchtern wie niederschmetternd.

„Undertaker“

Auch dieses Mediabook ist liebevoll zusammengestellt. Im Booklet befindet sich ein „Undertaker“-Manga, ein kurzes Interview mit Naoyoshi Kawamatsu und eine vom ihm signierte Postkarte, während sich auf der Disc ein unterhaltsamer Audiokommentar von (unserem Kollegen) Thorsten Hanisch und Andrea Sczuka befindet, die den Film kenntnisreich begleiten, erläutern und einordnen.

Beide Filme machen große Lust auf mehr. Mehr Genre-Beiträge, die Risiken eingehen und ausgelatschte Pfade verlassen. Dafür muss man manchmal weite Wege gehen, auch bis Japan. Aber der Weg lohnt sich, denn plötzlich sieht man wirklich Neues, Frisches, Atemberaubendes. Selbst in diesem Subgenre, das oft so tot wirkt.

Großes Bild ganz oben aus „Undertaker“. Alle Abb. © Midori-Impuls

Schoolgirl Apocalypse • Japan 2011 • Regie: John Cairns • Darsteller: Higarino, Max Mckenzie, Asami Mizukawa, Kaoru Nishida, Mai Tsujimoto

Undertaker • Japan 2012 • Regie: Naoyoshi Kawamatsu • Darsteller: Tomoka Asano, Yoshito Kobashigawa, Soako Roman, Yuina Kumakura, Tetsuyaa Masumitsu

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