7. Februar 2016 5 Likes

„Die Welt hat die Fiktion eingeholt“

Netflix, Cyberpunk und mehr: Im Gespräch mit Richard Morgan

Lesezeit: 5 min.

Der 1965 in London geborene Richard Morgan (im Shop) arbeitete als Englischlehrer und unterrichtete unter anderem an der University of Strathclyde, ehe er 2002 seinen ersten, prompt mit dem Philip K. Dick Award ausgezeichneten Science-Fiction-Roman „Altered Carbon“ alias „Das Unsterblichkeitsprogramm“ (im Shop) veröffentlichte. Neben zwei weiteren Cyberpunk-Romanen über den Ermittler Takeshi Kovac verfasste Morgan noch andere SF-Werke, Fantasy-Bücher wie das sexuelle Genre-Tabus angehende „Glühender Stahl“, Comics mit Marvels Rächerin Black Widow und Videospiele wie „Crysis 2“ oder „A Land Fit for Heroes“. Als nächstes ist im englischsprachigen Original sein SF-Roman „Thin Air“ angekündigt. Darüber hinaus wurde vor wenigen Tagen bekanntgegeben, dass der angesagte, nicht zuletzt auf gut gemachten und exklusiven Original-Content setzende Streaming-Dienst Netflix „Das Unsterblichkeitsprogramm“ als 10-teilige Serie adaptieren wird, an deren Umsetzung die gestandene Drehbuch-Autorin und Produzentin Laeta Kalogridis („Avatar“, „Terminator: Genisys“, „Shutter Island“) großen Anteil hat. Im Interview spricht Richard Morgan über Streaming, sein Mitwirken an der Netflix-Adaption, Dune (im Shop), William Gibson (im Shop) und ein neues Goldenes Zeitalter der Science-Fiction.

Hallo Richard. Nutzt du selbst Streaming-Dienste?

Jepp – sowohl Netflix als auch Amazon. Angesichts der Menge an frischem Content da draußen ist es ein ziemlich unverzichtbares Zugangs-System.

Hast du aktuell eine Lieblings-Serie?

Momentan keine ernsthaften Favoriten – ich habe „True Detective“ zuerst via Streaming gesehen, und als wir damals noch bei einer Staffel waren, hätte ich es sicherlich als Liebling genannt, aber nach der zweiten Staffel natürlich nicht mehr so sehr … Zuletzt bin ich in eine Vielzahl Stoffe eingetaucht, und das ist selbstverständlich das Wunderbare an diesem System – ich bin zum Beispiel ein großer Fan von „Catastrophe“ und „Mozart in the Jungle“, und beide sind die Art Serie, die ich nie und nimmer als DVD-Box im Laden in die Hand genommen hätte. Streaming erweitert deinen Zuschauer-Horizont, keine Frage.

Lange war eine Verfilmung von „Das Unsterblichkeitsprogramm“ geplant – wie wurde daraus letztlich ein Serien-Projekt von Netflix?

Um den Geist des Buches nicht zu töten, hat Laeta Kalogridis im Grunde ein Film-Drehbuch geschrieben, das jeder liebte, für das aber niemand das Geld auftreiben konnte. Die Liste der Regisseure, die über das Studio-Budget verfügen können, das man für so einen Film benötigt, ist verdammt kurz – und unglücklicherweise waren all diese Burschen beschäftigt. An diesem Punkt zuckt der durchschnittliche Hollywood-Mitspieler eigentlich mit den Schultern, schreibt ein paar Jahre harter Arbeit als Erfahrung ab, gibt dir dein Eigentum zurück und zieht weiter zu neuen Weidegründen. Und es waren alle Anzeichen dafür vorhanden, dass genau das passieren würde. Aber Laeta Kalogridis ist in keiner Weise durchschnittlich und gab nicht einfach so auf. Sie ist ein großer Fan des Romans und sagte mir schon 2010, dass es für sie ein Herzensprojekt sei.

Und diese Leidenschaft sowie eine glückliche Begegnung reichten aus, um es klarzumachen. Kalogridis arbeitete mit [red.: Produzent und Geschäftsführer] David Ellison bei Skydance an anderen Projekten, und irgendwann sprachen die beiden über das Problem, „Das Unsterblichkeitsprogramm“ auf die Leinwand zu bekommen. Wie sich herausstellte, war Ellison ein weiterer Fan des Buches, und seine Lösung war simpel: Wenn es die Transformation in einen Zwei-Stunden-Film nicht verträgt, wieso dann Kompromisse eingehen? Mach eine Big-Budget-TV-Serie daraus, und du bekommst acht, zehn, vielleicht zwölf Stunden Laufzeit. Alle Zeit der Welt, um die Seele des Romans im Ganzen auszulegen. Ach ja, und Skydance fände es toll, Teil genau davon zu sein. Der Rest ist – bald geschriebene – Geschichte. Der Ellison/Kalogridis-Pitch war so leidenschaftlich und großartig, dass Netflix nicht einmal nach einem Piloten fragte. Sie gaben zehn Folgen bei maximal ausgereiztem Budget in Auftrag, einfach so.

Wirst du in die Adaption involviert sein?

Ja. Mein Vertrag legt fest, dass ich als Berater fungiere, doch darüber hinaus wurde ich nun dazu eingeladen, Zeit im Writer’s Room der Serien-Autoren zu verbringen, an Drehbüchern mitzuwirken und vielleicht sogar ein oder zwei Episoden allein zu übernehmen (Letzteres hängt jedoch von den zeitlichen Bedingungen bei mir und beim Projekt ab). Später in diesem Jahr werde ich mich auf den Weg nach L. A. machen, um das Autoren-Team zu treffen, und wir werden sehen, wie sich die Dinge entwickeln.

Es sind beinahe 15 Jahre seit Veröffentlichung des Buches vergangen, und doch ist es noch immer für eine Adaption relevant. Zeigt das, dass du eine zeitlose SF-Vision ersonnen hast?

Ich denke, die Stärke von „Das Unsterblichkeitsprogramm“ liegt darin, dass es Themen adressiert, die im Kern nicht ausdrücklich Science-Fiction sind. Nominell behandelt es eine zukünftige Technologie, sicher – doch die Fragen, die es wirklich stellt, haben mehr mit dem tieferen Menschsein zu tun. Wer bin ich wirklich? Wo liegen meine Grenzen? Was wäre ich bereit oder nicht bereit zu tun, um zu überleben? Natürlich gibt es die Diskussion, dass das in Wahrheit der ganze Zweck von Science-Fiction ist – nicht die Zukunft zu visualisieren, sondern eine imaginäre Zukunft als Lupe zu nutzen, mit der man die Gegenwart und die Ewigkeit untersucht. Also habe ich möglicherweise zumindest das erreicht.

Wenn du dir die Rahmenbedingungen und das Klima für SF-Adaptionen in serieller Form betrachtest – ist ein Teil von dir sogar froh, dass es zwar spät, aber dafür eben genau jetzt was wird mit der Adaption durch Netflix?

Nun, ich bin froh, dass es passiert, Punkt, und Jetzt ist der einzige Zeitpunkt, den wir jemals hatten, insofern ist das alles womöglich von rein theoretischem Interesse. Aber wenn du meinst, ich sei froh darüber, dass der Film nicht 2003 zustande kam, dann nein, das wäre für mich auch in Ordnung gewesen – es hätte die Bücher stark ins Rampenlicht gerückt und mir gleich zu Beginn meiner Karriere neue Türen und Möglichkeiten eröffnet. Und wer weiß, wenn der Film dann nicht so grandios geworden wäre, hätte man daraus zehn Jahre später vielleicht so oder so eine Netflix-Serie gemacht! Schau dir an, was am Ende „Dune“ passiert ist.

Hat das große Interesse, das andere Medien und Nicht-SF-Fans derzeit an der Science-Fiction haben, mit der massiven Digitalisierung unserer modernen Welt zu tun?

Meiner Meinung nach ist folgendes passiert: Die Welt hat die Fiktion eingeholt. Wir leben in einer Ära, in der unser alltägliches Leben angefangen hat, zunehmend Science-Fiction zu gleichen. Wir nutzen Geräte, die Dinge im originalen „Star Trek“ und „Star Wars“ geradezu klobig und altmodisch aussehen lassen, und regelmäßig tauchen Nachrichten über – zum Beispiel – Gen-Technik und Roboter-Systeme auf, die sich lesen, als wären sie den Seiten eines Sci-Fi-Thrillers aus den Siebzigern entrissen. Es sieht allmählich so aus, als hätte allein Science-Fiction das Vokabular und die innere Architektur, um die Zeiten zu behandeln, in denen wir leben. Deshalb verbiegt sich die allgemeine Fiction verstärkt, bis sie dem Genre ähnelt.

Mit all den Blockbustern und Serien … denkst du, wir betreten ein neues Goldenes Zeitalter der Science-Fiction?

Absolut – aber wenn ich ehrlich sein soll, denke ich, dass das ein Prozess ist, der mindestens seit den späten Achtzigern kontinuierlich läuft, vermutlich sogar früher startete. Schau dir den gewaltigen Erfolg von Franchisen wie „Alien“ oder „Terminator“ an, die 1979 beziehungsweise 1984 an den Start gingen. „Star Wars“ sogar noch früher. Und William Gibson war ab 1982 der Stolz der Literaten. In mancher Hinsicht könnte man argumentieren, dass die Cyberpunk-Gang die Renaissance lostrat, die seitdem ununterbrochen läuft.

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.