10. Januar 2015 3 Likes 1

Unbarmherzige Natur

„Nach dem Sturm“ von Michael Farris Smith

Lesezeit: 3 min.

Apokalyptische Szenarien gehören von jeher zum festen Inventar der Science-Fiction. Von Atomkriegen, Kometeneinschlägen bis hin zu Invasionen fieser Aliens werden dem Leser in Film und Literatur unzählige mehr oder weniger spektakuläre Möglichkeiten geboten, wie die Welt zugrunde gehen könnte. Natürlich findet die Apokalypse nicht immer auch bis zur letzten Konsequenz statt – meistens überleben dann aus dramaturgischen Gründen eben doch ein paar der Helden. In letzter Zeit bedrohten sowohl auf der Leinwand als auch zwischen den Buchdeckeln besonders Zombies und andere von Viren oder fehlgeschlagenen „militärischen Experimenten“ am Sterben gehinderte Gestalten das Überleben der Menschheit.

Auf ganz andere und wesentlich realistischere Weise geht die Zivilisation in Michael Farris Smiths vorliegendem Debütroman den Bach runter. In „Nach dem Sturm“ (im Shop) schlägt der Klimawandel voll zu und lässt weite Teile der USA im Dauerregen ersaufen. Verschärft wird die Situation durch ständige, immer heftiger werdende Hurrikans. Da die Situation längst nicht mehr von irgendwelchen staatlichen oder anderen offiziellen Kräften beherrscht werden kann, überlässt man einen Großteil des Landes sich selbst bzw. dem Zorn von Mutter Natur und zieht sich hinter eine recht willkürlich gewählte „Linie“ zurück.

Jenseits dieser im Grunde reichlich imaginären Trennlinie zwischen Zivilisation und Verwüstung bleiben nur wenige Menschen zurück, die ihre Heimat aus den verschiedensten Gründen nicht verlassen wollen. Einer dieser sturen Zurückgebliebenen ist Cohen, der bei einem Sturm seine hochschwangere Frau verloren und niemals aufgehört hat, um sie und ihr ungeborenes Kind zu trauern. Neben dem immer schlimmer werdenden Wetter stellen Banden von Plünderern und gewalttätigen „Schatzsuchern“, die im Grunde nur Phantastereien und Gerüchten von riesigen vergrabenen Geldsummen hinterherjagen, eine zunehmende Bedrohung für Cohen dar.

Tatsächlich wird er eines Tages von der jungen Frau Mariposa und dem Jungen Evan überfallen, ausgeraubt und schwer verletzt. Dabei werden ihm auch seine Erinnerungsstücke an seine tote Familie geklaut. Nachdem er sich auf die Spur von Mariposa und Evan gesetzt hat, stellt er fest, dass sich die beiden zusammen mit einigen anderen Überlebenden in der Gewalt des verrückten Aggie befinden, der sie zu dem Überfall gezwungen hat. Doch Cohen ist kein strahlender Held und so schließt er sich zunächst der Gruppe an, zumindest so lange, bis die gespannte Situation eskaliert und es zum Kampf kommt.

Erfreulicherweise macht es sich Michael Farris Smith bei der Beschreibung dieses Konfliktes alles andere als leicht. Mit der Gestalt des religiös verblendeten Machtmenschen Aggie, der ausschließlich nach seinen eigenen kruden Wertmaßstäben lebt und handelt, schafft er eine sehr kraftvolle allegorische Gestalt, die für das Versagen der Zivilisation steht. Im Gegensatz zu anderen Autoren, die ihren Helden in derartigen Konstellationen Gelegenheit geben, sich zu beweisen, erkennt Smith sehr gut, dass es eben nicht so einfach ist, sich derartigen Grenzsituationen durch Gewalt zu entziehen. Auch als Cohen gemeinsam mit Mariposa, Evan und einigen anderen Überlebenden schließlich entkommt und den Entschluss fasst, sich gemeinsam mit ihnen zur Sicherheit versprechenden „Linie“ durchzukämpfen, mutiert diese im Grunde gebrochene Figur niemals zum Helden. Vielmehr bleiben Cohen und seinen Leidensgefährten kaum jemals irgendwelche echten Handlungsoptionen. Sogar noch als sie ihr Ziel schließlich erreichen und feststellen müssen, was es mit der „Linie“ tatsächlich auf sich hat, bleiben sie wie eben alle Flüchtlinge aus Katastrophengebieten im wahrsten Sinne des Wortes gebeutelte Opfer der Stürme und vor allem der Gier und Dummheit ihrer Mitmenschen.

Obwohl „Nach dem Sturm“ alles andere als ein actionlastiger Roman ist, passiert hier ungeheuer viel. Smith schafft es nicht nur, die Auswirkungen der Wetterkatastrophe absolut realistisch zu schildern, sondern beleuchtet auf geradezu geniale Weise das Innenleben seiner Protagonisten. Damit kann „Nach dem Sturm“ auf erfreuliche Weise mit Cormac McCarthys Meisterwerk „Die Straße“ verglichen werden, das ebenso unprätentiös und damit ungemein eindringlich eine Katastrophe und deren Auswirkungen auf das (Innen-)Leben der Überlebenden schildert. Michael Farris Smith legt mit „Nach dem Sturm“ mit Sicherheit einen der besten SF-Romane der letzten Zeit vor. Wer nach der Lektüre dieses inhaltlich wie auch stilistisch überzeugenden Buches die Bedrohung durch den Klimawandel immer noch auf die leichte Schulter nimmt, hat es verdient, im Regen stehen gelassen zu werden.

Michael Farris Smith: Nach dem Sturm • Wilhelm Heyne Verlag, München 2014 • 445 Seiten • € 8,99 (im Shop)

Kommentare

Bild des Benutzers Horusauge

Das richtige Buch zur heutigen Wetterlage, danke für den Tipp!

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.