13. Juni 2017 1 Likes

Die kaputten Staaten von Hysteria

Eine grelle Panel-Dystopie von Comic-Legende Howard Chaykin

Lesezeit: 3 min.

In seiner brandneuen Comic-Serie „The Divided States of Hysteria“, deren erste US-Ausgabe soeben beim Image Verlag erschienen ist, nimmt der legendäre Panel-Künstler Howard Chaykin den politischen und gesellschaftlichen Status quo seiner amerikanischen Heimat ins Visier. Der 1950 in Newark, New Jersey geborene Autor und Zeichner zeigt eine nahe Zukunft, in der die destabilisierte USA von Angst, Paranoia, Terror, Rassismus, Sexismus, Hass, Gewalt und Mord beherrscht werden. Der wie beiläufig fremdgehende FBI-Agent Frank Villa ist außerdem fest davon überzeugt, dass Washington nur einem Monat nach einem gescheiterten Putschversuch, bei dem der Präsident und ein Großteil des Kabinetts starben, ein schwerer Terroranschlag ins Haus steht. Allerdings kann er niemanden in einer der alles belauschenden, alles mit Drohnen überwachenden Behörden von seinem Verdacht überzeugen, während Amerika von Shitstorm zu Shitstorm, von Gewalttat zu Gewalttat und von Hassverbrechen zu Hassverbrechen jagt. Nur eines ist sicher: Die Zustände im selbstverliebten Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten und der grenzenlosen Hysterie werden jeden Tag schlimmer und hässlicher. Und dann macht es boom …  

Howard Chaykin begann seine Karriere als Assistent von Gil Kane, der den Tod von Spider-Mans großer Liebe Gwen Stacy und das Debüt von Green Lantern Hal Jordan zu Papier brachte. Bereits in den 70ern erfand der entsprechend beeinflusste Chaykin den Super-Abenteurer Dominic Fortune, überdies adaptierte er Alfred Besters SF-Romanklassiker „Tiger! Tiger!“, Robert E. Howards Barbaren Conan und den ersten „Star Wars“-Film (im Shop) in Panel-Form. Daneben illustrierte er Werke von Roger Zelazny (im Shop) und Graphic Novels der SF-Größen Michael Moorcock und Samuel R. Delany. In den 80ern half Chaykin mit seiner im Jahr 2030 angesiedelten Polit-Satire „American Flagg!“ dann dabei, das Comic-Medium in Übersee und der Epoche von „Watchmen“ und „Die Rückkehr des Dunklen Ritters“ endgültig erwachsen zu machen. Gleichzeitig belebte Chaykin den Pulp-Helden Shadow neu, ersann den höllisch expliziten Erotik-Comic „Black Kiss“, inszenierte diverse Alternativwelt-Geschichten um Batman und interpretierte gleich zwei Mal – einmal als Zeichner, einmal als Autor mit Mike Mignola am Bleistift – die Abenteuer von Fafhrd und dem Grauen Mausling nach Fantastik-Großmeister Fritz Leiber. In den letzten Jahren arbeitete Chaykin an Titeln wie „American Century“, „The Rawhide Kid“, „Punisher War Journal“, „Hawkgirl“, „Blade“, „Avengers“, „Die Hard – Stirb langsam: Das erste Jahr“, „Satellite Sam“ sowie einem Comic-Revamp von Buck Rogers.

Und jetzt sorgt der unermüdliche, optisch im Grunde seit Jahrzehnten polarisierende und zugleich unverkennbare Mr. Chaykin mit seinem jüngsten Werk „The Divided States of Hysteria“ wieder einmal für Furore – man könnte auch sagen: für einen kalkulierten grellen Aufreger in der ‚dankbaren’ Ära der NSA-Abhörskandale, des so genannten Kriegs gegen den Terror und des anhaltend irritierenden Einzugs von Donald Trump ins Oval Office. Was der erfahrene Comic-Aufwiegler selbst natürlich am Besten weiß. „Black Kiss wurde in England und in Kanada damals indiziert“, erinnerte sich Chaykin kurz vor Veröffentlichung der Auftaktnummer seines neuen Projekts und fügte im werbewirksamen Statement halb ironisch hinzu: „The Divided States of Hysteria könnte durchaus dazu führen, dass ich hier in den guten alten Vereinigten Staaten festgenommen werde.“

Das erste US-Heft ist jedenfalls furcht- und ruchlos mit der ganz groben Kelle hochgezogen – eine Wirkung, die durch Chaykins rustikalen Strich und sein übliches Seitenvokabular noch verstärkt wird. Wie nicht anders zu erwarten, geriet das erste Kapitel seines Near-Future-Szenarios äußerst plakativ und provokativ in seiner satirisch-überzogenen Bestandaufnahme dessen, was vom viel besungenen American Dream und seiner selbstmythologisierten Freiheit derzeit noch übrig ist. Wer es mag, wenn ein erfahrener Comic-Grenzgänger und Auf-Den-Busch-Klopfer wie Howard Chaykin ohne große Feinheiten aus allen Rohren feuert und die political correctness beim ungezügelten Draufhauen und zynischen Extrapolieren Zuhause lässt, kann den hysterischen, kaputten Staaten durchaus mal einen Besuch abstatten.

Das zweite US-Heft kommt am 12. Juli in gedruckter und digitaler Form heraus.

Howard Chaykin: The Divided States of Hysteria #1 • Image, Berkeley 2017 • 32 Seiten • $ 3,99 • Sprache: Englisch

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