10. April 2014

Dystopie vom Reißbrett

„Divergent – Die Bestimmung“ im Kino

Lesezeit: 3 min.

Nichts lieben die Buchhalter von Hollywood so sehr wie eine Franchise. Eine Reihe von drei, vier oder noch mehr Filmen, in aller Regel basierend auf einer erfolgreichen und damit am Markt etablierten Buchreihe, fast immer mit Action/ Fantasy/ Science-Fiction-Elementen angereichert, fast immer mit jungen, hübschen Menschen in der Hauptrolle. In den letzten Jahren erfreuen sich besonders Adaptionen so genannter Young Adult-Romane großer Beliebtheit, Bücher für junge Erwachsene, genauer gesagt für Teenagermädchen, die Geschichten vom Erwachsenwerden, der ersten Liebe und genereller Selbstfindung aufsaugen und zu Heerscharen ins Kino rennen. Dass klappte bei den „Twilight“-Filmen und der „Tribute von Panem“-Saga so gut, dass selbst Flops wie „Beautiful Creatures“ oder zuletzt „Vampire Academy“ die Suche nach einer neuen Franchise nicht stoppen können.

Und dem sehr ordentlichen Erfolg an den amerikanischen Kinokassen zu urteilen, hat die Produktionsfirma Summit Entertainment mit der „Divergent“-Reihe eine neue Gelddruckmaschine an Land gezogen. Zwar hat die Roman-Trilogie der jungen amerikanischen Autorin Veronica Roth nur drei Teile, doch bei Bedarf lassen sich sicherlich Kurzgeschichten oder Prequels zu zusätzlichen Fortsetzungen verarbeiten.

Mit gerade einmal 20 Jahren schrieb Roth den ersten Teil der Reihe und hatte spätestens mit Verkauf der Filmrechte ausgesorgt. Ob dass ihr Plan gewesen ist bleibt offen, schaut man sich an, wie sehr sich ihre Welt an bekannte Vorbilder anlehnt, ist man fast versucht, an eine sehr clevere Vermarktungsstrategie zu denken.

Schauplatz ist das Chicago der Zukunft, das nach einem Krieg von einer Mauer umgeben ist. Die Menschen sind in fünf Gruppen aufgeteilt, unterschieden durch Charaktereigenschaften:

Altruan – die Selbstlosen, Candor – die Freimütigen, Ken – die Wissenden, Amite – die Friedfertigen, Ferox – die Furchtlosen. Mit 16 müssen alle jungen Menschen dieser Welt sich für eine der Gruppen entscheiden, denn: „die Gruppe ist wichtiger als das Blut.“ Was sich wie eine Mischung aus den Hungerspielen Panems und der Lernzirkel-Wahl Harry Potters anhört ist in Neil Burgers Filmversion kaum mehr als Hintergrund für eine ausgewälzte Selbstfindungsgeschichte der schüchternen Tris (Shailene Woodley). Diese ist eigentlich in einer Familie der Selbstlosen aufgewachsen, fühlt sich aber keiner Gruppe wirklich zugehörig. Eine Art Vortest bestätigt, was Tris schon lange ahnte: Sie ist Divergent vulgo: Auserwählt.

So entscheidet sie sich zur Überraschung ihrer Eltern dafür, Teil der Furchtlosen zu werden, einer Art Teenager-Rebellen-Gruppe, die mit dezenter Lederkleidung, Tattoos und Piercings so aussehen, wie sich Erwachsene am Schreibtisch seit jeher rebellierende Teenager vorstellen. Dass das Leben bei den Furchtlosen eher einem faschistoiden Trainingscamp entspricht, bei dem die schwächsten ausgemerzt werden, zählt noch zu den kleineren der zahllosen inneren Widersprüche der Welt, die hier angedeutet wird.

Wobei selbst angedeutet schon zu viel gesagt ist: Warum die Menschen sich zu dieser merkwürdigen Lebensform entschlossen haben bleibt offen, ebenso die Frage, ob sich irgendjemand an dieser Welt stört. Für einen auch nur Ansatzweise dystopischen Film ist die hier gezeichnete Welt erstaunlich harmlos, scheinen die Menschen recht entspannt und wohlgenährt vor sich hin zu leben, ein Grund zur Rebellion ist jedenfalls weit und breit nicht zu erkennen. Warum die sinistre Jeanine Matthews (Kate Winslet) da einen finsteren Plan schmiedet und alle divergenten Jünglinge ausmerzen will, bleibt weitestgehend offen.

Möglicherweise nimmt sich die Romanvorlage ein klein wenig mehr Zeit, um die Charaktere und ihre Motivationen zu vertiefen, die Verfilmung verliert sich dagegen in endlosen Action/ Nahkampf/ und Ballerszenen, die schnell ermüden. Zwischendurch darf sich Tris dem Genre entsprechend natürlich in einen kernigen Burschen verlieben und einen ersten Kuss erhaschen. Alle Versatzstücke sind also vorhanden, doch als eigenständiger Film funktioniert „Divergent“ kaum: Zu oberflächlich ist die geschilderte Welt, zu uninteressant die Figuren – zumindest wenn man kein 14, 15 jähriges Teenager-Mädchen ist – als dass die durchaus interessanten Ansätze sich zu einem spannenden Ganzen verbinden könnten.

Wie dem auch sei: Die Produzenten sind offenbar zufrieden: Die Verfilmungen der Fortsetzungen „Insurgent“ und „Allegiant“ sind schon in Arbeit und kommen nächstes und übernächstes Jahr in die Kinos…

Divergent - Die Bestimmung • USA 2014 • Regie: Neil Burger • Darsteller: Shailene Woodley, Theo James, Zoe Kravitz, Kate Winslet, Ashley Judd

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