14. Juni 2019 1 Likes

Science-Fiction in Transsilvanien

Transilvania International Festival Cluj-Napoca: TIFF 18 – Übergroß, chaotisch, aber leider doch geil!

Lesezeit: 8 min.

„Ah! Dracula“, „Oh! Da kommt Dracula her!“, „Grüß mir Dracula!“, „Machst Du ein Interview mit Dracula?“, „Nimm auf alle Fälle Knoblauch mit!“, und so weiter und so fort. Es ist wirklich unfassbar, wie viel Blutsauger-Witze man selbst im angeblich ach so aufgeklärten Online-Zeitalter über sich ergehen lassen muss, sobald bekannt wird, dass man nach Transsilvanien (a.k.a. Siebenbürgen) fährt. Aber nicht nur von den nachtaktiven Langzähnen droht Gefahr: Natürlich gibt’s an jeder Straßenecke Bären und Wölfe, natürlich sind ausnahmslos alle von Geburt an bis ins Mark korrupt, natürlich wird man sofort bei Grenzübertritt bis auf die Unterhosen ausgeraubt und jeder der irgendwann mal Eli Roths biederen Splatterquatsch „Hostel“ (2005) gesehen hat, ist sowieso Osteuropa-Experte und weiß, dass man aus dieser Ecke der Welt garantiert nicht mehr lebend hinauskommt.


Das Biest (unser Autor T. Hanisch) und die Schöne (Andrea Sczuka)

Wer sich aber wie ich in den letzten Jahrzehnten auf dem Nachhausweg durch Horden an sturzbesoffenen und widernatürlich riechende Fußballfans oder Volksfestbesucher kämpfen musste, den schreckt auch die Aussicht auf stark behaarten Folterknechte nicht mehr sonderlich und als mich meine liebe Freundin, die Literaturwissenschaftlerin, Sprachlehrerin, Redakteurin und gebürtige Siebenbürgerin Andrea Sczuka anstupste, dass ich doch mal nach Rumänien kommen soll, „denn da gibt’s so n tolles Filmfest“, das „Transilvania International Festival Cluj-Napoca“, kurz TIFF, und zudem den dezenten Hinweis folgen ließ, dass die größte Gefahr in der überdurchschnittlich hübschen, weiblichen Bevölkerung liegt, machte ich mich flugs auf den Weg.

Gleich vorweg: Ich hatte eine wunderbare, quasi lebensverändernde Zeit und nein, ich erhebe mich nach wie vor nicht nachts ächzend aus einem mit dunkel-lilanem Samt ausgelegten Sarg.

Mit der Aufgabe die Wirkung von Cluj-Napoca (deutscher Name: Klausenburg), zweitgrößte Stadt Rumäniens und Hauptstadt des Kreises Cluj in Transsilvanien, optimal in Worte zu gießen, dürften sich selbst weitaus größere Wortakrobaten schwer tun: Man fühlt sich nicht nur in einen nahezu permanent pulsierenden Organismus hineinverpflanzt, was ja durchaus ein typisches Großstadt-Feeling ist, im Gegensatz zu anderen Städten wie München, Frankfurt oder Stuttgart besticht Cluj-Napoca durch ein seltsam außerweltliches Feeling, das sich in einer eklektischen Zusammensetzung manifestiert: So findet man auf der einen Seite alte Schlösser oder völlig aus der Zeit gefallene, aber gerade deswegen charmante Hotels aus kommunistischer Ära (mit dementsprechenden Personal), auf der anderen Seite hypermoderne Glasbauten; auf der einen Seite haben diverse Konzerne auch in diese Stadt ihre raffgierigen Zähne geschlagen und es gibt einiges von dem, was in Deutschland einen großen Teil Einkaufskultur vernichtet hat, hier ebenso (Kaufland, Lidl, DM …), aber dennoch wimmelt es wundersamerweise von dutzenden von kleinen und allerkleinsten Anbietern unterschiedlichster Couleur, egal ob in kellerartigen Gewölben oder Hinterhöfen. Wer gerne stöbert, sollte viel, viel Zeit mitbringen.


TIFF everywhere …

Das Gleiche natürlich für Besucher, die gerne ausgehen, von den gefühlt eine Millionen Bars, Kneipen und Restaurants möchte ich an dieser Stelle aber gar nicht anfangen – der Knackpunkt ist – und das macht vermutlich den größten Teil des unvergleichlichen Charmes aus –, dass das alles auf verhältnismäßig engen Raum stattfindet (ca. 350.000 Einwohner), was für Leute, die sich mit Vorliebe verlaufen (schuldig im Sinne der Anklage!) natürlich super ist, aber vor allem dafür sorgt, dass die Stadt wirkt wie ein einziger, dauerhafter Rauschzustand, oder, wie es Andrea, die mich enorm auskunftsfreudig (und mit engelsgleicher Geduld) durch die sechs Tage führte, so prägnant auf den Punkt brachte: „Cluj-Napoca ist ein wenig wie deine Lieblingsgerichte und 1000 neue Geschmäcker in einem Schnapsglas!“ – es wundert nicht, dass auch die zahlreichen Taxifahrer, die einen selbst im schwerst alkoholisiertem Zustand zu morgendlicher Stunde zuverlässig vors Hotel werfen, spürbar stolz auf ihre Stadt sind.

Aber nach soviel kostenlosem Tourismusmarketing (nein, es sind wirklich keine Gelder geflossen, nächstes Mal denk ich vorher dran!) nun zum eigentlichen Grund dieses Berichts: Das Filmfest. Hier wurde bereits kurz vor Start schon eine leise Ahnung vom bald Kommenden wach, denn das komplette Programm, Hoteldetails und anderer Kleinkram wurde ungewohnterweise erst ganz kurz vor Torschluss bekannt gegeben und so war auch während des Festivals eher go with the flow als strukturiertes Arbeiten möglich, super-kurzfristige Programmänderungen, Hinweise auf Partys und andere Veranstaltungen (es empfiehlt sich sehr regelmäßig das Smartphone zu checken) und merkwürdige Einlassregelungen (ausländische Journalisten werden bei Partys bevorzugt, selbst wenn der einheimische Kollege für das gleiche Magazin vor Ort ist) sind an der Tagesordnung.

Das macht im Endeffekt aber nichts, denn man muss sich das TIFF, das ganz Cluj-Napoca dominiert, noch im hinterallerletzten Eck finden sich Aufsteller oder Plakate, ein bisschen als Äquivalent zur Stadt vorstellen: Erschlagend groß (hunderte von Filmvorführungen, dutzende von Workshops, Präsentationen, Konzerte, Partys …) und von einer ganz eigenen Energie, die einen schon nach kürzester Zeit durchströmt: Egal ob den letzten Donnersmarck-Heuler, chinesische Wuxia-Epen, französische Liebesgeschichten, albanische Sozialdramen oder – natürlich – die neusten einheimische Produktionen: Man findet im bunt gemischten Programm wirklich alles und noch viel mehr. Und in Kombination mit dem enormen Rahmenprogramm bleibt einem im Endeffekt nur übrig eine grobe Vorauswahl zu treffen, sich ansonsten aber mitreißen zu lassen, es wird so oder so nichts nach Plan laufen, irgendein Termin wird sich verschieben, irgendeine Option wird einem vor Ort plötzlich reizvoller vorkommen und irgendwas verpassen wird man garantiert.


„Zoo“

Was gab’s in Sachen Science-Fiction Relevantes?

Die bei uns Ende letztes Jahr gezeigte Arte-Serie „Quackquack und die Nichtmenschen“, über ein Küstenstädtchen, das von außerirdischem Magma heimgesucht wird, eine Art Sequel der Serie „Kindkind“ von 2014, wurde in einem vierstündigen Mammutscreening vorgeführt, konnte aufgrund Terminschwierigkeiten von mir allerdings nur zu knapp der Hälfte wahrgenommen werden, was ich allerdings nicht nur aufgrund der behelfsmäßigen Bestuhlung nur wenig bedauert habe: Mir ist schon klar, dass der vom Philosophie-Professor zum Regisseur und Drehbuchautoren mutierte Bruno Dumont in Schlaumeier-Kreisen eine große Nummer ist, aber mir ging die extrem manierierte Inszenierung schlichtweg auf die Nerven, auf einer Theaterbühne wäre das mit Sicherheit sehr tiefsinnige Gekasper vermutlich etwas besser aufgehoben.


„All The Gods In The Sky“

Als kleine Überraschung entpuppte sich hingegen die schwedisch-dänische Produktion „Zoo“ (Regie und Drehbuch: Antonio Steve Tublén), in der mal wieder eine Pandemie Menschen in rasende Untoten verwandelt. Die übliche Schlachtplatte bleibt allerdings trotzdem aus, Tublén konzentriert sich dafür auf das kurz vor der Scheidung stehende Ehepaar Karen und John, das versucht die Apokalypse irgendwie im Apartment zu überleben und dabei wieder zueinander findet. Das pendelt zwischen Ehedrama, Liebesfilm, schwarzer Komödie und Horror und findet nie zu einem großen Ganzen, vor allem in der letzten halben Stunde wechselt der Tonfall völlig, macht aber dank einem gut aufgelegtem Darstellerpärchen, dass die 100 Minuten quasi im Alleingang schultert, ein paar ganz guten Gags und einem bittersüß-morbiden Ende trotzdem Spaß.

Deutlich grummeliger kam dagegen mein französischer Festivalfavorit „All The Gods In The Sky“ daher. Hierbei handelt es sich um den ersten Spielfilm des Multimedia-Künstlers Quarxx, der eine eigensinnige, mit dezent mit pechschwarzem Humor gewürzte Mischung aus Horror, Drama und Science-Fiction auffährt: Erzählt wird vom zurückgezogen lebenden Simon, der in der Kindheit versehentlich dafür sorgte, dass seine Schwester zur lebenslangen Invalidin wurde und sich seitdem im abgelegenen, zerfallenen Familienbesitz aufopferungsvoll um sie kümmert. Das große Problem ist nur: Simon hat seit dem damaligen Unfall wirklich gewaltig einen an der Waffel und flüchtet sich immer mehr in lovecraftsche Visionen, die davon künden, dass eines Tages Aliens kommen und die beiden von ihrem Leiden erlösen werden …man kann nur hoffen, dass hierzulande ein Verleiher mutig genug ist, dieser eigensinnigen Perle zumindest eine kleine Kinoauswertung zu spendieren, denn der eher ruhige Genre-Mix saugt einen mit ausgefeilten Bildern, einer mächtig dröhnenden Soundkulisse und einem Top-Darstellerduo (der eigentlich eher auf komödiantische Rolle spezialisierte Jean-Luc Couchard und Melanie Gaydos in ihrem Filmdebüt) tief in seine ganz spezielle Welt, die es anders als „Zoo“ auch tatsächlich schafft ihre verschiedenen Pole unter einen Hut zu bringen, aber gerade deswegen auch etwas schwerer zu schlucken ist.


VR Cinema: „Asteroids“


VR Cinema: „An Obituary“

Besonders futuristisch wurde es beim „VR Cinema“, das im Rahmen des „infini TIFF“, einem think tank, das die Zukunft audiovisueller Inhalte zum Inhalt hatte, präsentiert wurde und im Zuge dessen man sich mit einem Virtual–Reality-Helm auf der Rübe eine Reihe von Kurzfilmen anschauen konnte. Die Palette reicht dabei von Sci-Fi-Cartoons wie „Invasion!“ über zwei knuddelige Hasen, die sich gegen außerirdische Invasoren zur Wehr setzen müssen, Kurzdokus wie „Girl Icon“ über eine indische Frauenrechtsgruppe oder südkoreanischen Geisterhorror („An Obituary“), der effektiv japanische Vorbilder kopiert. All diese Vorführungen waren immens beeindruckend, allerdings muss attestiert werden, dass die gezeichneten Beiträge wesentlich einfacher zu konsumieren waren, bei den Realfilmen wurde es uns beiden etwas flau im Magen, weiterhin tut man sich – ein ähnliches Dauerproblem findet sich beim 3D-Format – bei schnellen Kamerabewegungen sichtbar schwer die Schärfe zu halten.


Genies unter sich:
Ovidi Avram (links) &
unser Autor T. Hanisch

Final noch ein Beispiel, wieso man auf der TIFF mit wirklich allem rechnen muss: Bei einer Party purzelten wir über einen alten, bärtigen, leicht deplatziert wirkenden Herren, der sich im drauffolgenden Gespräch als Ovidiu Avram entpuppte, ein Maler, der sich selbst in einer mystisch-fantastischen Ecke verorte und da man nicht oft auf Partys bärtige, alte, leicht deplatziert wirkende Maler trifft, die sich in einer mystisch-fantastischen Ecke verorten, wurde natürlich gleich ein Treffen angepeilt, das vier Tage später umgesetzt wurde. Der Mann entpuppte sich dabei nicht nur als genialer, überraschend moderner Künstler, dessen Bilder, die neben dem genannten Feld auch Steampunk-Einflüsse erkennen lassen, sicherlich so mancher Schriftsteller oder Musiker mit Kusshand aufs Cover hieven würde, sondern weiterhin als okkulter Heilpraktiker, der Menschen und Tiere aus der Umgebung gratis mit Kenntnissen in Naturheilkunde und einem Pendel (!) zur Genesung verhilft und Erfinder diverser Apparaturen für deren tieferes Verständnis ich mal ein paar Tage frei nehmen müsste. Man kann von Avrams Wirken halten, was immer man will, aber auf alle Fälle ist der Allrounder ein echtes, überaus talentiertes Original, das tagsüber gerne schläft, nachts arbeitet und sich schon ein gutes Stück vor Mittag einen ganz schön großen Kräuterschnaps gönnt. Schräg ja, aber bescheiden, ungeheuer sympathisch, lustig und wahnsinnig liebenswert – aus dem ursprünglich angepeilten kurzen Besuch in seinem herrlich unaufgeräumten Atelier wurden über zwei Stunden, die zum größten Teil in einem Café verbracht wurden, über das mehrfach amerikanische Düsenjets hinwegbrausten.

Jedenfalls: Es war ein tolle Zeit, wie hieß es auf einer Einkaufstasche so schön: „I Lost My Heart in Cluj“ – das kann man wohl sagen!

Das nächste Festival findet vom 29.05. bis zum 07.06.2020 statt! Dicke Empfehlung! Traut euch – es beißt auch niemand, es knabbern höchstens schöne Menschen! Versprochen!

Diesen Text widme ich Andrea, die mir gezeigt hat, dass der magische Ort nicht nur in meiner Fantasie existiert!

Großes Bild ganz oben: Oben-Air-Screenings waren dank des Sauwetters Glücksache. Foto: Marius Maris

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.