1. Juli 2014 2 Likes

Das schlechte Gewissen

Hat die Science-Fiction der Raumfahrt geschadet? – Eine Kolumne von Adam Roberts

Lesezeit: 5 min.

Aus mehreren Gründen dachte ich vor Kurzem über die Mondlandung von 1969 nach. Zum einen, weil das jüngst ausgestrahlte Finale der AMC-Serie Mad Men in jenem heißen Juli spielt und alle Figuren gespannt verfolgen, wie Armstrong seinen berühmten kleinen Schritt tut. Die ganze Welt hielt vor fast transzendentaler Aufregung den Atem an – und das völlig zu Recht. Ich glaube, dass sich in tausend Jahren niemand mehr an die damaligen Politiker, Künstler, Filmstars, Wissenschaftler oder Philosophen erinnern wird – aber Neil Armstrongs Name wird unvergessen bleiben.

Ein weiterer Grund, warum ich über die Mondlandung nachdachte, hat wohl mit meinem Hobby zu tun: Ich sammle Science-Fiction-Magazine aus den Jahren 1950–1970. Zufällig stieß ich in einem Ramschladen auf einen Stapel Analog-Ausgaben, in denen über die Apollo-Mission berichtet wurde. Wie nicht anders zu erwarten waren die Autoren von der Mondlandung hellauf begeistert, begriffen sie jedoch ohne Ausnahme lediglich als einen ersten Schritt auf dem Weg zu weitaus größeren Vorhaben: bemannte Raumflüge zu anderen Planeten; die Kolonisierung des Alls durch den Menschen. Das war der Traum der Science-Fiction. Das war der Traum meiner Kindheit.

Sie sehen, ich benutze die Vergangenheitsform, denn es war ein Traum, der nie in Erfüllung ging. Unsere Großeltern sind zu fernen Planeten gereist, wir tun das nicht mehr. Wir lassen kleine, unglaublich raffinierte Apparate an den Gestirnen vorbeifliegen, anstatt uns selbst auf den Weg zu machen. Wir haben geniale Methoden entwickelt, um die wenigen Daten, die uns aus dem Weltall erreichen, zu analysieren. Das ist auch viel billiger. Für die Sicherheit menschlicher Wesen in der extrem lebensfeindlichen Umwelt des Alls zu garantieren ist aufwändig und kompliziert. Wir geben unser Geld lieber für andere Dinge aus. Große, kostspielige Kriege im Irak und in Afghanistan bezahlt man schließlich nicht aus der Portokasse.

Was geschah mit dem Traum von der Erforschung des Alls? Kurz gesagt: er langweilte die „Leute“. Damit meine ich die menschliche Spezies im Allgemeinen, nicht die Außenseiter und Exzentriker, die nie aufhörten, leidenschaftlich an diesen Traum zu glauben. Die Leute also fanden dieses Vorhaben erschreckend schnell ziemlich öde. Im Juli 1969 hielt die ganze Welt den Atem an und war mit einer fast heiligen Ehrfurcht angesichts dessen erfüllt, was unsere Spezies erreicht hatte und erreichen konnte. Aber schon Mitte der Siebziger fanden alle den Weltraumkrempel stinklangweilig. Die Politiker – deren Karrieren ja stets davon abhängen, die Befindlichkeit der Masse zu bedienen – räumten der Erkundung des Weltraums eine immer niedrigere Priorität ein.

Natürlich wurde die Apollo-Mission in der aufgeladenen Atmosphäre des Kalten Kriegs mit dem Ziel entwickelt, einen propagandistischen Sieg über die Sowjetunion davonzutragen und den Militärstrategen „der anderen Seite“ zu demonstrieren, wie zuverlässig und präzise „unsere“ Raketentechnologie war. Doch Apollo war mehr als das: es beflügelte die Fantasie der Menschheit. Der wahre Grund, weshalb das Apollo-Programm eingestellt wurde und die Erforschung des Weltraums zum Zeitvertreib unserer Vorfahren anstatt zur Hoffnung unserer Kinder wurde, liegt darin, dass es nicht mehr die Fantasie anregt.

Warum? Ich bin nach wie vor davon fasziniert – allerdings bin ich auch Science-Fiction-Autor. Das gehört zu meinem Job. In dieser Beziehung sind die SF-Fans etwas, sagen wir, selbstgefällig. Wir klopfen uns gegenseitig auf die Schulter, weil wir den Glauben daran nicht verloren haben. Wir sind noch immer davon überzeugt, dass die Menschheit über diesen Planeten hinauswachsen muss! Wir fordern nach wie vor eine bemannte Marsmission. Wir schreiben Geschichten über Menschen, die die Galaxie erforschen. Und das ist auch gut so – oder etwa nicht?

Nein. Der Weltraum stellt die zentrale Herausforderung dar, wenn es um das langfristige Überleben der Menschheit geht – und ein Thema, bei dem jeder Science-Fiction-Fan sofort ein richtig schlechtes Gewissen haben sollte.

Weshalb? Weil wir das Weltraumrennen beendet haben. Für einen kurzen Augenblick in ihrer Geschichte teilte die Menschheit die Vision einer realisierbaren Weltraumerforschung. Doch diese Vision verblasste.

Reisen ins All sind langsam, mühsam, aufwändig, teuer und frustrierend. Selbst zum Mond braucht man drei Tage, und der liegt ja sozusagen in unserem eigenen Hinterhof. Bis man den Mars, den Jupiter oder noch fernere Ziele erreicht, vergehen lange, ereignislose Jahre. In der Realität besteht die Weltraumforschung zu 90% aus Langeweile.

Mitte der siebziger Jahre jedoch, als die NASA auf dem Zenit ihrer Macht war und echte Menschen den Weltraum bereisten, verzauberte ein Werk der Science-Fiction eine ganze Generation. Vielleicht haben Sie schon mal davon gehört: Star Wars von George Lucas.

Dieser Film war ein weltweiter Erfolg. Er etablierte Star Wars nicht nur als eine (auch heute noch) enorm lukrative Marke, er trat auch eine Lawine kommerzieller Science-Fiction in Film und Fernsehen los. Viele der umsatzstärksten Filme der letzten drei Jahrzehnte handeln von Weltraumabenteuern – kein Film hat jemals mehr Geld eingespielt als Avatar! Auf dem ganzen Planeten gibt es Fans von Star Trek und Doctor Who. Die visuellen Texte der SF waren und sind unheimlich erfolgreich.

Doch dabei gibt es ein Problem: In Star Wars und seinen Epigonen wird die Weltraumfahrt als schnell, unkompliziert und aufregend dargestellt. In Windeseile hüpfen wir zu den entferntesten Sternen der Galaxis, wo wir haarsträubende Abenteuer erleben und faszinierenden, unbekannten Kreaturen begegnen – aber wir stolpern nicht durch eine graue Einöde und sammeln Gesteinsproben.

Ich glaube, dass die Faszination für das Weltall Teil der menschlichen Natur ist. Apollo hätte aus dieser Faszination Kapital schlagen und zu einem weitreichenderen und ausgereifteren Programm werden können. Aber dazu kam es nicht, und der wahre Grund dafür ist, dass die Menschen eine einfachere Methode entdeckten, dieses naturgegebene Bedürfnis zu befriedigen. Die Blockbuster-SF ist wie Süßigkeiten und Zuckerwerk anstelle von Spinat und braunem Reis: Sie stillt unseren Appetit nach Weltraumreisen auf ebenso schmackhafte wie ungesunde Weise. Warum sollten die Nationen der Erde einen nicht unerheblichen Teil ihres Bruttosozialprodukts für tatsächliche Reisen ins All ausgeben, wenn Hollywood die aufregenden Möglichkeiten des Weltraums in virtueller Form liefern kann?

Die Science-Fiction war zu erfolgreich. Sie berührte die Herzen von Millionen. Aber die Konsequenzen sind tragisch.

Adam Roberts ist eine der vielversprechendsten Stimmen in der neueren britischen Science Fiction. Geboren 1965, studierte er Englische Literatur in Aberdeen und Cambridge und arbeitet derzeit als Dozent an der University of London.

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