6. März 2017 1 Likes 1

Die Freuden der Synthese

Rebloser Wein und kuhlose Milch für das Leben auf dem Mars?

Lesezeit: 4 min.

Wir Menschen haben zwei natürliche (weil kosmisch bedingte) Grenzen: RAD, ein Winkelmass, nach dem man auch die Umdrehungsgeschwindigkeit der Erde misst, die sogenannte „Sonnensekunde“, und zweitens die, wie wir heute wissen, unausweichliche Implosion der Sonne. Das ist beides noch Milliarden Jahre entfernt. Doch so, wie sich die Erde – für uns unmerklich, aber trotzdem messbar – langsamer dreht, vielleicht sogar irgendwann zu „eiern“ beginnt (mein ganz persönlicher Albtraum!), so wird auch der gigantische Reaktor Sonne irgendwann erschöpft aufgeben und explodieren – indem er implodiert. Damit wird biologisches Leben auf der Erde nicht mehr möglich sein. Das steht fest.

Sollen wir also schon mal unseren Umzug planen? Im Moment reden ja alle vom Mars. Das wäre allerdings eine schlechte Wahl, denn der Mars ist der vierte Planet in unserem Sonnensystem und damit auf Dauer unterqualifiziert als neuer Lebensraum für uns Menschen – siehe Sonnenimplosion.

Weiter weg also? Sollen wir eine Essenz von uns, etwa das Konzentrat unserer Menschlichkeit, auf einem Kometen oder Meteoriten platzieren und in die Tiefe des Weltalls schicken, damit sich nach einer zufälligen Kollision mit einem uns heute noch unbekannten Planeten mit idealen Umweltbedingungen unser Leben – unser Menschsein und unsere Menschlichkeit – aufs Neue entfalten kann? Oder sind das dann gar keine Menschen mehr, sondern nur noch Ausdrücke unserer Intelligenzen? Formeln? Algorithmen? Gleichungen? Mit uns als kosmischer Feen-Hauch, der Triumph des Urknalls. Und: Gibt es dafür schon Startups? Und wie kommen die voran?

Ja, die gibt es. Genau solche Szenarien sind die ideologische raison dʼêtre vieler Startups – in Bataillonsstärke. Und sie haben bereits jetzt schon jedes noch so waghalsige Science-Fiction-Szenario überholt. Denn theoretisch – und auch praktisch – ist es uns bereits heute möglich, die Algorithmen-Ketten unserer synthetischen Intelligenzen, in unzerstörbare Nanokapseln verpackt, in Meteoriten hinein zu bohren und sie huckepack in die Tiefe des Weltalls transportieren zu lassen. Die NASA kann so was. SpaceX auch. Kollidiert dann der Meteorit mit einem Planeten und verschmilzt mit seiner Masse, können sich unsere künstlichen Intelligenzen als Software-Pakete „entpacken“ und mit der Besiedelung des neuen Planeten beginnen. Inklusive unserer synthetischen DNA. An dem Menschsein und der Menschlichkeitsformel arbeiten sie noch, aber mit Milch und Wein sind sie schon erheblich weiter. Als erster Schritt für die angestrebte Unendlichkeit sozusagen.

Aber wird das mit dem Huckepack überhaupt funktionieren? Wahrscheinlich. So sind wir nämlich entstanden. Unsere DNA hat auch irgendwann von selbst herausgefunden, was zu tun ist, um Leben erfolgreich zu gestalten – inklusive Umweltbedingungen, Anpassung und erfolgreiche Fortpflanzung. Ja, vermutlich war ein spezifisches Kalzium-Molekül aus dem Schlüsselbein des Lesers dieser Zeilen Milliarden von Jahren auf einem Meteoriten unterwegs bis zu seiner Kollision mit der Erde – und den Rest kann man überall nachlesen (zum Beispiel in Raoul Schrotts autopoetischem „Erste Erde Epos“). Und wer sagt, dass dieses Kalzium-Molekül, das der Leser als kosmische Leihgabe in sich trägt, nicht noch weitere Milliarden Jahre im Kosmos unterwegs sein wird?

Zurück zum Jetzt. Im Jahr 2016 sind erstmals über eine Milliarde Dollar in sogenannte „Synthetic Biology Startups“ investiert worden, die künstliche Zellen herstellen, mit denen so ziemlich alles produziert werden kann: von Schmerzmitteln bis zu Kerosin. Und auch ganze, synthetische, lebensfähige DNA-Stränge. Die werden dann per E-Mail weltweit verschickt und anderen Labors zur Verfügung gestellt.

Definiert man synthetische Biologie als Wissenschaft, die die Prinzipien der Ingenieurskunst auf die Biologie anwendet, oft durch die Manipulation von DNA, dann wird deutlich, dass diese Technologie zum Herstellen neuer biologischer Systeme eingesetzt wird – so wie Mikroben, die Milchproteine oder Bio-Treibstoffe erzeugen. Oder dass sie alte Systeme fundamental neu entwirft – wie etwa Immunzellen, die spezifische Krebszellen angreifen und zerstören können. Oder wie die Gründer des Startups AVA Winery, die synthetischen Wein ganz ohne Rebstöcke entwickeln, indem sie die chemische Zusammensetzung beliebter Weine imitieren. Dafür werden auch Hefe und Mais so modifiziert, dass Aminosäuren entstehen, die identisch mit denen in herkömmlichem Wein sind. Zusammengenommen können diese Elemente den Geschmack, die Aromen und den Geruch von jedem gewünschten Wein erzeugen. Wie Designerbabys, nur in Flaschen.

Den DNA-manufaktierten Wein trinken wir dann zunächst mal auf dem Mars, und viel später werden unsere vollsynthetischen Nachfahren auf einem Trilliarden Lichtjahre entfernten Planetenklumpen damit auf ihr erfolgreiches Überleben anstoßen. Etwa nach einer siegreichen Schlacht gegen die Klingonen.

Stephan R. Meier: NOWOder wir lassen das Ganze bleiben und setzen auf den Zufall. Denn der sizilianische Grillo, ein fruchtig herber, wunderbarer Weißwein, den der Autor gleich nach dem Schreiben dieser Zeilen genüsslich entkorken wird, wächst am besten auf trockenem Vulkanboden. Dort zieht er die ideale Mischung aus Mineralien, Nährstoffen und – Sie erraten es – auch Kalzium in seine saftigen Trauben. Und dieses Kalzium macht so schön „Klack“ auf der Zunge wie bei keinem anderen Wein. Hat dieses „Klack“ auf der Zunge nicht auch schon seit Jahrmilliarden im Kosmos auf sein Entfalten gewartet? Sollen wir also besser dem Zufall vertrauen, dass dieses genussvolle „Klack“ irgendwo in den Tiefen des Universums wieder von selbst entsteht? Irgendwann? Und kann man ernsthaft darauf hoffen? Dafür müsste man daran glauben. Aber: Glauben heißt ja nicht wissen, und nicht wissen heißt ein Esel sein. Deshalb also lieber volle Kraft voraus für die Gewissheit, das Wissen und noch viele weitere Milliarden Dollar für Biotech-Startups, die ihr synthetisches Leben mittels Meteoriten auf die Reise schicken können. Der Esel trinkt zwar keinen Wein, aber er produziert Milch. Wie er das macht, weiß er natürlich nicht. Er kannʼs einfach.

 

Stephan R. Meier, geboren 1958, diplomierte in der Schweiz und hat darauf in zahlreichen Ländern gelebt und gearbeitet. In den Neunzigerjahren schrieb er zwei biografische Sachbücher. Sein Science-Fiction-Roman „Now“ (im Shop) ist gerade bei Penguin erschienen.

Autorenfoto © by Francesco Damele

 

Kommentare

Bild des Benutzers Elisabeth Bösl

Fragt sich, welcher Wein wohl am besten zu klingonischem Gagh passt?

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