Out of Order
Remedys Mystery-Shooter „Control“ erweist sich im Test als Spielvergnügen der leicht zweischneidigen Art
Die Geschichte von Remedy Entertainment ist ohne Übertreibung ruhmreich. Im Shooter-Genre hinterließen die Finnen mit Max Payne und Alan Wake Markenzeichen, die mit ihren abgründigen Protagonisten, dezent abgefahrenen Mechaniken (Stichwort Bullet Time) und fesselnden Spielszenarien bis heute eine große Fangemeinde hinter sich vereinen. Schon deshalb lösten die ersten Szenen ihres neuesten Streichs Control weitgehend Begeisterung aus; schließlich schien das Mystery-Action-Adventure mit einem herrlich surrealen Style, viel Akte X und Twin Peaks-Flair sowie einem mit Skills wie Telekinese und Schweben aufgehübschten Shooter-Konzept Remedy erneut zur Hochform auflaufen zu lassen.
Und tatsächlich: Bei genauerer Betrachtung der seit Ende August vorliegenden Finalversion auf PS4, Xbox One und PC erweisen sich auch viele der Lorbeeren als gerechtfertigt. Leider trüben kleinere, größtenteils vermeidbare Details einen noch besseren Gesamteindruck, um Control in Summe qualitativ auf einen Sockel mit Max Payne und Alan Wake zu hieven.
Nach einer äußerst stimmungsvollen, für die gesamte Inszenierung repräsentativ bizarren Eingangssequenz, die mehr Fragen als Antworten liefert, starten wir mit unserer Heldin Jesse Faden das gut 15 bis 20-stündige Abenteuer im Eingangsbereich der FBC. Einer Kontrollbehörde (daher das C), die wie eine Art paranormales FBI zwar im Herzen von New York schlummert, jedoch seine Pforten nur wirklich Eingeweihten öffnet. Zu diesen darf sich die dezent unerschrockene und ihr Vorgehen scharf kalkulierende Jesse zählen, die schon zu Beginn der bis zuletzt naturgemäß eher undurchsichtigen Story um geheime Verschwörungen und Parawesen kurioserweise zur Direktorin der Behörde „ernannt“ wird (nämlich von einem nicht näher vorgestellten Rat) und dabei auf eigene Faust versucht, das Verschwinden ihres Bruders Dylan aufzuklären.
Dem steht vor allem eine Gefahr im Weg, die aus einer anderen Dimension in unsere Realität eindringt und nur als das Zischen bekannt ist. Jene Kraft übernimmt die Körper der Behördenmitarbeiter und sorgt für groteske Veränderungen in einer ohnehin alles anderen als „normalen“ Behörde. Die verändert nämlich immer wieder ihre Areale und sorgt so für eine dunkel pittoreske Stimmung, die einem oft genug ein wohliges Schauern über den Rücken jagt. In klassischer Third-Person-Manier steuern wir Jesse durch das FBC, treffen dabei einige wenige ansprechbare (nicht vom Zischen befallene und wunderbar schrullige) Mitarbeiter und erhalten von ihnen in einer eher groben Kapiteleinteilung Haupt- sowie Nebenmissionen.
In den meist sehr ausschweifend gehaltenen Weiten des in mehrere Großabschnitte wie eine Forschungs- oder Büroabteilung unterteilten Gebäudes begegnen wir besessenen Soldaten und anderen Widrigkeiten wie explodierenden Monstern, deren Angriffe wir zunächst nur mit einer Handgun beantworten. Die lässt sich im Verlauf der Kampagne in mehrere Varianten ausbauen und mithilfe überall verstreuter Items variabel ausstatten. Eine höhere Feuerrate oder schnellere Aufladung der unbegrenzten Munition sind so ebenso kein Problem wie eine vergleichbare Aufwertung von Jesse selbst, die – wie bereits angedeutet – einige paranormale Fähigkeiten erwirbt.
So gestalten sich die Kämpfe gegen Feindesgruppen als schneller Mix aus Shooting und Skill-Verwendung, wobei Remedy auch aufgrund des sehr schnell abgewirtschafteten Lebensbalkens viel Agilität von uns einfordert. Bedächtiges Schießen aus der sicheren Deckung ist in Control nicht angesagt und so passiert es immer wieder, dass man im hektischen Gefecht sein Leben lässt – kaum wirksame Lebensitems von erledigten Gegnern tun da ihr Übriges dazu.
Dennoch ist Control, das auf einstellbare Schwierigkeitsgrade verzichtet, bis auf einige Ausnahmen nicht zu schwer oder gar wirklich unfair. Dafür sorgen sehr viele freischaltbare Kontrollpunkte, mit denen wir uns durch das Gebäude teleportieren können und an die wir nach unserem Ableben zurücktransportiert werden. Trotz ihrer Menge, ergeben sich jedoch oft selbst vor Bosskämpfen längerer Rückwege, die es definitiv nicht gebraucht hätte und stellenweise ordentlich Nerven kosten können. Warum man hier nicht auf mehr Balance geachtet hat, bleibt ein Rätsel der Entwickler.
Wenn wir schon bei den Mängeln sind: Auch den Kämpfen fehlt es oft an der nötigen Balance im Sinne der potenziell einsetzbaren Skills. Spätestens dann, wenn wir die mächtige Telekinese-Fähigkeit erworben und ausgebaut haben, wischen wir mit normalen Gegnergruppen den Boden auf, während andere Fähigkeiten kaum sinnvoll eingesetzt werden können und so in gewissem Maße nur unnötig Skillpunkte schlucken. Andererseits dreht Control dann in den Bossfights und im letzten Kapitel mit vielen massiven Feindeshorden und dem eben genannten Rücksetzpunkteproblem dermaßen auf, dass wir das Gamepad manchmal an die Wand pfeffern wollen. Man kann es nur wiederholen: gute Spielbalance sieht definitiv anders aus. Auch das dauernde Aufnehmen von Modifikationen für Jesse und ihre Waffe(n) an nahezu jeder Ecke verkommt schnell zur lästigen Pflichtaufgabe. Viel zu viele Items haben kaum bis keinen echten Nutzen und verstopfen nur unser Inventar, welches wir dann wieder leeren müssen.
Hinzu kommen trotz des grandiosen Designs eine eher schwächlicher Technikperformance, die sich – zumindest aktuell auf PS4 – besonders im Einbruch der Bildrate (gerade nach Beendigung einer Pause-Funktion), sehr hölzernen (Gesichts-)Animationen und einer atemberaubend schlechten Lippensynchronisation bemerkbar macht. Speziell die ohnehin eher zweifelhaft besetzte deutsche Sprachausgabe kommt den Figuren buchstäblich nie korrekt über die Lippen. Das mag zwar zum emotionslosen Umgang der Mitarbeiter in der Behörde fast schon wieder passen, kostet jedoch leichtfertig Punkte auf der Richterskala. Dennoch wäre es falsch, Control technisch nun komplett in die Pfanne zu hauen. Speziell die Lichteffekte sorgen vielfach für echte Wow-Momente und die dank vieler Details bestechend eindringliche Atmosphäre der Settings überzeugt bis zum Finale.
Auf der Habenseite stehen außerdem neben der schon gelobten Grundstimmung und dem dynamischen Kampfsystem auch der leichte Metroidvania-Ansatz und die mit vielen Notizen, Akten und in die Spielwelt eingebauten Filmen äußerst stimmungsvolle Präsentation. Wenn wir etwa die Videobotschaften eines zunehmend verrückten Wissenschaftlers verfolgen und etwa durch zunächst unscheinbare Schriftsätze spannende Nebenmissionen inklusive zusätzlicher Bossfights wie unserem Spiegelbild freischalten, erwacht unser Entdeckerdrang.
Wie in einem „echten“ Metroidvania, können wir viele Türen und Wege erst mithilfe von Schlüsselkarten und weiteren Fähigkeiten betreten, sodass es sich lohnt, an bereits besuchte Orte zurückzukehren. Die damit meist verbundenen Nebenmissionen werfen zwar bis auf einige Skillpunkte und weitere Craftingextras nicht viel Entscheidendes ab, lassen uns aber meist besonders stark in die bizarre Welt von Control eintauchen. Wann hat man schließlich schon mal gegen einen mörderischen Kühlschrank gekämpft oder eine quietschende Gummiente verfolgt? Und wer mystische Orte wie das mit Rätseln gespickte Ocean View Motel via Lichtschalter besucht oder den hypnotischen Botschaften des geisterhaften Hausmeisters lauscht, sieht über die Macken dieses erfrischend ungewöhnlich präsentierten Spielerlebnisses leicht hinweg.
By the Way: Einige DLCs zu Control sind schon in der Mache – anscheinend auch einer, der eine Verbindung zu Alan Wake herstellt. Passender geht es kaum.
Fazit
Herausragend designter, ungemein stimmungsstarker Mystery-Shooter, dessen rasante Mischung aus Erkundung und Action leider durch kleinere Mängel gedrückt wird.
Control • Remedy Entertainment/505 Games • Shooter/ Action-Adventure • PS4, Xbox One, PC
Abb. © Remedy Entertainment/505 Games
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