23. Oktober 2020

„Marvel's Avengers“: Dauerkloppen as a Service

Das Spiel zur Superheldentruppe entpuppt sich als höchst zwiespältiges Vergnügen

Lesezeit: 6 min.

Es ist fast eine Kunst, einen Marvel-Blockbuster mit diesen Vorzeichen schon im Vorfeld so schlecht zu positionieren, wie es Marvel’s Avengers vorgeführt hat. Erst die (etwas kleinliche) Diskussion um die fehlende Ähnlichkeit zu den MCU-Filmvorbildern, dann ein langes Rätseln darüber, was tatsächlich spielerisch drinsteckt, weiter mit dem Fanärger über exklusiven Content für einzelne Plattform (Stichwort Spider-Man als spielbaren Charakter nur auf PS4) und dann auch noch eine sehr durchwachsene Beta-Version, die so kurz vor Finalrelease kaum Lust auf das Ergebnis machen konnte. Kein Zweifel, wenn es eines Beweises bedurfte, dass man selbst ein Produkt zu den Avengers marketingtechnisch schlecht vorbereiten kann, dann erbrachte ihn Square-Enix mit Marvel’s Avengers, obwohl man ja durch Final Fantasy oder die Reboot-Trilogie zu Tomb Raider schon seit Äonen weiß, dass sie es deutlich besser können.

Schwierig hatte es das Action-Adventure aber vor allem aufgrund des Ansatzes, sich nicht auf eine reine Singleplayer-Kampagne mit zusätzlichen Koop-Elementen zu konzentrieren, sondern, ähnlich wie etwa EAs missratenes Anthem oder die beiden Destiny-Ableger, auf das leider bei Publishern „beliebte“ Games-as-a-Service-Konzept zu bauen. Damit ist gemeint, dass Spiele auf langfristigen, teils zahlungspflichtigen Content ausgerichtet sind, um Spieler über Jahre bei der Stange zu halten. Was auf dem Papier zunächst gut klingen kann, entwickelt sich bei den meisten GaaS-Beispielen zu einem Ärgernis mit beispielsweise anfangs eher unausgereiften Modi, aber vor allem mittels öder Zusatzmissionen und kaufpflichtigen Inhalten wie Skins, Waffen und schlimmstenfalls spielerischer Vorteile gegenüber anderen Spielern zur puren Geldmacherei, von der sich viele Käufer wieder abwenden. Wer hat schließlich schon die Geduld, Monate bis Jahre zu warten, bis die Macher wirklich alles bieten, was sie versprochen haben an ach so spannendem Dauercontent?

Avengers startete also Anfang September auf PS4, Xbox One und PC mit viel Skepsis und wer sich tatsächlich rund 20-30 Stunden damit beschäftigt (wie wir es auf PS4 taten), sieht leider keinen Kritikpunkte so richtig behoben. Allerdings gehört zur Wahrheit, dass das von Crystal Dynamics programmierte Paket beileibe kein Totalausfall ist. Man möchte fast sagen: Wenn es nicht die Marvel-Lizenz mit ihrem Erwartungsüberschuss wäre und man sich darauf fokussiert hätte, eben kein GaaS-Paket zu schnüren, wäre ein zwar nicht fehlerfreies, aber immerhin noch gutes Produkt herausgesprungen.

Die Storykampagne, mit der man rund 12-14 Stunden beschäftigt sein dürfte, erweist sich als das Glanzstück des Spiels. In einem ansehnlichen Prolog, der gekonnt den Fanhype um die Avengers auf gleich mehreren Metaebenen ins Visier nimmt, lernen wir die junge Kamala Kahn kennen, die als begeistertes Fangirl der Superhelden im Rahmen eines Festivals Captain America, Thor, Black Widow und Co. kennenlernt, ehe ein Notfall die Party sprengt und die Helden zur Pflicht ruft. Nachdem wir spielerisch mal in alle Helden reinschnuppern und mit Black Widow sogar einen Bossfight gegen Taskmaster meistern dürfen, ereilt Captain America ein tragisches Schicksal und die Avengers brechen auseinander.

Einige Jahre später zeigen sich die verheerenden Folgen der damaligen Ereignisse, denn nun gibt es immer mehr Menschen mit Superkräften, zu denen auch Kamala gehört. Wie alle sogenannten Inhumans wird Kamala von den Truppen der Organisation AIM verfolgt, deren oberster (Riesen-)Kopf kein geringerer als der bei Comickennern bekannte MODOK ist. Der will wiederum alle Inhumans auslöschen und schreckt dank gigantischer Ressourcen inklusive Schlachtschiffen, Roboterarmeen und so manch Verbündetem nicht davor zurück, ganze Städte in Angst und Schrecken zu versetzen. Die Welt braucht also unbedingt ihre Avengers und es liegt an Kamala, die alte Garde nach und nach wieder zusammen zu bringen.

Kamala bzw. die spätere Miss Marvel als anfänglichen Hauptcharakter aufzubauen, war definitiv eine der besten Entscheidungen der Entwickler. Wie bei fast allen Charakteren, fallen ihre Dialoge stimmig und auch ihre Entwicklung hin zur Heldin angenehm unterhaltsam aus. Vor allem ihre Fansicht auf die Avengers sorgt mehrfach für spaßige, aber nicht nervige oder gar fremdschämige Momente und lockert das Geschehen auf. Während wir voranschreiten, gesellen sich zunächst Bruce Banner, Tony Stark und Black Widow zu uns, ehe gegen Ende Thor auftaucht und es eine doch ziemlich erwartbare Überraschung bezüglich eines anderen Charakters gibt – mehr muss man dazu sicher nicht sagen. Erfreuliches gibt es auch beim Gameplay zu berichten, denn jeder Held bringt seinen Kampfstil plus mehrere Skilltrees und Ausrüstungsgegenstände mit, sodass es zunächst Freude macht, etwa mit Iron Man und dessen typischer Bewaffnung durch die Lüfte zu gleiten, mit der besonders agilen Black Widow akrobatische Moveketten vom Zaun zu brechen oder mit der puren Kraft Hulks ganze Gegnertrauben durcheinander zu wirbeln.

In den meisten Storymissionen ist zwar die Heldenwahl vorgegeben, allerdings haben wir immer wieder auch die Wahl, welchen Helden wir selbst übernehmen und wer uns als KI begleitet. Letzteres erweist sich übrigens als ein Knackpunkt von Avengers, denn die KI macht ihren Job sowohl beim Austeilen wie beim Wiederbeleben gefallener Recken fast schon zu gut. Wer auf einem niedrigeren Schwierigkeitsgrad zockt, kann sich meist zurücklehnen, die bis zu drei KI-Begleiter den Rest erledigen lassen und sich nach Loot und Ressourcen umsehen. Leider hat es Crystal Dynamics trotz viel Kritik vorab am Lootsystem nicht geschafft, dieses bis dato motivierend zu gestalten. Wie bei vielen GaaS-Vertretern sammeln wir zwar unendlich viel Krempel und Ausrüstung, doch deren Wirkungen als auch vor allem der komplette Mangel an optischer Auswirkung auf die Figuren nimmt der Ausrüstungsoptimiererei jeden Reiz.

Richtig schlimm wird Avengers aber beim Blick auf das Geschehen in den Missionen. Zwar sind die verschiedenen Schauplätze mit ihren gebirgigen Wäldern, Städten oder etwa einer Weltraumstation teils ansehnlich und zuweilen weitläufig genug für Flug-, Schwing- oder Wallrunausflüge. Doch im Grunde erschöpft sich das Gameplay im immer gleichen Ablauf. Wir latschen mit unseren Helden von einem Checkpoint zum nächsten, geraten in völlig konfuse und überladene Massenprügeleien und dringen meist in gleich aussehende Forschungslabore ein, wo uns auch nur die immer gleichen Roboterarmeen in Endlosschleife erwarten. Selbst die opulent inszenierten, aber meist belanglosen Endbosse wie Hulks Nemesis Abomination oder mehrere Riesenroboter begegnen uns viel zu selten und bieten spielerisch mit Ausnahme der Endschlacht zu wenig Substanz, um wirklich an den vielen vorhandenen Fähigkeiten zu feilen oder sie überhaupt einsetzen zu wollen.

Das ist, nicht nur für ein Marvel-Game, einfach zu wenig Vielfalt und selbst wenn sich noch weitere (kostenfreie) Helden wie Hawkeye oder Spider-Man mitsamt eigener Storystränge hinzugesellen, reicht es nicht, sich gefühlt mit nur zwei bis drei Attacken gegen 100 von allen Seiten anstürmende Feinde zu wehren, weil man vor lauter Unübersichtlichkeit und mangels weiterer Spielelemente einfach keine Variation ins Spiel bekommt. Gerade die extrem generischen, erzählerisch banal zusammengehaltenen Aufträge nach der Kampagne (in der sogenannten Avengers Initiative aka Auswahl an verschiedenen Missionen für Solo wie Multiplayer) recyclen Schauplätze, Gegner und Abläufe dermaßen dreist, dass man sich fragt, was außer den Ansagen zu Beginn einer Mission eigentlich anders ist als zuvor. Da wir aber unsere Riege stets weiter aufleveln müssen, um in den Missionssträngen weiterzukommen, fragt man sich schon, warum man das speziell als Einzelspieler tun sollte – wobei auch online mit weiteren Mitspielern bei dieser Monotonie kaum mehr Freude aufkommt. Dass man dann im Zusammenspiel mit anderen Mitspielern auch keine Figur doppeln und man daher nicht konstant auf seine Lieblingsfigur zurückgreifen kann, kommt als weiterer Downer hinzu.

In technischer Hinsicht setzt sich der zwiespältige Eindruck leider fort. Fallen die Charaktermodelle und einige Umgebungen wie die Social Hubs (z.B. das Flugschiff der Avengers, wo wir uns zwischen den Missionen teilweise wie Zuhause fühlen und Dialoge führen dürfen) dank netter Details positiv auf, lassen u.a. richtig fiese Ruckler in den Cutscenes, schlechte Lippensynchro (trotz eigentlich solider deutscher wie englischer Sprachausgabe) und viele altbackene Texturen daran zweifeln, dass hier mit letzter Konsequenz an der Qualität des Titels gearbeitet wurde.

Insgesamt wird man den Eindruck nicht los, es mit einem zu ambitionierten und damit letztlich mal wieder gescheiterten GaaS-Projekt zu tun zu haben. Wer nur die Kampagne spielt, sich nicht um jeden Slot eines Skilltrees, nicht am Charaktermodell sichtbare Ausrüstung oder spielerische Abwechslung schert, wird einige Stunden gut unterhalten und erlebt dank des typischen Marvel-Humors und einiger gelungener Einsprengsel wie Tony Starks Suche nach einem neuen Iron Man-Suit echtes Blockbusterflair. Spieler, die sich wochenlang in komplexe oder gar vielschichtige Inhalte nach der Story reinfuchsen und sich ihre perfekten Helden basteln wollen, dürften – Stand jetzt – enttäuscht sein von dem, was Avengers bislang anzubieten hat. Ob das noch substanziell besser wird, bleibt zumindest fraglich.

Fazit

Teilweise bombastisches Dauergekloppe mit typischer Marvel-Inszenierung, dem allerdings spielerisch schnell die Puste ausgeht und dessen Missionsdesign spätestens nach der Kampagne einfach zu wenig motiviert.

Marvel’s Avengers • Crystal Dynamics • Action-Adventure • PS4/Xbox One/PC

Abb. © Square-Enix

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