„Spaceman – Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt“
Mischung aus Therapiesitzung mit Alien-Spinne und Nutella-Werbespot
Jakub Procházka, der erste Raumfahrer der tschechischen Geschichte, soll mit einer durchgesponsorten Mission seinem Land Ruhm und Ehre bringen und vor allen anderen Nationen den seltsamen lilanen Nebel untersuchen, der seit vier Jahren von der Erde aus sichtbar ist. Die Tage im All zehren am Gemütszustand, fade Routine und Einsamkeit haben ihre Spuren im Gesicht des von Adam Sandler gut gespielten Weltraumpioniers hinterlassen – zusätzlich lastet auf ihm, dass sich die auf der Erde zurückgelassene Ehefrau Lenka (tolle Schauspielerin, völlig verschenkt: Carry Mulligan) mit einem Mal nicht mehr meldet. Der Grund: Lenka hat ihn abserviert, doch das Abschiedsvideo wurde von der Leiterin der Mission (Isabella Rossellini, tolle Schauspielerin, in unwürdiger Nebenrolle versenkt) vorenthalten. Plötzlich muss Jakub feststellen, dass er nicht allein ist: Ein spinnenartiges Alien mit einer großen Vorliebe für Schokocreme ist ebenfalls anwesend, will ihm aber nichts Böses, sondern die Menschen verstehen lernen und somit entspinnt sich im Folgenden eine Art Therapiesitzung, in deren Verlauf realitätsverändernde Erkenntnisse getroffen werden. Wie zum Beispiel die, dass der Anfang das Ende ist und wir zurück zum Anfang müssen, um neu zu beginnen.
Der Vergleich ist vielleicht etwas wild, aber zu verführerisch um ihn nicht zu bringen – denn er macht deutlich, was am amerikanischen Kino dieser Tag so unglaublich nervt: Nur ein Tag vor „Spaceman - Eine kurz Geschichte der böhmischen Raumfahrt“ ist die chinesische Produktion „Only The River Flows“ in den deutschen Kinos gestartet. Hierbei handelt um die Verfilmung des Romans „Mistakes by the River“ von Yu Hua, in China einer der größten und wichtigsten Gegenwartsautoren. Natürlich finden sich, wie bei jeder Literaturverfilmung, Unterschiede zwischen Vorlage und Adaption, statt aber das Geschriebene mit Ziel maximale Anschlussfähigkeit zu simplifizieren, entschloss man sich, dem Publikum was zuzutrauen, blieb dem Geiste der Vorlage treu und veröffentlichte im Oktober 2023 einen surrealistisch angehauchten, unkonventionell erzählten Film zwischen Film-noir-Hommage und Politparabel, ruhig, subtil, herausfordernd. Man begegnete den Zuschauern auf Augenhöhe. Eine bekannte Besetzung, allen voran Superstar Zhu Yilong, sollte dem Projekt finanzielle Sicherheit geben. Die Rechnung ging auf: „Only The River Flows“ konnte sich in den chinesischen Kinocharts auf Platz 1 platzieren. Das ist aber mitnichten nur dem Cast zu verdanken, der bisweilen rätselhafte Film hatte eine nachhaltige Wirkung beim Publikum, löste in den sozialen Medien monatelang zahllose Diskussionen aus.
„Spaceman“ basiert auf dem 2017 erschienen, wunderbar schrägen, so humorvollen wie tiefgründigen und komplexen, fast gleichnamigen Debütroman des tschechischstämmigen Schriftstellers Jaroslav Kalfař. Die Verfilmung kommt ebenfalls prominent besetzt daher, allerdings scheint man in Hollywood die Zuschauer tendenziell für minderbemittelte Idioten zu halten und somit wurde auch dieser Roman mal wieder kräftig runtergedooft.
Das in Stromlinienform gebrachte Überbleibsel von Kalfařs Geschichte wird derart plump in die Publikumshirne gefunkt, dass bereits nach fünf Minuten kristallklar ist, wohin die Reise geht. So fragt ein kleines Mädchen von der Erde: „Bist Du der einsamste Mensch der Welt?“, worauf Jacub antwortet: „Nein, ich bin nicht der einsamste Mensch der Welt!“. Also isser einsam! Und wie! Der Film dreht sich erschlagende 107 Minuten darum, dass Jacub einsam ist und ihm das mittels einer Psychotherapiesitzung der auf den Namen Hanuš getauften Alien-Spinne, klargemacht wird. Dabei stehen vor allem banale Eheprobleme im Mittelpunkt, aber der Trouble zwischen Jacub und Lenka fühlt sich trotz nur so aus dem Bildschirm sprudelnder Emotionen behauptet an, denn im Gegensatz zum Buch ist in keinem Moment wirklich greifbar (es wurde nahezu der gesamte, historisch unterfütterte, Hintergrund der Figur gestrichen), wer das denn eigentlich ist, mit dem wir da mitleiden sollen beziehungsweise wieso Lenka sich in diesen fix und fertig aussehenden Typen im All einst verliebt und später dann wieder entliebt hatte. Irgendwann endet das Ganze in einer Art Terrence-Malick-Gedächtnis-Wabern, bei der Sandler, Hanuš und ein Glas tschechische Nutella durch den Weltraum gleiten.
Es ist so schade: Um Sandler, um Mulligan, um Rossellini, um die herrlich abgegriffen, fast ein bisschen schrottig wirkende Ostblock-Raumschiff-Kulisse und um Max Richters Ambient-/Drone-/Fidel-Score, der eigentlich ganz ok bis gut, aber halt fast pausenlos im Einsatz ist und irgendwann Blut aus den Ohren tröpfeln lässt.
Über „Only The River Flows“ wird man auch in ein paar Monaten noch reden, okay, vielleicht nur in China, aber bei „Spaceman – Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt“ wird nach diesem Wochenende weltweit schon bald nur noch eine Nutella-mampfende Alien-Spinne in Erinnerung bleiben.
Spaceman – Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt • USA 2024 • Regie: Johan Renck • Darsteller: Adam Sandler, Carey Mulligan, Kunal Nayyar, Lena Olin, Isabella Rossellini • auf Netflix
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