22. Juli 2014 2 Likes 5

In Wirklichkeit wimmelt es!

Neue Ansätze für Leben auf Himmelskörpern unseres Sonnensystems – Eine Kolumne von Uwe Neuhold

Lesezeit: 4 min.

Spätestens wenn die Kryobot-Raumsonden der „Europa Jupiter System Mission“  ihre Daten übermittelt haben, wird aus der Vermutung Gewissheit werden: Es gibt dort draußen nicht nur mannigfaltiges Leben – rückblickend ist es sogar  erstaunlich, wie ignorant wir annahmen, nur auf der Erde existierten die nötigen  Voraussetzungen dafür.

Denn obwohl es heute nicht so aussieht, war die Erde kein besonders geeigneter Ort für die Entstehung von Leben: Die Hauptzutaten findet man viel seltener hier als weiter draußen im Sonnensystem. Im Zuge der Planetenentstehung sammelten sich vor Jahrmilliarden nämlich schwerere Elemente in der Nähe der Sonne, während die leichteren, flüchtigeren hinaus in die kälteren Zonen mit geringerer solarer Anziehungskraft gelangten: Wasser, Kohlendioxid, Methan, Ammoniak und Stickstoff stecken in nur relativ geringen Mengen in unserem heimatlichen Gesteinsplaneten. In weitaus größerer Zahl findet man sie  in den Gasriesen Jupiter, Saturn und Uranus. Dabei sind genau das die Materialien, aus denen sich Leben entwickelt!

Wir haben heute gute Gründe, anzunehmen, dass Leben überall dort gebildet wird, wo es flüssiges Wasser gibt. Doch woher kam das Wasser auf der Erde? Aufgrund seiner Lage und Geschichte sollte unser Planet eigentlich weitaus trockener sein. Die meisten Astronomen stimmen überein, dass eisige Kometen in der Phase nach der Erdentstehung Wasser und andere flüchtige Elemente bei Einschlägen hier „ablagerten“. Anhand von Isotopenanalysen des irdischen lässt sich abschätzen, dass in jedem Glas Wasser, das wir trinken, etwa die Hälfte der Flüssigkeit von Kometen stammt.

Aber das ist noch gar nichts: Addiert man die Menge des flüssigen Wassers auf Jupiters Monden Europa, Ganymed und Callisto mit dem der Saturnmonde Titan und Enceladus (allesamt weitaus kleiner als die Erde), ergibt sich ein hundertfach größeres Volumen als jenes des irdischen Wassers. Das wichtigste Lebenselement ist andernorts also weitaus häufiger als hier. Wie sieht es mit den anderen Zutaten aus?

Die gängige Theorie zur Biogenese auf der Erde besagt, das erste Leben bildete sich an „black smokers“: Säulen aus erstarrendem heißen Magma, das am Meeresboden aus dem Erdmantel austritt. In diesem Milieu entstehen Aminosäuren und hier finden einfache Organismen Energie in Form von Wärme sowie vielfältige mineralische Nahrung, wodurch sie ihrerseits als Lebensgrundlage für komplexere Wesen  dienen.

Anders als Ökosysteme an der Oberfläche, die von Photosynthese (und damit der Energie der Sonne) abhängen, basiert das Leben am Meeresgrund auf Chemosynthese: Mikroben wandeln die Elemente hydrothermaler Tiefseequellen in Energie um. Sieht man sich an, wie häufig solche Zonen über die Erdkruste verteilt sind – und wie sich unabhängig voneinander dort jeweils Organismen entwickelt haben – ist die Wahrscheinlichkeit für Leben nicht mehr „erstaunlich gering“ sondern, im Gegenteil, praktisch zwangsläufig.

Und warum sollte das nur hier funktionieren? Im 100 Kilometer tiefen Ozean von Europa beispielsweise dürfte es ebenfalls tektonische Ereignisse geben, die zu einer Erwärmung des Meeresbodens führen. Auf Enceladus sprühen sogar, wie die Cassini-Raumsonde zeigte, gigantische Säulen aus salzhaltigem, organisch angereichertem Wasser in den Weltraum. Auch auf Ganymed existiert – ähnlich wie auf Europa – unter einer dicken Eisschicht ein riesiger Ozean. Dort sollten sich im Laufe von Jahrmilliarden vielfältige Ökosysteme gebildet haben, die weitaus wahrscheinlicher sind als jene unserer Erde. Im Gegensatz zu Gesteinsplaneten mit komplexer Atmosphäre scheinen Wasserplaneten und –monde mit und ohne Eisbedeckung weitaus häufiger zu sein; nicht nur im Sonnensystem sondern im Universum generell.

Wäre es ein Problem, wenn Wasserwelten über keine Tektonik, keinen heißen Erdmantel und somit auch keine heißen Quellen am Meeresgrund verfügen? Aber nein, überhaupt nicht: sogar auf der Erde finden wir ganz andere Beispiele für Lebensgrundlagen! So existiert etwa 20 Kilometer entfernt vom Mittelatlantischen Rücken – also weitab von geologischen Rissen, Magmaausbrüchen und 400°C heißen „black smokers“ –ein weiträumiges Gebiet voller Leben. Wissenschaftler nennen es die „Lost City“, da sich dort am Meeresboden zahlreiche weiße Kohlenstofftürme gebildet haben, rund um die sich Leben tummelt. Die Energie wird hier aus einer chemischen Reaktion gewonnen, die sich ereignet, sobald salziges Ozeanwasser auf frei gelegtes, kaltes Peridotgestein des Erdmantels trifft. Auch hierbei entsteht mit 70°C etwas Wärme – ein bisschen vergleichbar mit Hosentaschenwärmern (bei denen allerdings Sauerstoff mit Eisen reagiert) – und damit genug Energie für organische Verbindungen.

Darüber hinaus gibt es noch weitere denkbare Möglichkeiten, wie auf einem fernen Planeten oder Mond ausreichend Wärmeenergie für Leben entstehen könnte: etwa radioaktiver Zerfall oder Gezeitenenergie (hervor gerufen durch nahe Riesenplaneten wie Jupiter). Und selbstverständlich könnte sich das Leben im Weltall auch anders zusammensetzen als aus DNS, RNS und Proteinen, könnten die biologischen Marker andere als nur Methan und Kohlendioxid sein.

Die Meere der Jupitermonde. Die zahlreichen Trabanten von Saturn, Uranus und Neptun. Die noch unerforschten Höhlen des Mars. Ja selbst bestimmte Gebiete auf Venus und Merkur… vielleicht sogar die Polarzonen unseres eigenen Mondes. Überall Flüssigkeit, Gestein, potenzielle chemothermische Reaktionen. Ich fresse meinen Hut, wenn es selbst in unserem relativ kleinen Sonnensystem nicht vor lauter Leben wimmelt. Wir müssen nur rausgehen und es suchen!

Wie denken Sie darüber? 

Uwe Neuhold ist Autor und bildender Künstler, der sich insbesondere mit naturwissenschaftlichen Themen befasst.

Kommentare

Bild des Benutzers Hans Schilling

Rausgehen :) und suchen. Bin dafür. Filmisch wurde dies ja schon praktiziert: Die BBC-Doku "Weltraum Odyssee" von 2004 schickt eine int. Besatzung für 6 Jahre hinaus in unser System um Leben zu suchen. Nicht immer wissenschaftlich korrekt, aber so ähnlich könnte es funktionieren.
Mir stellt sich nur eine Frage, welche Sie mir hoffentlich beantworten werden können:
Vorausgesetzt die "Zutaten" für Leben sind gegeben - in welcher Form auch immer - muss dann zwangsläufig Leben entstehen? Und ist dies sinnvoll?

Bild des Benutzers Uwe Neuhold

Stimmt, Leben muss nicht immer und überall entstehen. Ich bin allerdings überzeugt, dass wir unser - unbewiesenes - Paradigma ("Die Entstehung von Leben ist unendlich kompliziert und äußerst unwahrscheinlich") schon sehr bald ändern werden in: "Leben ist überhaupt nichts Besonderes, es hat einen Drang, sich noch an den seltsamsten Orten zu bilden" - in ätzenden Säureseen, auf abgelegenen Gesteinstrümmern, in eisigkalten Meerestiefen, auf schmelzenden Kometen, sogar in meinem vernachlässigten Kühlschrank ;-)

Bild des Benutzers Shrike

Rausgehen :) und suchen, ja dafür bin ich auch.
Schade nur, dass unser Menschenleben nur den Bruchteil eines Wimpernschlages währt.
Gottseidank haben wir unsere Phantasie, die SciFi-Autoren und -Filmemacher und diezukunft.de

Bild des Benutzers Uwe Neuhold

Ja, das mit dem "einfach so rausgehen" ist leider echt noch ein Problem, und das mit unserer kurzen Lebensspanne ebenfalls. Wir müssen daher endlich beginnen, unser gesamtes ungenutztes KnowHow, die global verschwendeten Geldmengen, die täglich vergeudete Energie und die vielen unsinnigen Diskussionen in ein gemeinsames großes Projekt zu stecken: unsere Zukunft im Weltraum. Wer macht mit?

Bild des Benutzers Elisabeth Bösl

Bin dabei!

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