24. Oktober 2014 2 Likes 3

Ein Kalifat auf dem Mars

Warum können wir unseren Nachbarplaneten nicht einfach in Ruhe lassen? – Eine Kolumne von Sascha Mamczak

Lesezeit: 4 min.

Der Mars ist für mich kein Problem. Das soll heißen, dass ich auf die in Literatur und Wissenschaft rauf und runter diskutierte Frage, was wir mit dem in erreichbarer Nähe schwebenden Stück erodiertem Fels namens Mars anfangen sollen, eine klare und denkbar simple Antwort gebe.

Nichts.

Ganz genau: nichts. Ich plädiere hier und heute dafür, dass wir den Mars zum internationalen oder meinetwegen interplanetaren Schutzgebiet erklären, so wie auf der Erde die Antarktis ein solches Schutzgebiet ist, und ausschließlich zu Forschungszwecken dorthin reisen – und auch das nur unter der Vorraussetzung, dass wir den Müll, den wir dorthin transportieren (wo immer Menschen hingehen, haben sie Müll im Gepäck), wieder mit zurücknehmen. Der Mars braucht unseren Müll nicht. Der Mars braucht uns nicht.

Aber offenbar brauchen wir den Mars. Seit wir unseren Blick auf diesen trüben Himmelskörper gerichtet haben, haben sich in unseren Köpfen Bilder von tapferen Raumfahrern, wahren Pionieren, breitgemacht, die auf dieser „Neuen Welt“ eine Fahne in den Boden rammen und sie in Besitz nehmen. Bilder von Kolonien, in denen die Menschen den widrigen Bedingungen auf dieser Welt trotzen und sie urbar machen. Bilder von riesigen Maschinen, die diese Welt peu à peu in eine zweite Erde verwandeln. Bilder, die uns ganz und gar einleuchten, denn das ist es ja schließlich, was die Menschheit mit der ihr zugänglichen physischen Welt immer getan hat: Sie hat sie in Besitz genommen, kolonisiert, verändert. Zugegebenermaßen ist es also denkbar unwahrscheinlich, dass aus dem Mars jemals ein solches Schutzgebiet – ein gigantischer Ayers Rock am Himmel – werden wird.

Vielleicht sollten wir uns aber über einen nicht unwichtigen Aspekt im Klaren sein, bevor wir uns in die Raumschiffe setzen und die Claims auf unserem Nachbarplaneten abstecken: Es gibt kein „wir“. Es gibt nicht „die Menschheit“, die dorthin reist. Was es gibt, sind Nationen und Firmen, private und öffentliche Interessen, ökonomische und politische Begehrlichkeiten. Schon Armstrongs Schritte auf dem Mond waren ein aus dem Kalten Krieg geborener politischer Kraftakt, und wenn China seit einigen Jahren Raketen ins All schickt, dann nur, um dem Westen zu zeigen, wozu man fähig ist – Millionen von ausgebeuteten chinesischen Wanderarbeitern haben nichts davon. Warum soll es sich da mit dem Mars anders verhalten? Glaubt wirklich jemand, dass wir aus reiner Neugier und Abenteuerlust dort unsere Zelte aufschlagen werden? Dass sich die Menschen dort oben verbrüdern und Hand in Hand in eine glorreiche interplanetare Zukunft schreiten werden?

Es ist nicht nur schwer, sondern ganz und gar unmöglich, jetzt, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, an so etwas zu glauben. Denn zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist das politische Prinzip, das die globalen Angelegenheiten bestimmt und antreibt, mehr denn je das banalste von allen: die Landnahme. Ob Russland in der Ukraine, China in Afrika oder Israel in Palästina – wer ein Stück Land besetzt oder kauft oder annektiert, verschafft sich einen Vorteil im kommenden Kampf um die zur Neige gehenden Ressourcen. (Auch der Westen spielt dieses Spiel – gelernt ist gelernt –, seine Mittel sind nur nicht gar so plump, sondern verbergen sich hinter wohlklingenden Namen wie „Freihandelsabkommen“ oder „Entwicklungshilfe“.)

Was passiert eigentlich, wenn sich dieselben Begehrlichkeiten auf den Mars richten? Und was passiert eigentlich, wenn sich die Begehrlichkeiten jener auf den Mars richten, die diese Landnahme gerade in ihrer allerreinsten Form praktizieren: die Dschihadisten, die in Syrien und Irak unter Beweis stellen, dass man mit Religion und schwerem Geschütz ganze Staaten aus den Angeln heben kann? Ihre perverse Motivation ist es, dass sich jeder Mensch dem Islam und der sich daraus ableitenden „Rechtsordnung“ unterwirft – von jedem Menschen auf der Erde ist nicht die Rede, die schwarze Fahne Allahs kann auch auf anderen Planeten wehen. Klar: Es fällt uns schwer, ein solches Szenario ernst zu nehmen, denn zu einem anderen Planeten zu reisen, heißt Wissenschaft und Technik zu meistern, und diese bärtigen Wüstenkrieger können ja mit Wissenschaft und Technik nichts anfangen, oder? Doch, können sie: Es ist so erstaunlich wie schockierend, wie intensiv und schnell sich die Dschihadisten das Internet und die Möglichkeiten, die die sogenannten „sozialen Netzwerke“ bieten, zunutze gemacht haben. Es ist ebenso erstaunlich wie schockierend, dass ein Land wie der Iran – trotz aller Schönwetterreden immer noch eine religiöse Diktatur – die Atomkraft für sich nutzbar macht. Und es ist so erstaunlich wie schockierend, dass ein hochautoritäres Staatsgebilde wie China Jahr für Jahr ganze Städte aus dem Boden stampft, die aussehen wie auf den Covern der Science-Fiction-Magazine der 1940er und 1950er Jahre. Ist da eine Rakete, mit der islamische Fundamentalisten zum Mars reisen, um dort ein Kalifat zu errichten, wirklich völlig abwegig? Wirklich?

Nicht dass ein solches Mars-Kalifat lange Bestand haben würde – auch das aktuell in Syrien und Irak ausgerufene wird nicht lange Bestand haben –, aber wer immer in Visionen vom Aufbruch der Menschheit zum Mars, von der Besiedlung einer zweiten Erde, wenn wir die erste wie eine Zitrone ausgepresst haben, schwelgt, muss wissen, was er sich einhandelt. Mit unserem Müll haben wir nämlich auch das Erbe eines seit Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden andauernden ökonomischen, ideologischen und religiösen Bürgerkriegs im Gepäck. Die Kinder Abrahams leben nicht in Frieden miteinander. Und sie kommen auch nicht in Frieden.

Zumindest jetzt und auf absehbare Zeit noch nicht. Nicht, wenn wir nicht endlich lernen, dass es doch ein „wir“ gibt: diese eine Menschheit, die nichts hat außer sich selbst. Nicht, wenn wir nicht endlich damit beginnen, unser Haus – dieser blaue Fleck im All namens Erde – in Ordnung zu bringen.

Ganz ehrlich: Der Mars kann warten.
 

Sascha Mamczaks Buch „Die Zukunft – Eine Einführung“ ist im Shop erhältlich.

Kommentare

Bild des Benutzers Shrike

Ich hoffe ja immer noch, dass es die Wissenschaftler sein werden, die ihre fähigen Köpfe dazu benutzen, um eines Tages religiösen und sonstigen Fanatismus zu eliminieren.
Dann könnten wir uns dem Mars wieder widmen - und so vielen anderen Dingen auch.

Bild des Benutzers Horusauge

Wieder einmal eine andere Sicht auf die Dinge bzw den roten Mond.

Das wirtschaftliche Denken steht und stand hinter so manchem Krieg. Die Religion hat schon immer eine eigene Stellung innerhalb so manchem Krieg bezogen und mitgemischt.
Jeder hat seine eigene Sichtweise, und jeder (Mensch, Partei, Wirtschaft, Wissenschaft) versucht seine eigenen Interessen durchzuboxen. Das WIR ist schon lange nicht mehr gefragt.
Umso besser finde ich diesen Artikel, der an das Gemeingefühl erinnert. Diese Zeilen sollte den Politikern, Wissenschaftlern, Regierungen unter die Nase gehalten werden!

Bild des Benutzers Johann Seidl

Vorher geht es wahrscheinlich erst einmal um den "weißen Mars" - die Antarktis - rund ...

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