27. März 2015 3 Likes 4

Unser kalter Zwilling

Das Wetter auf dem Titan: Was Berge aus Eis mit Hobbits zu tun haben – Eine Kolumne von Judith Homann

Lesezeit: 5 min.

Ein dichter orangefarbener Dunstschleier verhüllt den Himmel. Die Luft ist eiskalt, aber stickig, und ein trübes Zwielicht taucht die Welt auch tagsüber in Sepiatöne. Dunkle, bedrohliche Dünen türmen sich auf. Ein beißender Wind fegt über Ebenen. Kalte Vulkane speien Eis … Klingt wie ein billiger Endzeitroman? Na gut, dann noch ein Tipp: Wäre der Dunst auf diesem fernen Himmelskörper nicht so dick wie Erbsensuppe, wäre sein Firmament vom Anblick des majestätischen Saturn mit seinen Ringen bestimmt.

Wir befinden uns auf Titan, dem größten Saturnmond und – so unglaublich das auch klingen mag – dem erdähnlichsten Himmelskörper unseres Sonnensystems. Mitteltemperaturen von -180 Grad Celsius klingen nicht gerade erdähnlich, zugegeben, erst Titans extrem dichte stickstoffbasierte Atmosphäre macht diese Ähnlichkeit deutlich. Außerdem gibt es auf seiner Oberfläche Flüssigkeit. Es handelt sich zwar um flüssiges Methan, aber das lassen wir durchgehen.

Titan wurde schon 1655 vom Niederländer Christiaan Huygens entdeckt, doch aufgrund seiner extrem dichten Atmosphäre blieb uns seine Oberfläche lange verborgen. Erst die Cassini-Huygens-Mission brachte Erkenntnisse über den Saturnmond. Der Orbiter Cassini kreist seit 2004, nach einer siebenjährigen Reise, um Saturn und seine Monde, während die Sonde Huygens im Jahr 2005 auf Titan selbst landete, Daten aus der Atmosphäre und von der Oberfläche sammelte und hastig zu Cassini zurückfunkte, bevor sie nur zwei Stunden nach ihrer Landung wie geplant den Funkkontakt abbrach und ihr Leben aushauchte. Alles, was wir heute über die Oberfläche von Titan wissen, stammt aus diesen wenigen Stunden. Cassini fliegt derweil weiter tapfer ihre Runden um den Gasriesen und seine zahlreichen Monde; die Mission soll 2017 beendet werden. Dann wird sich der Orbiter todesmutig in den Kern unseres zweitgrößten Planeten stürzen.

Titan (Foto von Huygens-Sonde)Titan ist ein Eismond – Wassereis, um genau zu sein, das aufgrund der extrem niedrigen Temperaturen so hart wie Stein ist. Unter der gefrorenen Oberfläche existiert wahrscheinlich ein Ozean aus flüssigem Salzwasser. Methan, das auf der Erde außer unter hohem Druck im Permafrost gasförmig ist, nimmt auf Titan die Rolle des irdischen Wassers ein. Hier existiert ein Methan-Kreislauf: Es bildet Teiche und ganze Seen, verdunstet, und hin und wieder regnet es sogar Methan. (Zur Erinnerung: Ja, Methan ist das, was Kühe pupsen.) Woher dieser Stoff in der Titanatmosphäre kommt, ist den Forschern noch nicht klar. Da Methan unter UV-Strahlung zersetzt wird, muss es einen kontinuierlichen Nachschub geben, um die relativ hohe Konzentration aufrecht zu erhalten. Manche Theorien gehen davon aus, dass Titans Magnetfeld freie Gase aus dem Weltall „einfängt“. Eine andere Erklärung wären die erwähnten kalten Vulkane – Kryovulkane, die keine Lava, sondern Methan, eisförmiges oder flüssiges Wasser oder gar Ammoniak speien können. Deren Existenz ist auf anderen Monden wie Neptuns Triton bewiesen, auf Titan gibt es immerhin Hinweise. Es könnte also sein, dass diese Kryovulkane Methan, Wasser und andere Gase aus dem Inneren von Titan an die Oberfläche bringen – es gibt Indizien, dass die Gase der Atmosphäre tatsächlich aus dem Kern von Titan selbst stammen. Doch um dieses Rätsel endgültig zu lösen, bräuchten wir eine viel klarere Vorstellung vom inneren Aufbau des Mondes. Ist er einfach ein riesiger gefrorener Schneeball, oder besitzt er einen Kern aus Gestein? Viele Fragen lassen sich nur mit einer weiteren Mission beantworten.

Woher die Gase auch kommen, Titans Atmosphäre besteht jedenfalls zu etwa 95 Prozent aus Stickstoff (zum Vergleich: etwa 78 Prozent in der Erdatmosphäre) und 5 Prozent Methan (Erde: lausige 0,0002 Prozent). In der oberen Atmosphäre werden diese Moleküle durch UV-Strahlung von der Sonne aufgespalten und freigewordene Atome kombinieren sich zu neuen, zum Teil organischen Verbindungen. „Organisch“ klingelt dem Erdbewohner in den Ohren – heißt das nicht Leben? Jein. Eine Vorstufe vielleicht; und auf der Erde könnten vor der Entstehung des Lebens durchaus ähnliche Verhältnisse geherrscht haben wie heute auf Titan. Allerdings hatte unsere Ursuppe es so nahe an der Sonne mollig warm, während auf Titan gern mal jemand die Heizung hochdrehen könnte. Die Forscher sind sich einig, dass Titan viel zu kalt für die Entwicklung von Leben ist. Die Grundlagen sind jedoch gegeben, und das unterscheidet Titan so deutlich von anderen Himmelskörpern in unserem Sonnensystem.

Der schon erwähnte Methanregen, der auf Titan hin und wieder fällt, kann aufgrund der dichten Atmosphäre sehr große Tropfen ausbilden und fällt durch die geringe Schwerkraft so langsam wie Schnee. Es regnet vermutlich nur selten, aber wenn, dann wie aus Eimern. Sogar Stürme wurden schon beobachtet, 2010 zum Beispiel ein sehr merkwürdiges pfeilförmiges Exemplar.

Da Cassini aber auf einem Saturnorbit ist und nicht nur Titan umkreist, liegen seine Messungen viel zu weit auseinander, um derart kurzlebige Phänomene näher zu untersuchen. Die grundsätzlich vorherrschende Windrichtung auf Titan scheint von Sommerhalbkugel zu Winterhalbkugel orientiert zu sein, ganz ähnlich der irdischen „Hadley Zelle“: Luft steigt in warmen Gebieten auf und sinkt in kalten Gebieten ab. Es entstehen somit ein Tiefdruckgebiet und ein Hochdruckgebiet, und die Luft fließt vom hohen zum niedrigen Druck. Auch Jahreszeiten gibt es auf Titan, genau wie bei uns. Im Sommer bilden sich zum Beispiel fluffige „Schäfchenwolken“, ähnlich wie auf der Erde, die vermutlich durch Konvektion (das Aufsteigen warmer Luft) entstehen. Da jede Jahreszeit hier allerdings sieben Jahre dauert, konnte Cassini in den letzten zehn Jahren noch nicht genug Daten sammeln, um auf den genauen Jahresverlauf schließen zu können.

Ströme aus flüssigem Methan fressen tiefe Flussbetten in das Eis der Oberfläche, die aus Cassinis Orbit deutlich sichtbar sind, Winde türmen Dünen aus dunklen Kohlenwasserstoffen auf – es wird deutlich, dass auf Titan die gleichen Prozesse wirken wie auf der Erde. Selbst auf tektonische Aktivität wurden Hinweise gefunden, und Huygens schoss Fotos von bemerkenswerten rundgeschliffenen Kieseln aus Eis – ganz wie irdische Flusskiesel.

In vielerlei Hinsicht ist Titan also tatsächlich der Erde sehr ähnlich, wenn es ihn nur nicht in eine gar so lebensfeindliche Ecke unseres Sonnensystems verschlagen hätte. Innerhalb der habitablen Zone hätte aus ihm vielleicht eine echte, bewohnte oder zumindest bewohnbare Zwillingserde werden können.

Per Konvention werden Berge und Bergketten auf Titan übrigens nach den Bergen aus J. R. R. Tolkiens „Mittelerde“ benannt. So erhebt sich – womöglich neben einem großen See aus Methan? – der einsame Erebor Mons, die Misty Montes verbergen ihre Spitzen in Methanwolken und der von Kohlenwasserstoffablagerungen ganz schwarze Doom Mons spuckt womöglich Eis und Ammoniak.

Ich werde aber das Gefühl nicht los, dass Tolkien sich Mittelerde irgendwie anders vorgestellt hat.
 

Judith Homann hat einen Master in Meteorologie von der Universität Innsbruck und interessiert sich auch für extraterrestrische Wetteraktivitäten.

Kommentare

Bild des Benutzers Horusauge

Ich wartete schon gespannt auf eine Fortsetzung. Die Info ist wie immer interessant und leicht verständlich, vielen Dank.

Bild des Benutzers Shrike

Hab ich mich doch nicht verschaut!
Die Angaben wechselten kürzlich von "macht gerade einen Master" nach "hat einen Master in Meteorologie" - meinen Glückwunsch, obwohl es ja schon wieder ein paar Wochen her ist, wie ich sehe.

Aber nichts desto trotz ist auch dieser Artikel wieder verständlich, interessant und sehr sehr schön geschrieben. Dieses Wetter macht immer gute Laune für mich und ich freue mich auf die Fortsetzung. Marswetter, Titanwetter - was kommt als Nächstes?

Bild des Benutzers Judith

Lieben Dank für die Glückwünsche =)
Was als nächstes kommt - mal sehen. Auf Saturn gibt es glaube ich einen sechseckigen Sturm! =D

Bild des Benutzers Elisabeth Bösl

Jep, "Saturns Hexagon" ist am Nordpol; der am Südpol heißt "South pole vortex". Dagegen ist Niklas wohl Kindergarten!

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