12. Dezember 2024

„Here“ – Wie die Zeit vergeht

Robert Zemeckis verfilmt erzählerisch ambitioniert Robert McGuires Graphic Novel

Lesezeit: 3 min.

Früher wurde Geschichte meist aus der Perspektive eines bedeutenden Mannes beschrieben, in den letzten Jahren dagegen erschienen zunehmend Bücher, die einen Ort, eine Stadt wie Jerusalem oder Konstantinopel in den Mittelpunkt stellen und von ihr aus den Lauf der Geschichte erzählen. In gewisser Weise ist nun Robert Zemeckis’Here“ ein ähnlicher Versuch, weniger über Figuren, als über einen Ort die Wege und Irrwege der amerikanischen Geschichte anzudeuten.

Es überrascht dabei wenig, dass es Robert Zemeckis war, der Richard McGuires vor zehn Jahren erschiene Graphic Novel „Here“ verfilmt, bzw. eher als Ausgangspunkt nimmt. Denn wer McGuires Buch kennt, weiß, das auf den rund 400 Seiten eigentlich keine Geschichte erzählt wird, es kaum Dialoge gibt, sondern der Autor auf ingeniöse Weise die Zeit an einem Ort zusammenfließen lässt. Stets aus der selben Perspektive sieht man das große Wohnzimmer eines typischen amerikanischen Einfamilienhauses, das sich von Seite zu Seite quasi durch die Zeit bewegt: Mal befinden wir uns Anfang des 20. Jahrhunderts, dann Jahrzehnte später und dann vor allem Millionen Jahre in der Vergangenheit oder in der Zukunft, als das Haus noch nicht bzw. nicht mehr existiert. Diese großen, über je eine Doppelseite des Buches reichenden Bilder werden durch kleine Inserts ergänzt, die mehrere Ären auf einen Blick sichtbar machen.

Ein tolles Konzept, das allerdings aus offensichtlichen Gründen schwer zu verfilmen erscheint. Zemeckis und sein Co-Autor Eric Roth haben den Ansatz der Graphic Novel nun einerseits hundertprozentig übernommen, ihn andererseits auch aufgelöst – und ein wenig verwässert.

Der Ort von „Here“ ist immer noch nur ein Blick in ein Wohnzimmer, der, bis auf eine markante Kamerabewegung kurz vor dem Ende, komplett aus einer starren Einstellung gezeigt wird. Inhaltlich bewegt sich „Here“ allerdings in deutlich engeren Bahnen als die Vorlage. Zwar gibt es kurze Momente, in denen etwa ein Dinosaurier über die Lichtung im Wald hoppelt, auf der später das Haus stehen wird, der Fokus der Handlung liegt allerdings auf dem von Tom Hanks und Robin Wright gespieltem Paar, das über Jahrzehnte erst freiwillig, dann notgedrungen im Haus lebt.

Kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges wird Richard (Hanks) als Sohn des Veteranen Al (Paul Bettany) und Rose (Kelly Reilly) geboren. Anfangs arbeitet Al noch erfolgreich als Vertreter, doch sein Alkoholkonsum, mit dem er die Erinnerungen an die erlebten Grauen des Krieges ertränkt, wird bald zu einem Problem. Als Teenager bringt Richard Margaret (Wright) mit nach Hause, viel zu schnell wird das Paar schwanger, Richard muss seine künstlerischen Ambitionen hinten anstellen, um Geld zu verdienen. Für ihn bleibt das Haus, das Wohnzimmer Lebensmittelpunkt, sein Vater wird in ihm sterben, seine Ehe scheitern.

Vermutlich erschien Zemeckis diese Geschichte als zu wenig substanziell, und so ergänzt er sie durch weitere eher banal wirkende Momente von Familien, die vor- und nachher im Haus leben und, wenn man will, unterschiedliche Aspekte der amerikanischen Realität verhandeln. Ein wenig beliebig wirken diese Momente aber, allein Szenen, in denen das Haus noch nicht existiert und der uneheliche Sohn von Benjamin Franklin auftaucht, deuten die lange, komplizierte Geschichte der USA an. Wenn dagegen in der Zeit nach Richard und Margaret eine afro-amerikanische Familie das Haus bewohnt, merkt man etwas zu sehr das Bemühen, auch den Zeitgeist zu bedienen.

Unzweifelhaft passt „Here“ zu Zemeckis’ Œuvre, das in den letzten Jahrzehnten zunehmend von technischen Experimenten geprägt ist: Hier ist es die Verjüngung der Schauspieler, die sogar dazu führt, dass Tom Hanks überzeugend als Sohn des in Wirklichkeit 15 Jahre jüngeren Paul Bettany durchgeht. Im Gegensatz zu den noch sehr holprig verjüngten Gesichtern in Martin Scorseses „The Irishman“, wirken die Bilder hier zwar auch noch nicht perfekt, aber doch schon sehr viel weiter. Welche Möglichkeiten – aber auch Gefahren – diese Technik mit sich bringt, wird in den nächsten Jahren fraglos noch oft Thema werden. In „Here“ nutzt Zemeckis sie jedoch vor allem dann, wenn er sich auf die Beziehung von Robert und Margeret konzentriert, zu einer berührenden Erzählung über verpasste Chancen und das Vergehen der Zeit.

Here • USA 2024 • Regie: Robert Zemeckis • Darsteller: Tom Hanks, Robin Wright, Paul Bettany, Kelly Reilly • ab 12. Dezember 2024 im Kino

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