8. November 2017 3 Likes

Stranger Things schlägt zurück

Die komplette zweite Staffel unter der Lupe

Lesezeit: 4 min.

„Stranger Things“ schlug letztes Jahr ein wie eine Bombe: Durch reine Mund-zu-Mund-Propaganda wurde aus dem Sci-Fi-Horror-Stoff ein lebendig gewordener Kult. Dabei setzten die Schöpfer, die Zwillinge Matt und Ross Duffer, auf aufkeimendes Retro-Feeling und pure 80er Nostalgie. Die Serie fühlte sich wie ein acht-stündiges Mashup aus Spielberg, King, Goonies, und fast jedem Kultfilm der letzten vier Dekaden an – und schafft es trotz all dem zu zollenden Tribut als etwas erkennbar Eigenes zu bestehen. Und dem Ganzen wird mit der zweiten Staffel eine Schippe drauf gelegt.

Die Kids um Mike (Finn Wolfhard)  und Psychokineselerin Eleven (Millie Bobby Brown) sind zurück und haben ihren vermissten Will (Noah Schnapp) im Schlepptau, dessen Verschwinden Dreh- und Angelpunkt der ersten Staffel war. Wir schreiben das Jahr 1984, es sind knapp 12 Monate seit der letzten Katastrophe vergangen und Will Byers lebt ein halbwegs normales Leben. Mike trauert immer noch El hinterher, die am Ende der letzten Staffel fast spurlos verschwand, während sich Dustin (Gaten Matarazzo) über seine neuen Zähne freut. Max (Sadie Sink), ein neues Mädchen in der Stadt, beginnt zu allem Überfluss auch noch Dustin und Lucas (Caleb McLaughlin) den Kopf zu verdrehen, während ihr Stiefbruder Billy (Dacre Montgomery) Ärger verspricht. Auf der anderen Seite des verschlafenen Hawkins kümmert sich Polizeichief Hooper (David Harbour) im Geheimen um Eleven, die Mike endlich wiedersehen will. Alles scheint seinen rechten Gang zu nehmen, während Will jedoch von wiederkehrenden Visionen des Upside Downs, der düsteren Spiegelrealtität, geplagt wird, die immer intensiver werden und ihn zu verschlingen drohen.


„The Boys are Back in Town samt Verstärkung.“

Die gelungene erste Staffel von „Stranger Things“ brachte zwar jedem Zuschauer den Zauber der Magie der 80er nahe, hatte aber auch mit einigen Mängeln zu kämpfen. Der „Fluch des wissenden Zuschauers“ war wohl allem voran eines der größten Probleme: Das Publikum weiß seit zig Folgen, was für ein Problem im Busch ist und wartet nur ungeduldig darauf, dass auch endlich die Protagonisten das Offensichtliche sehen und zueinander finden, statt nur passiv darauf zu warten, dass ihnen etwas zustößt. Im starken Kontrast hierzu das Tempo der neuen Staffel: Bis zum Ende der neun Folgen ergreift jeder Protagonist immer wieder die Initiative und begibt sich auf eigene Pfade zur Lösung. Kein Handlungsfaden „wartet“ auf eine Auflösung, sondern wird aktiv in Angriff genommen. Die Kinder sind nach wie vor äußerst glaubhaft, verhalten sich aber zu keiner Zeit „dumm“, wie man es aus so manchem Horrorstreifen gewohnt ist, und zeigen eigene Motivationen und Beweggründe.


„Die Klasse von 1984?“

Aus Autorensicht ist die zweite Staffel ein Geschenk des Himmels. Die neun Episoden sind deutlich straffer und glaubhafter inszeniert und folgen einem Schlagabtausch der Gefühle. Es gleicht einem euphorischen Erlebnis die gesamte Truppe wieder in Aktion zu sehen und Will, der kaum Teil der „Jungs“ in der ersten Staffel war, fügt sich nahtlos in die Chemie ein, was der exzellenten Autorenschaft und Noah Schnapps phänomenalen schauspielerischen Leistungen (Emmy-Nominierung!) zu verdanken ist. Selbst zunächst platte Figuren wie Sean Astins Bob sind nicht bloß als Comic-Relief gedacht, sondern erfüllen einen Sinn und Zweck – und wachsen einem unheimlich schnell ans Herz. Selbst der anfangs sehr befremdliche „Kaulquappen“-Faden Dustins führt zu einer der erfüllendsten Paarungen der Staffel, nämlich der Zusammenarbeit Steves (Joe Keery) mit Dustin. Steve war allen voran wohl die Figur, die in der ersten Staffel den größten Wandel durchmachte: vom großmäuligen Angeber zum Retter in der Not. Auf dieser Stärke baut die zweite Staffel auf und lässt Steve zu einer der besten Figuren werden. Und besagte Interaktionen mit Nicht-mehr-Milchzahn Dustin sind nicht nur unglaublich erheiternd, sondern lassen später auch echtes Herzblut durchsickern. Spätestens als Kyle Dixons und Michael Steins Hommage des „Gremlins“-Themes über die Lautsprecher dröhnt und sich „Kaulquappe“ Dart transformiert, bricht Gänsehaut aus. Und selbst die schlummernde Romanze zwischen Nancy und Jonathan ist, nach dem herrlichen, Fourth-Wall-anmutenden Monolog des Journalisten in Episode 5 und 6, mehr als verdient.


„Das neue Traum-Duo bei der Arbeit.“

Der einzig wirklich schwache Punkt der fabelhaften Staffel ist wohl einer der wichtigsten Handlungsfäden: Elevens Suche nach ihrem Ursprung beginnt zwar Dank Hooper in einer äußerst unterhaltsamen Situation, verliert sich dann aber zu sehr im Abseits. Episode 7, in der sich Eleven zu ihrer „Schwester“ begibt, ist zwar stilistisch einer der besten Episoden der gesamten Staffel, wirkt dann aber wiederum so losgelöst vom kompletten Geschehen, dass man sich fragt, ob man dafür wirklich eine ganze Folge gebraucht hätte. Die erste Staffel lebte ungemein von der Interaktion zwischen den naiven Jungs und der trockenen El, wenn Welten aufeinander trafen. Selbstverständlich wartet der Zuschauer nur auf das unaufhaltsame Treffen der Gruppen, doch das kommt viel zu spät und die Zeit, die Mike und Eleven gemeinsam verbringen, lassen sich auf wenige Sätze herunter brechen. Das muss sich in der dritten Staffel (von vier geplanten!) unbedingt ändern.

„Stranger Things“ zweite Staffel ist das völlig überstrapazierte Analog zu „Das Imperium schlägt zurück“: Sie ist düsterer, baut gewinnbringend auf den etablierten Figuren auf und erweitert nicht nur die Welt des Upside Downs um zahlreiche Facetten. Lasst uns bloß hoffen, dass in der dritten Staffel keine Ewoks auftauchen.

Die zweite Staffel von „Stranger Things“ ist seit dem 27. Oktober 2017 auf Netflix erhältlich.

Stranger Things: Season 2 • USA 2017 • Regie: u.a. Matt & Ross Duffer • Darsteller: Finn Wolfhard, Millie Bobby Brown, Noah Schnapp, Caleb McLaughlin, Gaten Matrazzo

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