
Suzette Haden Elgin
„Amerika der Männer“
In den Achtzigerjahren entstanden einige der Romane, die man heute als „feministische Science-Fiction“ zusammenfasst. Bis dahin hatte die SF Frauen entweder ignoriert, sie als „love interest“ für den männlichen Helden eingesetzt oder sie bestenfalls als gehorsame Weibchen oder alte Wissenschaftlerinnen dargestellt. Dann traten Autorinnen wie Margaret Atwood, Octavia Butler (im Shop) oder Ursula K. Le Guin (im Shop) auf den Plan, die sich ihre Gedanken über das Verhältnis zwischen den Geschlechtern machten. Eine Vertreterin dieser Strömung ist die amerikanische Linguistikprofessorin Suzette Haden Elgin. Ihr Roman „Amerika der Männer“ (im Shop) aus dem Jahr 1984 nähert sich diesem Thema über die Sprache.
Im Jahr 2205 haben Frauen all ihre Rechte verloren. Sie wurden für unmündig erklärt, durften nicht mehr wählen, durften ohne die Erlaubnis eines Mannes keinen Beruf mehr ausüben und wurden zum Eigentum ihrer Väter und Ehemänner. Inzwischen ist die Menschheit ins All aufgebrochen und hat fremde Planeten kolonisiert und Kontakt zu vielen verschiedenen Alien-Völkern hergestellt. Die Linguisten-Linien, bestehend aus mehreren Großfamilien, haben die Aufgabe, die außerirdischen Sprachen zu lernen. Dafür werden sie vom Staat gut bezahlt, was wiederum den Neid, Hass und Wut in der restlichen Bevölkerung hervorgerufen hat. Doch keiner außerhalb der Linien ahnt, was es bedeutet, Linguist zu sein: schon die Babys werden mit Aliens zusammengeführt, sodass sie deren Sprache wie eine Muttersprache lernen können. Neben mindestens einer Alien-Sprache müssen die Linguisten auch mehrere irdische Sprachen beherrschen. Weil jedes Linguistenkind also mindestens eine neue Sprache bedeutet, arbeiten auch Frauen als Dolmetscherinnen.
Eine von ihnen ist Nazareth aus dem Chornyak-Haushalt. Sie ist eine der talentiertesten Linguistinnen, aber erst im Alter wird ihr ihre wahre Bestimmung klar. Sie hat Brustkrebs, und die Männer entscheiden, dass ihr zwar die Brüste abgenommen werden dürfen, um sie zu heilen, doch sie verweigern ihr die plastische OP, um ihre Brüste wiederherzustellen. Nazareth zieht nach der Operation in das Sterilenhaus der Familie, in dem alle Frauen wohnen, die keine Kinder mehr gebären können. Dort erfährt sie, dass die Frauen seit geraumer Zeit an einem Kodierungsprojekt arbeiten. Das Ziel ist die Erschaffung einer geheimen Frauensprache, die das ausdrücken können soll, was die Männersprache nicht kann. Nazareth zeigte als Kind eine besondere Begabung für Kodierungen. Dabei werden bestimmte Elemente und Konzepte identifiziert, für die es keinen Ausdruck in der jeweiligen Sprache gibt, und anschließend mit einem neuen Wort benannt. Die Kodierungen, die sie als Kind angefertigt hatte, dienen jetzt als Grundstein der Frauensprache Láadan.
Parallel zu Nazareths Geschichte erfahren wir noch einiges mehr über das „Amerika der Männer“. In einem geheimen Regierungsprojekt werden Babys dazu benutzt, die Sprache nichthumanoider Aliens zu lernen. Doch diese Kinder finden jedes Mal einen grausamen Tod. Michaela Landrys Baby wurde von ihrem Mann an dieses Projekt „gespendet“. Daraufhin nimmt Michaela nicht nur Rache an ihm, sie wird zur Serienmörderin und tötet als Krankenschwester ihre Schützlinge. Die Ermittler kommen ihr nie auf die Schliche – sie ist schließlich „nur“ eine Frau. Michaela wird vom Chornyak-Haushalt angestellt, doch die Begegnung mit den Frauen im Sterilenhaus verändert sie für immer.
„Amerika der Männer“ zeigt uns die Welt in vielen kleinen Einzelbildern, wahrgenommen durch die Augen unterschiedlicher Figuren. Nach und nach setzen sie sich zu einem umfassenden Panorama zusammen. Die männlichen Figuren sind so chauvinistisch, als wären sie einem Robert-A.-Heinlein-Roman entsprungen, sodass sie dadurch ihre Menschlichkeit verlieren und selbst zu Aliens werden. Das wiederum unterstreicht das Leid der unterdrückten Frauen und macht die Notwendigkeit einer Frauensprache deutlich. Doch die Figuren sind alles andere als eindimensional. Die Männer denken, dass sie das Richtige tun, auch wenn ihre Taten grausam sind. Die Frauen wiederum haben Mittel und Wege gefunden, sich manchmal gegen ihre Männer zu behaupten. Wir Leser bekommen über die komplexen Charaktere einen Eindruck von einer komplexen Welt, die uns immer weniger gefällt, je mehr wir über sie wissen.
Das Láadan wird die Lebensumstände der Sprecherinnen bessern, davon sind alle Frauen überzeugt. Haden Elgin macht dafür die Sapir-Whorf-Hypothese zum Gesetz. Sie besagt, dass die Art und Weise, wie Menschen denken, durch Wortschatz und Grammatik der Muttersprache beeinflusst wird, sodass die Gedanken einer Person von jemandem, der eine andere Sprache spricht, nicht mehr vollständig verstanden werden können. Wenn die Frauen, die sich trotz der kollektiven Unterdrückung untereinander nicht einig sind, eine gemeinsame Sprache hätten, könnten sie dadurch auch ihre Gedanken anders organisieren – und damit die Welt, in der sie leben, verändern. Gleichzeitig wird aufgezeigt, dass die „Männersprache“, die sie – und damit wir Leser – benutzen, das nicht ausdrücken kann, was Frauen wahrnehmen und empfinden. Wie genau Láadan das Leben der Frauen verändert, ist allerdings nicht mehr Thema von „Amerika der Männer“. Dafür gibt es noch zwei Fortsetzungen, von denen leider nur eine, „Die Judasrose“, ins Deutsche übersetzt worden ist (im Shop). Wer das Experiment wagen will: Suzette Haden Elgin hat Láadan tatsächlich entwickelt. Es ist die erste Kunstsprache von einer Frau seit Hildegard von Bingen und kann unter laadanlanguage.org online gelernt werden.
von Elisabeth Bösl
Amerika der Männer
Die USA im 23. Jahrhundert: Den Frauen wurden alle Rechte entzogen, die sie sich im 20. Jahrhundert erkämpft hatten. Es ist ihnen untersagt, gehobene Berufe auszuüben, ohne Einwilligung der Ehemänner Geldgeschäfte zu tätigen oder sich einer ärztlichen Behandlung zu unterziehen. Sie werden von den Familienoberhäuptern wie Haustiere gehalten und eingesetzt. Den Frauen der sogenannten Linguisten-Dynastie ergeht es nicht anders. Doch ihnen und ihren Kleinkindern kommt eine besondere Aufgabe zu: Sie sollen Kontakt zu den verschiedenen raumfahrenden Völkern herstellen, denn nur das Gehirn von kleinen Kindern im vorsprachlichen Alter ist noch formbar genug, um die fremdartigen Sprachmuster zu erlernen, sodass sie später als Dolmetscher arbeiten können. Diese mühselige und frustrierende Arbeit ist zugleich die größte Chance der Frauen, sich eine eigene Geheimsprache zu schaffen, um sich so ein winziges Stück Freiheit und Unabhängigkeit zu erkämpfen.
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