24. April 2014 1 Likes

Supergeil: Nie wieder Winter!

Wer verliert was beim Klimawandel? – Eine Kolumne von Sascha Mamczak

Lesezeit: 4 min.

Das kennen Sie ja sicher auch: Man sitzt gemütlich mit Freunden im Biergarten und lässt sich von der warmen Märzsonne verwöhnen – und plötzlich faselt jemand am Tisch etwas vom Klimawandel: Dass der Mensch mit seiner Gier nach Energie und Mobilität und mit dem ganzen Dreck, den er in die Luft bläst, die Temperaturen zum Steigen bringt und so weiter. Aber wer will sich von so einer Spaßbremse schon den Tag vermiesen lassen? Die Sonne scheint. Die Vögel zwitschern. Es geht uns doch gut.

Kurzer Ausflug in meine akademische Vergangenheit: Als ich Mitte der 1990er Jahre – für die Jüngeren unter Ihnen: der deutsche Bundeskanzler war damals ein dicker Mann namens Helmut Kohl – meine Magisterarbeit in Politischer Wissenschaft vorbereitete, entschied ich mich für das zu jener Zeit recht exotische Thema „Ökologische Sicherheit“. Nicht aus Neigung zum Abseitigen, sondern weil mich wirklich interessierte, wie die sicherheitspolitische „Community“, die den Planeten seit jeher in Macht- und Einflusssphären aufteilt, mit der Logik der Naturverhältnisse umging, in der derartige Sphären bekanntlich nicht vorkommen. Der Klimawandel war in diesen Jahren ein mediales Schreckgespenst, das hin und wieder für einen Aufreger gut war – wer erinnert sich noch an den unter Wasser stehenden Kölner Dom auf der Titelseite des Spiegel? –, aber sonst in der Öffentlichkeit kaum ernst genommen wurde. Nicht so in den sicherheitspolitischen „Think-Tanks“, deren Studien und Analysen ich fleißig sammelte. Dort wurde der Klimawandel nicht nur ernst genommen, sondern er war bereits politisch eingepreist. Denn auch bei diesem Thema ging es um Macht und Einfluss auf der zukünftigen Erde, ging es um geopolitische Gewinner und Verlierer: Während die einen Länder durch die globale Erwärmung von Ernteausfällen, Flüchtlingswellen und sogar Kriegen bedroht sein würden, ergäben sich für andere ganz neue Möglichkeiten der Agrarwirtschaft und Ressourcenausbeutung. Es war, Sie ahnen es, eine ziemlich unheimliche Lektüre.

Keine zwanzig Jahre später leben wir in dieser Welt der Gewinner und Verlierer des Klimawandels. Der kürzlich veröffentlichte fünfte Klimabericht des Intergovernmental Panel on Climate Change zeigt deutlich, wie massiv die infolge der ungebremsten Kohlendioxid-Emissionen auftretenden Wetterextreme das politische und gesellschaftliche Geschehen auf dem Planeten beeinflussen (sollten Sie sich übrigens zu den sogenannten „Klimaskeptikern“ zählen, dann sind Sie herzlich eingeladen, unten einen Kommentar abzugeben; ich für meinen Teil halte die Arbeit des IPCC trotz aller Mängel im Detail für einen eindrucksvollen Beweis, dass „Wissenschaft“ tatsächlich funktioniert). Und während weite Teile der südlichen Hemisphäre vor allem mit den unangenehmen Auswirkungen des Wandels zu kämpfen haben, profitieren die Bewohner der Nordhalbkugel davon, dass ihr Klima insgesamt milder wird: Schon bald können wir in Mitteleuropa Südfrüchte anbauen und hoch im Norden die Rohstoffe ausbeuten, die das schmelzende Eis freigibt. Die Zukunft hat mit Fairness nichts zu tun – jeder nimmt sich eben das, was er kriegen kann.

Aber in Wahrheit gewinnt natürlich niemand. Auch für uns hat die globale Erwärmung katastrophale Folgen: die Überflutungen nehmen an Zahl und Ausmaß zu, es kommt zu mehr und längeren Dürreperioden, die landwirtschaftlichen Flächen erodieren – und das sind nur die Folgen, von denen wir wissen. Wie gut geht es uns also wirklich? Oder anders gefragt: Warum betrifft uns das alles nicht, wie es eigentlich sollte?

Ganz einfach: Weil der Klimawandel, wie der Sozialpsychologe Harald Welzer einmal gesagt hat, „politisch unschuldig“ ist. Es gibt keinen Feind, keinen Bösewicht, den man zur Rechenschaft ziehen könnte; wenn alle verantwortlich sind, ist letztlich niemand verantwortlich. Und der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung ist zeitlich so gedehnt, dass die tatsächlich Leidtragenden „irgendwann in der Zukunft“ existieren; so wie für die Menschen in der Nachkriegszeit, deren damalige Emissionen den heutigen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur bewirken, wir „irgendwann in der Zukunft“ lebten. Da kann es kaum verwundern, dass einem maximalen medial-politischen Aufwand – wer zählt noch all die Klimakonferenzen, Klimastudien, Klimaprognosen? – ein minimaler Ertrag gegenübersteht: Fröhlich wird weiter extrahiert und emittiert.

Ich habe mich schon oft gefragt, ob diese „Unschuld“ auch der Grund dafür ist, dass es nur ganz wenige Science-Fiction-Romane zum Klimawandel gibt. Es scheint jedenfalls nicht einfach zu sein, das Thema literarisch so zuzuspitzen, dass sich nicht nur eine kognitive, sondern auch emotionale Referenz ergibt, dass wir nicht nur verstehen, was wir tun, sondern auch fühlen. Natürlich versucht sich der eine oder andere Autor daran – unlängst ist etwa mit Michael Farris Smiths „Nach dem Sturm“ (im Shop) ein überaus lesenswerter Roman erschienen –, aber noch fehlt das eine „große“ Buch, das ähnlich wie George Orwells „1984“ (im Shop) oder Ray Bradburys „Fahrenheit 451“ (im Shop) Schülern, Wissenschaftlern, Politikern, uns allen verdeutlicht, worum es eigentlich geht: Nicht darum, dass sich die Welt verändert – das hat sie schon immer getan und wird sie immer tun –, sondern dass wir uns verändern. Die Kinder, die heute aufwachsen, erleben eine andere natürliche Welt als die Kinder vor, sagen wir, vierzig Jahren. Innerhalb einer Generation haben unsere wirtschaftlichen Aktivitäten dazu geführt, dass wir die Natur, deren Teil wir ja letztlich immer noch sind, anders wahrnehmen, dass wir anders fühlen, anders denken. Wie anders? Und was heißt das für die Gesellschaft? Was heißt das für die Zukunft?

Man kann noch so viele wissenschaftliche Studien anstellen und noch so viele Konferenzen abhalten – um zu begreifen, was wirklich geschieht, braucht es eine Geschichte. Braucht es die Geschichte. Also, ihr lieben Autorinnen und Autoren dort draußen: Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern. Setzt euch doch in den Biergarten und … schreibt. Die Zukunft, da bin ich ganz sicher, wird es euch danken.

Das Buch „Die Zukunft – Eine Einführung“ von Sascha Mamczak (im Shop) erscheint im Juni.

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