„Termination Shock“ von Neal Stephenson

Der Begriff Termination Shock bezeichnet im Bereich des Geoengineerings den rasanten Wiederanstieg der Temperaturen und ihrer Auswirkungen, nachdem zuvor künstliche Maßnahmen zum Senken eben dieser erst durchgeführt und dann wieder abgesetzt wurden, der zwischenzeitlich gekühlte Planet sozusagen einen Rückfall und Schock erleidet. Außerdem ist „Termination Shock“ (im Shop) der Titel des neuen Romans von Genre-Ikone Neal Stephenson, der mit „Snow Crash“ einst den Cyberpunk und sogar das Wort Metaverse prägte, aber auch mit seinem üppigen „Barock“-Zyklus oder seinem jüngeren Einzelroman „Der Aufstieg und Fall des D.O.D.O.“ (im Shop) weltweit viele Lesende begeistert hat. Nach Kim Stanley Robinson („Das Ministerium für die Zukunft, im Shop) legt der 1959 SF-Superstar nun ebenfalls einen großen, seitenstarken, brandaktuellen Klimawandel-Roman vor – einen Climate-Fiction-Wälzer, der von der gegenwärtigen Klimakatastrophe genauso geprägt ist wie von den Eindrücken der Corona-Pandemie.

„Termination Shock“ führt direkt zu Beginn seiner über 1000 Seiten mehrere sehr unterschiedliche Figuren ein, und prompt zusammen: Die holländische Königin Saskia, inkognito mit einem kleinen Team in einem Privatjet über Houston, Texas unterwegs, wird durch extrem hohe Temperaturen sowie einen nahenden Hurrikan zur Landung auf einem anderen, kleineren Flughafen außerhalb der Metropole gezwungen. Dort trifft sie auf relativ spektakuläre Weise Rufus, einen schwarzen Armee-Veteranen, der sich auf die Jagd von Riesenwildschweinen spezialisiert hat und eines davon, das seine Tochter gefressen hat, ähnlich obsessiv jagt wie Kapitän Ahab einst Moby Dick. Rufus rettet die niederländische Königin und deren Entourage aus einer schweinebrenzligen Lage und begleitet sie daraufhin zu ihrem Zielort an der amerikanisch-mexikanischen Grenze.

Dort besitzt der sehr amerikanische Raststätten-Mogul T.R. Schmidt eine große Ranch, wo er mit einer gewaltigen Kanone kurzerhand Schwefel-Raketen in die Atmosphäre schießen will, was das Sonnenlicht beeinträchtigen und die Erderwärmung reduzieren, den Klimawandel bekämpfen soll. Den Niederlanden, Shanghai, Venedig und anderen Orten auf der Welt, denen das Wasser schon bis zum Hals steht, könnte das im Angesicht der rasant steigenden Meeresspiegel helfen, andere Länder und Interessengruppen wie etwa China würden wohl viel Geld durch den Eingriff in den Klimawandel verlieren, was eher feindselige Reaktionen hervorruft. Während die Dinge in Texas ihren Lauf nehmen, bricht der junge kanadische Singh namens Laks zudem zu einer Pilgerreise nach Indien auf, wo er seinerseits mit chinesischen Feindseligkeiten konfrontiert wird …

Neal Stephenson nimmt sich in „Termination Shock“ alle Zeit und allen Platz, um eine Welt zu beschreiben, die noch ein Stück tiefer in der Klimakatastrophe steckt, als wir es hier und jetzt, hier und heute schon tun. Ohne Hektik, und obendrein gewohnt minutiös, widmet sich der preisgekrönte US-Bestsellerautor seiner Zukunftsvision und seinen Charakteren, und manch einer Abschweifung. Dabei fallen vor allem drei Dinge auf: Dass Stephenson anscheinend noch nicht die Hoffnung verloren hat. Dass sein texanischer Milliardär die Welt mit einer Jules-Verne-Apparatur retten will. Und dass man auch gerne 1000 Seiten über einen Wildschweinjäger in der nahen Zukunft gelesen hätte …

Neal Stephenson: Termination Shock • Roman • Aus dem Amerikanischen von Juliane Gräbener-Müller, Tobias Schnettler • Goldmann, München 2023 • 1008 Seiten • Erhältlich als Hardcover, eBook und Hörbuch Download • Preis des Hardcovers: 32,00 € • im Shop

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Christian Endres berichtet seit 2014 als Teil des Teams von diezukunft.de über Science-Fiction. Er schreibt sie aber auch selbst – im Mai 2024 erscheint bei Heyne sein SF-Roman „Wolfszone“.