31. Juli 2015 3 Likes

Misstrauen Sie der Datenquelle

In „Johnny Mnemonic“ zeigt William Gibson die Geburt des Cyberpunk aus dem Geiste des Noir-Krimis

Lesezeit: 2 min.

William Gibsons Story „Johnny Mnemonic“, auf Deutsch entweder als E-Book-Single (im Shop) oder in der digitalen Kurzgeschichtensammlung „Cyberspace“ (im Shop) erhältlich, zeigt eine nahe Zukunft, in der Chirurgie zur Veränderung von Aussehen und Geschlecht eingesetzt wird, Körper zu Waffen umgemodelt und Nervensysteme für übermenschliche Leistungen frisiert werden. Die Welt teilt sich in eine Oberwelt und eine buchstäbliche Unterwelt, wo Kriminalität floriert, Drogen und Daten und anderes nur so fließen.

William Gibson: Johnny MnemonicIn dieser Zukunft ist Johnny eine lebende Festplatte, eine Cloud auf zwei Beinen. Ohne das Passwort, das nur der Eigentümer kennt, kommt niemand an die Daten in Johnny, und sobald dieser sie ausgespuckt hat, vergisst er das Gesagte sofort wieder. Doch das Programm, das der Hehler Ralfi bei Johnny abgeladen hat, ist einfach zu heiß: es gehört der Yakuza, und die japanische Mafia will auf keinen Fall riskieren, dass jemand mit einem Squid auch nur irgendwelche Daten-Reste aus Johnnys Kopf klaubt. Also schicken die Gangster, die über einen eigenen Kommunikationssatelliten verfügen, einen künstlich aufgemotzten Killer. Johnny bleibt nichts anderes übrig, als eine Spontanbekanntschaft als Leibwächter anzuheuern. Gemeinsam versuchen sie, die Daten aus Johnnys Kopf zu kriegen, um sie als Druckmittel zu benutzen. In der Folge begegnet Johnny unter anderem einem heroinsüchtigen Delphin-Cyborg und einem Tech-Piraten …

Wir sprechen von Cyberpunk, wann immer sich in der Fiktion der nächste unausweichlich erscheinende Fortschritt der nahen Zukunft in einem plausiblen Maß mit unserer realen Gegenwart verbindet. Diese Symbiose und die Wechselwirkung von analog und digital sowie lowtech und hightech – das ist Cyberpunk. Dabei ist unser Maßstab für Cyberpunk hauptsächlich an zwei Dingen festgemacht: der Verfilmung von Philip K. Dicks „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ als „Blade Runner“ durch Ridley Scott – und am gesamten literarischem Schaffen von William Gibson, egal ob an seinem unsterblichen Roman und Genre-Klassiker „Neuromancer“ (im Shop) oder den Kurzgeschichten in „Cyberspace“.

„Johnny Mnemonic“ ist nicht deshalb eine wichtige und exemplarische Story des 1948 geborenen Mr. Gibson, weil sie 1995 von Regisseur Robert Longo mit Keanu Reeves und Dolph Lundgren als „Vernetzt“ filmisch adaptiert wurde und Reeves quasi schon mal ein bisschen an der Matrix schnuppern durfte. Viel wichtiger ist, dass diese Kurzgeschichte, die ursprünglich 1981 im englischsprachigen Science- und Science-Fiction-Magazin „Omni“ abgedruckt wurde, Gibsons ganze Klasse und seinen unglaublichen Einfluss als Godfather des Cyberpunk zeigt, der sogar das Wort ‚Cyberspace‘ geprägt hat.

Immerhin war Gibson seiner Zeit inhaltlich und ästhetisch so weit voraus, dass eine kleine, schmutzige Cyberpunk-Noir-Story wie „Johnny Mnemonic“ selbst nach 35 Jahren konstanten technologischen und digitalen Fortschritts und angesichts mittlerweile völlig alltäglicher Vernetzung kein bisschen überholt wirkt und sich nach wie vor richtig cool liest.

William Gibson: Johnny Mnemonic · Aus dem Amerikanischen von Peter Robert · Heyne E-Book · € 0,99 (im Shop)

 

 

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