20. Mai 2014

Prophet der Biomechanik

H.R. Giger – eine kritische Würdigung

Lesezeit: 7 min.

Manchmal genügt ein markantes Motiv, um sich als Künstler durchzusetzen und auch jenen ein Begriff zu werden, die sich in der Kunst weniger zuhause fühlen. So wie einem bei Andy Warhol umgehend die Campbell’s-Suppendosen und bei Salvador Dalí die zerlaufende Uhr einfallen, ist der Name H.R. Giger untrennbar mit der Figur des Alien verknüpft, jenem unvergleichlichen Geschöpf, das den Begriff der Fremdartigkeit innerhalb des Science-Fiction-Films völlig neu definierte.


H.R. Giger am Set von Alien

Tatsächlich geriet das erste Erscheinen der Kreatur im gleichnamigen Streifen von Ridley Scott so nachdrücklich, dass sie bis heute in Fortsetzungen, Ablegern und Lizenzprodukten aufgegriffen wird. Doch obwohl das Design des Alien Giger weltberühmt gemacht hat und ihm einen Oscar eintrug, wird man seinem Werk nicht gerecht, wenn man es auf seine Filmentwürfe aus dem Jahr 1979 reduziert. Gigers unverwechselbarer Bildkosmos ist erheblich weitläufiger, und auch technisch hat sich der Künstler nicht allein auf Airbrush-Bilder beschränkt, sondern mit derselben Sorgfalt Möbel, Plastiken und Druckgraphiken hergestellt. Selbst die bekannte, in düsteren Braun- wie Blautönen gehaltene Farbpalette ist nur für einen Teil seines Werks kennzeichnend.

Hansruedi (eigentlich: Hans Rudolf) Giger wird am 5. Februar 1940 in Chur als Sohn des Apothekers Hans-Richard und seiner Frau Melly geboren und verbringt trotz der eher unwillkommenen katholischen Erziehung eine wohlbehütete Kindheit „voller Geheimnisse und romantischer Orte“, wie er später schreibt. Auf seine Begeisterung für ungewöhnliche Dinge hat er selbst verwiesen. So sammelt Giger als Kind beschädigte Hosenträgerriemchen oder richtet im elterlichen Haushalt eine Geisterbahn „vollgestopft mit Skeletten, Monstern und Leichen aus Pappe und Gips“ ein, deren Benutzung für Mädchen gratis ist; später realisiert er ein „schwarzes Zimmer“, das er eigenhändig ausstaffiert. Doch der schüchterne Junge sammelt in der Pubertät lieber Schusswaffen, als sich mit möglichen Freundinnen zu treffen. Im Alter von zwanzig Jahren entstehen Zeichnungen, die bereits auf die speziellen Interessen des Künstlers verweisen – in der Serie Strümpfe etwa, die überschlanke Frauenkörper mit High Heels, Schläuchen und maskenhaften Gesichtern kombiniert.

Der Vater ist für die mutmaßlich „brotlosen“ Interessen seines Sohns nicht zu begeistern. Entsprechend studiert Giger erfolgreich Innenarchitektur und Industriedesign an der Kunstgewerbeschule in Zürich, aber die Laufbahn als Künstler ist vorgezeichnet, und so erscheinen erste Veröffentlichungen in Untergrundzeitschriften und Schülerzeitungen. 1963 werden die Atomkinder gedruckt, eine Reihe pointierter Szenen, deren Morbidität von schwarzem Humor ergänzt wird, doch kurze Zeit später verschwindet das Augenzwinkern. Giger beschäftigt sich stattdessen intensiv mit seinen Träumen und zeichnet bizarre Schachtanlagen, in denen halbmenschliche Lebewesen auf endlosen Treppen hocken. Obwohl Piranesis Serie der Carceri (1745–50) hier von Ferne genauso durchscheint wie Richard Oelzes Erwartung (1935/36), finden die Blätter bereits zu einem ganz eigenen Ton. Die lauernde Gefährlichkeit des Alptraums wird nicht dramatisiert, sondern kühl und mit einem überraschenden Sinn für Eleganz beschworen; dazu kommen ironische Momente, die den Schrecken der Motive abmildern. Als eine Mappe erscheint, die Reproduktionen dieser Arbeiten enthält, wählt Giger den passenden Titel Ein Fressen für den Psychiater.   

Um 1966/67 beginnt das Hauptwerk mit großformatigen Tuschezeichnungen, die meist auf halbdurchsichtigem Transcop-Papier ausgeführt werden und eine unvergleichliche Souveränität in der Komposition bei gleichzeitig extrem hoher Detaildichte aufweisen. Ab hier hat Giger zu seinem Stil gefunden. Zu diesen Arbeiten gehören Bilder wie Gebärmaschine, Frau mit Kind, Alpha (Zwei Frauen II), Unter der Erde oder Astroeunuchen, die bizarre Lebensformen in unwirklichen Umgebungen zeigen. Die Siebdruckmappe Biomechanoiden von 1969 greift den herben Schwarzweißstrich auf, konzentriert sich aber mehr auf die Darstellung wuchtig-gusseiserner Maschinerien, in die grazile Frauenfiguren (oft mit Peniskopf und untypisch prallen Brüsten) eingefasst sind. Obwohl die Beengtheit und das Ausgeliefertsein der Körper nicht übersehen werden kann, verbleiben die Bilder in irritierender Ruhe, zumal sich zur angstvollen Grundstimmung auch Anzeichen der Lust gesellen. Giger selbst spricht von einer harmonischen „Verschmelzung der Technik, Mechanik mit der Kreatur“. 

Ölfarben nutzt Giger zu diesem Zeitpunkt ebenfalls, aber die Resultate geraten meist noch etwas mühsam. Ab Ende 1969 beginnt er mit den überraschend sachlich gehaltenen Passagen, die sein persönliches Geburtstrauma aufgreifen: Giger träumt wiederholt von einem fensterlosen Raum, dessen einziger Ausgang eine dunkle eiserne Öffnung ist; beim Passieren bleibt er regelmäßig stecken. Die entsprechenden Arbeiten bestechen mit kalter Präzision und einer unverschnörkelt-sachlichen Darstellungsweise. 1971 sieht Giger einen Wagen der Kölner Müllabfuhr und ist fasziniert von dem „mechanisch-erotischen Akt“, der mit der Leerung der Tonnen einhergeht. Er fotografiert die Szene, um sie ab Passage X in den Zyklus einzubauen. Dabei ist die sexuelle Konnotation überdeutlich.


Ein Fressen für den
Psychiater
, Blatt Nr. 5
Bild © nufnuf-art.ch

Von nun an geht alles sehr schnell. Um 1972 entdeckt Giger die Airbrush-Pistole und entwickelt die Serie der Landschaften radikal weiter; von nun an konfrontiert er den Betrachter mit jenem Kosmos maschinenhaft durchwirkter Lebewesen, die sein Markenzeichen werden sollen. In den Jahren bis 1974 entstehen zahlreiche Hauptwerke, die allesamt mit detailversessener Akribie ausgeführt werden; darunter Aleph, die Bilder um Gigers damalige Lebensgefährtin Li Tobler, der Passagen-Tempel sowie Bestandteile von The Spell. Dazu kommen Entwürfe für Dune, das nie realisierte Filmprojekt von Alejandro Jodorowsky nach dem Roman von Frank Herbert. Giger hält das enorme Produktionstempo bei gleichbleibend exzellenter Qualität mühelos durch. 1975 wird eine Bildfolge um Tolkiens Mordor erarbeitet, 1976 folgen erste Biomechanische Landschaften sowie die eindrucksvolle Serie Necronom, die Alien vorweg nimmt. Die Arbeit für den Film ist anfangs schwierig, wächst sich aber schließlich zu einem Triumph für den Künstler aus, der ihm neben dem Oscar auch weltweite Beachtung einbringt. Im Anschluss an die Filmentwürfe folgen die Erotomechanics (1979) und dann schließlich die Serie N.Y. City (1980/81), die das wohl letzte malerische Hauptwerk Gigers darstellt. Durch die Loslösung von seinen tradierten Motiven und die Hinwendung zu einer abstrahierend-seriellen Formensprache erschließt sich der Künstler noch einmal völlig neue Bereiche, und er schreibt: „In diesen Bildern stecken mehr Stunden und Tage ruhelosen Suchens und Arbeitens als in fast allen meinen früheren Werken.“

Ab hier trübt sich das Bild. Zwar entstehen noch einmal kleinformatige Biomechanischen Landschaften, die die bekannten Motive originell variieren und erweitern, indem sie sich auf Details konzentrieren und souverän Unschärfe einbinden; doch jenseits hiervon will sich wenig runden. Die knallroten Victory-Bilder (1982/83) beispielsweise mögen einzeln und im Original sehr eindrucksvoll sein; auf Strecke ermüden sie jedoch ebenso rasch wie die Mittelmäßigkeiten, die 1985 für Poltergeist II ersonnen werden. Zwar gab es auch in früheren Jahren bisweilen motivische Verirrungen und kollabierende Bildstrukturen, doch nun wirken immer mehr Arbeiten uninspiriert und zugestellt. Folgerichtig scheint Giger um 1990 das Malen von Gemälden weitgehend eingestellt zu haben. Stattdessen konzentriert er sich beispielsweise auf die dem Dune-Projekt entstammende Möbelserie, einen Brunnen oder sein Museum in Gruyères. Einige dieser Vorhaben – wie die Pläne zur Untertunnelung der Schweiz oder die nicht enden wollenden Variationen einer Armbanduhr – wirken jedoch bisweilen kurios. Dennoch ist Giger nicht zu unterschätzen: Seine 1985 publizierten Skizzen oder die Lithografien des Portfolios 700 Jahre Warten auf CH-91 halten ebenso Überraschungen bereit wie die bislang kaum veröffentlichten Tagebuchüberzeichnungen aus dem Jahr 1988, die mit nervösem Strich und einer bisweilen knalligen Farbgebung irritieren.

Giger bleibt daher auch nach seinem Tod am 12. Mai 2014 eine schwer fassbare Gestalt. Die etablierte Kunstwelt vermeidet es nach Möglichkeit, sich mit den Arbeiten des „Monstermalers“ auseinandersetzen; hier wird er in ähnlicher Weise ignoriert wie die von ihm geschätzten Vertreter der Wiener Schule des Phantastischen Realismus. Auch mit kunsthistorischen Kategorien ist ihm schwer beizukommen. Zwar hat Giger nie geleugnet, vom Surrealismus beeinflusst worden zu sein; zu nennen wäre etwa Hans Bellmer, dessen Zeichnungen in vergleichbar Weise sexuell aufgeladen sind, oder Max Ernst, dessen Gemälde Europa nach dem Regen II (1940–42) oder Das Auge der Stille (1943/44) ähnlich düstere Landschaften zeigen. Doch das Etikett wird ihm nicht zur Gänze gerecht, auch wenn Giger sich auf seine Träume berief und gern intuitiv arbeitete. Tatsächlich lässt sich in ihm durchaus ein Nachfahre von Antoni Gaudí erkennen, dessen überbordende Ornamente in ähnlicher Weise nach Raum verlangen und Gegenstände der Alltagswelt überwuchern. Dass sich Giger zudem mit informeller Malerei beschäftigt hat, zeigen seine kaum bekannten Kleisterbilder aus den 1960er Jahren.

Gänzlich falsch wäre es, in Giger einen todesfixierten Weltflüchtling zu sehen, der schwarzromantische Dekorationsobjekte für Gothic-Anhänger und Okkultisten herstellte. Die finden sich zwar auch, aber mit dürftigen Resultaten, denn seine Kunst erweist sich immer dann als nachrangig, wenn sie mit verbrauchten Elementen wie Teufelsköpfen oder Pentagrammen arbeitet. Am besten ist Giger hingegen, wenn er in den Bereich jenseits einer konkreten Beschreibbarkeit aufbricht, wie etwa auf seinen Gemälden Landschaft XVI (1972) und Biomechanische Seelenwanderung (1980). Bilder für das Abgründige, Verdrängte und Namenlose gefunden zu haben, das den technologieumzingelten Industriekonsumenten bedrängt, gehört genauso zu seinen Verdiensten wie die Fokussierung auf den animalisch-triebhaften Aspekt der Sexualität. Wie bei allen Phantasten funktioniert auch sein Œuvre als Zerrspiegel, der mittels radikaler Subjektivität die Verhältnisse der Welt zur Kenntlichkeit entstellt. Giger registrierte die allmähliche technologische Durchdringung des Menschen frühzeitig und gab ihr in seinen visionären Bildern eine gültige Form. Dass er dabei das laufende Jahrhundert genauso gut erfasst wie das vorhergegangene, macht seine Aktualität aus – und wird bei der Aufarbeitung seines Werks gewiss für manche Überraschung sorgen.

Bilder © Wikipedia, nufnuf-art.ch, giger.com u.a.

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