16. Juni 2015 3 Likes

Saturns seltsames Sechseck

Offenbar muss ein Sturm nicht immer rund sein – Eine Kolumne von Judith Homann

Lesezeit: 3 min.

Im Jahr 1977 machten sich zwei Raumsonden auf eine Reise, die nach über siebenunddreißig Jahren noch immer nicht zu Ende ist. Die beiden Voyager-Sonden sollten zunächst nur Jupiter und Saturn untersuchen, wurden dann aber weitergeschickt. Voyager II machte einen kleinen Umweg über Neptun und Uranus (wo das Wetter, wie wir wissen, viel aufregender ist, als damals angenommen), ihre Schwester Voyager I verließ 2012 unser Sonnensystem und befindet sich seitdem im interstellaren Raum. Es ist nahezu unmöglich, sich vorzustellen, wie weit die beiden Sonden von unserem Heimatplaneten entfernt sind und wie es dort draußen wohl aussehen könnte, doch Voyager I sendet tapfer weiter Informationen, die uns diese unbegreifliche Welt außerhalb unseres Sonnensystems näherbringen.

Heute heißt es aber back to the roots: Wir blicken zum Beginn und dem ersten Ziel der Voyager-Mission. Nachdem die Sonden 1979 Jupiter passiert haben, flogen sie in den zwei folgenden Jahren an Saturn vorbei. Als ihre Bilder die Erde erreichten, staunten die Forscher nicht schlecht: Direkt über Saturns Nordpol entdeckten sie einen Sturm. Stürme auf anderen Planeten? Pillepalle, das wissen wir längst. Dass dieses besondere Exemplar allerdings die Form eines perfekten Sechsecks hat, ist dann doch bemerkenswert. Kein anderer Planet des Sonnensystems weist eine derartig regelmäßige geometrische Struktur auf.

„Saturns Hexagon“ blieb nach dem Vorbeiflug der Voyager-Sonden lange im Dunkel des Weltraums verborgen, bis im Jahr 2004 Cassini den Saturn erreichte, sich über Titan von ihrer Landesonde Huygens trennte (auch davon haben wir bereits gehört) und seither als Orbiter um unseren zweitgrößten Planeten und seine Monde kreist.

Seit 2012 bricht der Sommer über Saturns Nordpol an und der ominöse sechseckige Sturm wird zunehmend ausgeleuchtet, so dass Cassini nun einige beeindruckende Bilder von diesem Phänomen schießen kann. Dadurch konnten endlich einige Geheimnisse dieser Struktur gelöst werden: Das Sechseck ist im Wesentlichen ein Starkwindband, das den Nordpol umkreist. Einen derartigen Polarwirbel (oder Polarvortex) kennen wir von daheim – unsere Jetstreams auf der Nord- und Südhalbkugel funktionieren ganz ähnlich. Starke Winde in großer Höhe umfließen den Planeten, und Turbulenzen und Unregelmäßigkeiten in diesem Fluss führen zu kleinen Störungen; so entstehen Tiefdruckgebiete.

Bei uns auf der Erde ist der südliche Polarvortex wesentlich besser ausgebildet als der nördliche, da auf der Südhalbkugel weniger Landmasse im Weg ist. Denn trifft dieser Luftstrom auf Land, entsteht Reibung, die die Struktur stört. Auf Saturn gibt es naheliegenderweise keine Landmassen, da er aus Gas besteht. Deswegen ist sein Polarwirbel extrem stabil – immerhin gibt es ihn seit mindestens fünfunddreißig Jahren. Für die Forscher ist das wunderbar, denn die Enttäuschung wäre schon groß gewesen, wenn das mysteriöse Hexagon zwanzig Jahre nach Voyager verschwunden gewesen wäre. Jedenfalls ist das Sechseck auf dem Saturn 30.000 Kilometer breit, jede der sechs Seiten ist mit knapp 14.000 Kilometern so lang, dass wir problemlos die Erde hineinlegen könnten, und die Winde, die diese Form erschaffen, toben mit über 300 Kilometer pro Stunde (darin sind sie übrigens unserem irdischen Jetstream nicht unähnlich; auch auf der Erde gibt es verdammt ungemütliche Orte). Innerhalb dieser Struktur bilden sich kleinere Wirbel: Stürme, die den größten irdischen Hurrikan Sandy (1.520 Kilometer im Durchmesser) problemlos in den Schatten stellen. Im Zentrum des Wirbels liegt ein Polares Tiefdruckgebiet, das gegen den Uhrzeigersinn rotiert.

Wieso hat dieser Sturm nun so eine bemerkenswert regelmäßige geometrische Form? Die NASA? Aliens? Die Illuminaten? Nein, schnöde Fluiddynamik. Letztes Jahr fanden Wissenschaftler heraus, dass man Sechsecke, aber auch andere Polygone in rotierenden Flüssigkeiten im Labor erzeugen kann, wenn die Flüssigkeit im Zentrum schneller rotiert, als weiter außen. Und ja, Luft verhält sich im großskaligen Sinn tatsächlich wie eine Flüssigkeit.  Also doch wieder bloß Physik. Die Bilder, die Cassini von dieser riesigen geometrischen Struktur gemacht hat, sind aber wirklich beeindruckend. Und es wird noch besser: 2017 ist Sommersonnenwende auf Saturn, das heißt sein Nordpol und damit der beeindruckende Polarvortex werden traumhaft für ein Abschiedsfoto ausgeleuchtet. Denn wenn es am schönsten ist, soll man bekanntlich gehen – das Missionsende ist für 2017 angesetzt, dann lässt sich Cassini in den Planeten fallen, den sie seit dreizehn Jahren begleitet hat.

Da sage noch einer, Geometrie wäre langweilig.

Judith Homann hat einen Master in Meteorologie von der Universität Innsbruck und interessiert sich auch für extraterrestrische Wetteraktivitäten. 

Saturn Hexagon

 

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