16. Februar 2018 2 Likes

Der Fischfroschkönig, oder: A Love Supreme

Guillermo del Toros sentimentale Kunstmärchen-Horrorromanze „The Shape of Water – Das Flüstern des Wassers”

Lesezeit: 5 min.

Besteht da möglicherweise zaghafter Anlass zur Hoffnung, eine kleine Renaissance wahrer und guter und schöner Horror-Kunst bahne sich an? In Amerika erscheinen in so rasanter Taktung so viele (mindestens:) lesenswerte Bücher von Vertreterinnen und Vertretern der literarischen (New) Weird Fiction, dass man durchaus von einer Blüte sprechen kann. Dank der ersten Staffel von „True Detective“ und deren Genese-Kontext hörte man auch hierzulande an ungewöhnlich prominenten Orten Namen wie Robert W. Chambers, Laird Barron oder Thomas Ligotti. Die von gewissen Kompromissen gezeichnete, aber insgesamt beachtlich geist- und geschmackvoll konstruierte Verfilmung von Stephen Kings Roman „Es“ wurde nicht nur der dunkelfantastischen Erzähl-Extravaganz des berühmtesten Horror-Autors der Gegenwart gerecht, sondern entwickelte sich zu einem der kommerziell erfolgreichsten Horrorfilme aller Zeiten. Schließlich schien Jordan Peeles „Get Out“ (ebenfalls 2017) bei nicht wenigen Uneingeweihten keine geringe Verblüffung darüber auszulösen, dass es so etwas wie filmischen Freestyle-Indie-Horror mit Hirn gibt – in der ostwestfälischen Provinzmetropole, der diese Rezension entstammt, wurde dieser zunächst unauffällige bis Spezialinteressen bedienende Film kurioserweise flächendeckend mit Plakaten beworben.

Und dann ist da noch Guillermo del Toro, unser Mann in Hollywood, jener aus Mexiko stammende, empfindsam-romantische Genre-Auteur, dessen großes Humanisten-Herz vornehmlich für Monster schlägt. Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt arbeitete del Toro nach dem Einen-fürs-Publikum-und-einen-für-mich-Prinzip, indem er üppig budgetierte und mehr oder minder muskelprotzige Franchise-Produktionen wie „Blade II“ (2002) oder „Hellboy“ (2004) übernahm, um zwischendurch entschieden persönlich gefärbte Perlen wie „The Devil’s Backbone“ (2001) und „Pan’s Labyrinth“ (2006) realisieren zu können, im Zweifel in seiner ursprünglichen Heimat und mit überwiegend spanisch-mexikanischer Besetzung und Crew. Wie der Regisseur in seinem Vorwort zu dem den letztgenannten zwei Filmen gewidmeten Band der Studies-in-the-Horror-Film-Reihe aus dem wundersamen US-Kleinverlag Centipede Press im Rückblick auf sein Schaffen bis einschließlich „Crimson Peak“ (2015) gesteht: „I felt that each film completed a picture of the world the way I saw it, but that the bigger the films the smaller the pieces were.“ Spätestens mit „Hellboy – Die goldene Armee“ von 2008 zeichnet sich dementsprechend ab, dass del Toros Bereitschaft, sich irgendwelchen Studio-Auflagen zu beugen, im Schwinden begriffen ist bzw. sein Ehrgeiz wächst, die eigene Handschrift durchzudrücken, Genre-Aficionados mit Arthaus-Mainstream zu versöhnen und seine einzigartig gewobenen Märchen-Träume konsequent so auf die Leinwand zu bringen, wie sie ihm vorschweben, notfalls im Rahmen bescheidenerer finanzieller Rückendeckung. Nie zuvor ist ihm das derart meisterlich gelungen wie mit seinem neuesten Werk, dem bereits preisberegneten und völlig zu Recht jauchzend bejubelten „The Shape of Water – Das Flüstern des Wassers“.

Die Geschichte der zwar stummen, aber nicht tauben sowie elegantes Schuhwerk wie Filme und Musicals gleichermaßen innig liebenden Putzfrau Elisa (Sally Hawkins), die über einem alten Kino wohnt, während der Hochphase des Kalten Krieges in Baltimore ein geheimes Hochsicherheitslabor säubert und aus diesem einen am Amazonas eingefangenen Amphibienmann befreit, dem der Tod durch den monströs psychotischen Sicherheitschef Strickland (Michael Shannon) droht, ist – und diese Kunstfertigkeit beherrscht Guillermo del Toro wohl wie kein anderer gegenwärtiger Filmemacher – gleichzeitig volksmärchenhaft-schlicht-generisch und exzentrisch-unvergleichlich. Einerseits sind die Referenzen unübersehbar; als wichtigste wie augenscheinlichste wären Jean Cocteaus „Es war einmal“ von 1946, Jack Arnolds „Der Schrecken vom Amazonas“ von 1954, Merian C. Coopers und Ernest B. Schoedsacks „King Kong und die weiße Frau“ von 1933 sowie James Whales „Frankenstein“ von 1931 zu nennen. Andererseits generiert del Toro aus diesem alles andere als Kanon-fernen Quellenmaterial etwas, das gänzlich aus dem Nichts zu kommen scheint, das nur echte Weltenschöpfer können, das man in dieser makellosen Form noch nicht gesehen hat, etwas, in dem das Bizarr-Fremde wie selbstverständlich ins Wahrhaftig-Vertraute verwandelt erscheint – nichts als glückselig stimmendes Überwältigungs-Kino, in welchem jedes Ausstattungsdetail (einer grünlichblau-bernsteinfarben schillernden, wie einst aus dem Wasser emporgetauchten Welt, deren heimelige Teile man unverzüglich bewohnen möchte), jede mimische Nuance (das Ensemble spielt ausnahmslos auf den Punkt grandios) und jede dramaturgische Volte (einer Erzählung, deren entschiedene Sentimentalität wehrlos macht und so raffiniert wie überraschungsreich auf ihre vermeintliche Naivität pfeift) stimmig sind. Die entscheidende Pointe dabei: „The Shape of Water“ ist ein Liebesfilm. Elisa liebt ihren Kiemenmenschen und wird zurückgeliebt, einschließlich (einer Art offenem) Happy End. Del Toro hat uns endlich, endlich den überfälligen Horrorfilm geschenkt, in dem die Schönheit des Monsters sich kein Stück hinter ihrer missbräuchlichen Indienstnahme als Objekt der Angst und des Schreckens verstecken muss. Hier ist der Film, der King Kong die weiße Frau endlich in die Arme schließen lässt, der Film, in dem aus dem Froschkönig nach dem Kuss glücklicherweise kein schnöder Prinz wird (man erinnere die deutliche Enttäuschung im Gesicht der Schönen, nachdem sich ihr Biest in „Es war einmal“ in einen ebensolchen verwandelt hat…) Und sie – das Monster und die Menschenfrau – dürfen sich nicht nur küssen und lieben, sondern, in der in ihrer liebenswürdigen Dreistigkeit vielleicht atemberaubendsten Sequenz des Films, sogar miteinander tanzen!

In H. P. Lovecrafts Kurzroman „Schatten über Innsmouth“ paaren sich Fischfrösche und Froschfische (also dem von del Toro erdachten und von Doug Jones in herrlich analoger Maske grazil gegebenen Kiemenmann offenbar nicht unähnliche Kreaturen) mit Menschen, und der bekanntermaßen die Furcht als stärkste menschliche Gemütsregung betrachtende Fantast muss sich große Mühe geben, um seinem latent prickelnd-utopischen Subtext nicht das Grauen auszutreiben. Lovecraft tickte eben nicht humanistisch, sondern nachgerade konträr zu del Toro (und in mehrerlei Hinsicht sowieso ziemlich problematisch, wie man weiß). Für del Toro ist die stärkste menschliche Gemütsregung die Liebe, und diese bei „The Shape of Water“ zutiefst spürbare Haltung wäre darüber hinaus mit der Wahrheit einer Äußerung von Tim Burton kurzzuschließen, eines mit del Toro nicht bloß entfernt geistesverwandten Regisseurs: „I’ve always loved monsters and monster movies. I was never terrified of them, I just loved them from as early as I can remember.” Mit Elisa unterschreiben wir auch Vincent Prices Diktum aus der Muppet-Show: „I never met a monster I didn’t like.”

P.S.: Mit einem Budget von nicht einmal 20 Millionen Dollar kostete dieses bezaubernde, betörend dahinfließende, feuchte Augen zeugende Wunderwerk ein Zehntel dessen, was für Marvel-Getöse wie „Black Panther“ aus dem Fenster gehauen wird. In der ostwestfälischen Provinzmetropole, der diese Rezension entstammt, lief „The Shape of Water“ zum Deutschlandstart in keinem der beiden Multiplex-Kinos, deren Säle mit ebenjenem Superhelden-Radau und „Fifty Shades of Grey 3 – Befreite Lust“ (sic! – die Ironie, die dieser Filmtitel bezogen auf „The Shape of Water“ entwickelt, macht wirklich melancholisch) bespielt wurden. Im kleinen feinen Programmkino saßen am Abend dann ungefähr 15 Leute, um sich von del Toro verwünschen und zeigen zu lassen, wie klug und wahr und schön sich befreite Lust imaginieren und inszenieren lässt. Horror-Renaissance? Mal abwarten. Vielleicht noch eine ganze Weile.

„The Shape of Water – Das Flüstern des Wassers“ ist seit dem 15.02. bei uns im Kino zu sehen.

The Shape of Water – Das Flüstern des Wassers USA 2017 · Regie: Guillermo del Toro Darsteller: Sally Hawkins, Michael Shannon, Richard Jenkins, Octavia Spencer, Doug Jones

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.