2. Juni 2018

Die Welt der Söhne

Postapokalypse aus Italien: Der neue Comic von Gipi

Lesezeit: 2 min.

Gipi, einer der wichtigsten italienischen Comic-Künstler der Gegenwart, widmet sich in seinem neuen Werk „Die Welt der Söhne“ dem postapokalyptischen Genre. Einige Jahre nach dem Untergang der menschlichen Zivilisation lebt ein knurriger Vater mit seinen beiden halbstarken Söhnen auf einem großen See. Nahrung ist knapp in dieser Welt, die noch immer unter ihrer verhängnisvollen Vergiftung zu leiden hat. Vergiftet ist auch das Verhältnis zwischen dem gestrengen Vater und den wenig folgsamen Teenagern. Um die Jungs abzuhärten und auf ihr weiteres Leben ohne ihn vorzubereiten, zeigt der Alte ihnen keinerlei Liebe oder Wärme. Statt mit seinen Sprösslingen zu reden, schreibt er seine Gedanken und Gefühle lieber in sein Tagebuch – das einzige Buch, das seit dem Ende der bisherigen Ordnung entstand. Lügen, Misstrauen und Gewalt definieren den rauen Umgang des maskulinen Trios, das Tag für Tag auf Essenssuche gehen und ums Überleben kämpfen muss. Für weitere Probleme sorgen ein kratziger Nachbar und die barbarische Glaubensgemeinschaft des geilen Gottes, deren grausame Anhänger sich einfach nehmen, was und wen sie wollen. Selbst die gutmütigen Schweinezüchter-Zwillinge mit den Mutantenwasserköpfen haben ein finsteres Geheimnis …

Gipi heißt eigentlich Gian Alfonso Pacinotti und wurde 1963 in Pisa geboren. Mitte der 80er-Jahre veröffentlichte der damalige Illustrator und Art Director einer Werbeagentur erste Comics-Storys in italienischen Magazinen. Für seine vielfältigen Panel-Arbeiten erhielt Gipi, der auch Seminare an diversen Kunsthochschulen in seiner Heimat hält und als Autor und Regisseur von Kurzfilmen in Erscheinung tritt, inzwischen den französischen Prix René Goscinny, den deutschen Max und Moritz Preis, die Auszeichnung für das beste Album auf dem französischen Comic-Festival in Angoulême, den Preis der Comicon Neapel und eine Nominierung für den amerikanischen Eisner Award. Auf Deutsch erschienen von ihm „Die Unschuldigen“, „Nachtaufnahmen“, „Aufzeichnungen für eine Kriegsgeschichte“, „Mein schlecht gezeichnetes Leben“, „5 Songs“ und jetzt eben der seitenstarke postapokalyptische Panel-Roman „La terra dei figli“ aus dem Jahre 2016 als „Die Welt der Söhne“ bei Avant.

Gipis atmosphärische postapokalyptischen Geschichte erfüllt alle Subgenre-Standards zwischen Garth Ennis’ Extrem-Schocker „Crossed“ und Cormac McCarthys Edel-Meisterwerk „Die Straße“: spröde Umgebung, entvölkerte Landschaft, brutale Wilde, wenige Details über das Desaster. Die eigentliche Sensation von Gipis Variante des Stoffes sind seine schroffen, lediglich auf den ersten Blick skizzenhaft wirkenden Zeichnungen. Mit denen transportiert der talentierte Italiener in jeder Hinsicht das momentane Klima seiner Welt sowie die unterdrückten und gezeigten Emotionen seiner Protagonisten. Mühelos verdichtet oder lichtet Gipi zudem seine Striche, wobei er geschickt den Kontrast von Schwarz und Weiß einsetzt. Vermutlich findet man in diesem Jahr keinen postapokalyptischen Comic, der besser aussieht als „Die Welt der Söhne“, da Gipi jede der 300 Seiten nutzt, um möglichst viel Intensität zu entwickeln und sich vor allem zeichnerisch von der zumeist bunten Konkurrenz abzuheben.

Bilder © Gipi/Avant-Verlag

Gipi: Die Welt der Söhne • Avant, Berlin 2018 • 288 Seiten • Paperback: 30 Euro

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