Aus großer Kraft folgt großer Spielspaß
„Marvel’s Spider-Man“: Das beste Spidey-Game?
Lange ist’s her, dass die Gaming-Community einen großen Spider-Man-Titel auf den heimischen Konsolen spielen durfte. Das von Beenox entwickelte „The Amazing Spider-Man 2“ erschien 2014 und das letzte, das überhaupt gut bei Presse wie Fans ankam, war „Spider-Man: Dimensions“, das nun schon geschlagene acht Jahre auf dem Buckel hat. Höchste Zeit, dass sich die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft wieder blicken lässt!
Für das Triple-AAA-Outing, „Marvel’s Spider-Man“, das exklusiv für Sonys Playstation 4 erscheint, zeichnet sich Insomniac Games (das Studio hinter den Playstation-Ikonen Spyro, sowie Ratchet & Clank) aus, während die Story aus den Federn von Jon Paquette, Ben Arfmann, Christos Gage und Dan Slott stammt. Gage und Slott sind erfahrene Spider-Man-Comic-Autoren, Slott hat gerade erst seinen Zehn-Jahres-Run an der Mutterserie „The Amazing Spider-Man“ beendet.
„Marvel’s Spider-Man“ spielt jedoch in einer völlig eigenständigen Welt, losgelöst von den Comicreihen und auch vom MCU. Hier spinnt Peter Parker bereits seit acht Jahren die Netze an die Hauswände und hat somit schon immense Erfahrung mit Verbrechern und Superbösewichten aufzuweisen. Unterstützt wird er von seiner mal-mehr-mal-weniger Freundin Mary Jane Watson, die als Journalistin beim Daily Bugle arbeitet, und der allseits bekannten Tante May, die beim Obdachlosenheim F.E.A.S.T. unter den Fittichen des Philanthropen Martin Li beschäftigt ist. Im Verlauf der Geschichte findet auch noch der spätere „ultimative“ Spider-Man (und Star des kommenden Animationsfilms „Spider-Man: A New Universe“) Miles Morales den Weg ins Spiel. Nebenbei verdingt sich Peter als Wissenschaftler unter der Schirmherrschaft von Otto Octavius, der aber noch ohne böse Absichten und mechanische Arme durch die Welt läuft. Zu Beginn des Spiels buchtet Spider-Man Wilson Fisk (alias Kingpin) ein, wodurch New Yorks Unterwelt plötzlich führungs- und machtlos ist. Der perfekte Zeitpunkt für Martin Li, sein Alterego Mister Negative von der Kette zu lassen und die Unterwelt zu seinem Spielplatz zu machen …
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„Marvel’s Spider-Man“ gleicht dem Gefühl, einen alten Freund wieder zusehen, um dann erst zu merken, wie sehr man diesen eigentlich vermisst hat. Und mindestens genauso befreiend und befriedigend ist es, sich endlich in die gewaltigen Häuserschluchten zu schmeißen und als Spinnerich über den Köpfen der virtuellen New Yorker zu schwingen. Das Geschwindigkeitsgefühl und die Dynamik sind fantastisch und beinahe perfekt, wenn man per Schultertaste ein Netz an die Hochhauskante spannt – was tatsächlich an Ort und Stelle kleben bleibt und sich je nach Winkel dynamisch auf Schwung und Richtung auswirkt. Was spielerisch zwar Sinn ergibt, aber alteingesessene Spidey-Gaming-Fans allerdings stören könnte: Sobald Peter gegen eine Hauswand „knallt“, rennt er einfach schnurstracks weiter und verliert sein Momentum nicht. Somit kann man beim Schwingen fast keine Fehler machen, was sich gerade vom Spiel zu „Spider-Man 2“ auf der PS2 unterscheidet, das für die meisten das beste Spider-Man-Game darstellte.
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Mindestens genauso berauschend ist das an „Batman: Arkham Asylum“ angelehnte Kampfsystem. Spider-Man steuert sich flüssig und agil, während per Viereck die Hiebe verteilt werden, mit X gesprungen, Kreis ausgewichen und Dreieck sowie Schultertasten die Netze gesponnen werden. Wenn das stellenweise sehr hektische Kampfgeschehen perfekt läuft und man sich blitzschnell zwischen den Gegnermassen hin und her spinnt, fühlt man sich wahrlich wie Spider-Man. Ein Schlag befördert bei längerem Drücken den Gegner in die Luft, in der die Schlagkombinationen weiter verfeinert werden können, die einem manchmal einen nötigen Verschnaufer geben können. Und mindestens genauso unabdingbar wie die Air-Combos ist die Fokus-Leiste, die sich langsam während des Kampfes füllt. Diese dient in inkrementierten Abschnitten entweder als Finishing-Move-Leiste oder auch zur Heilung. Mit gewonnenen Leveln steigt die Fokus-Leiste und gewinnt an zusätzlicher Potenz, womit sich gleich mehrere Finisher und/oder Heilungen ausführen lassen. Ebenso erleichtern Spidey neue freischaltbare Moves und Skills das Leben im Kampf, sowie Gadgets wie ein elektrisches, lähmendes Netz oder auch Netzminen. Hinzu kommen 28 unterschiedliche Kostüme, die nach Kauf auch untereinander frei kombinierbare einzigartige Skills mit sich bringen. Diese reichen von sich schneller füllender Fokusleiste bis zu kurzzeitigem Schutz vor fremden Kugeln bis hin zu vierfachem Schaden, die alle per Stick-Druck eingesetzt werden können. Diese ganzen Feinheiten sind auch bitter nötig, denn der Schwierigkeitsgrad fällt von Anfang an etwas happiger aus und bei Unachtsamkeit verliert man blitzschnell sein Leben. Hier sei aber gesagt, dass die Rücksetzpunkte überaus fair gesetzt sind.
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Ebenso glänzt zu großen Teilen die Story, welche zwar ein Drittel des Spieles braucht, um endlich Fahrt aufzunehmen, dann aber wirklich wuchtig reinhaut und in einem emotionalen, mitreißenden finalen Akt endet. Ein Großteil der Storymissionen um Peter, MJ, Miles und Otto sind hollywoodreif inszeniert und können bei so manchen Action-Setpieces mit der Reihe „Uncharted“ problemlos mithalten, während Peter versucht eine rasende U-Bahn aufzuhalten (Anspielungen auf Raimis „Spider-Man 2“ inklusive) oder verzweifelt eine Revolte im Super-Gefängnis Raft in Schach halten will, die wir bereits im E3-Trailer diesen Jahres sehen durften. Gerade die Rolle des Fanlieblings und Bösewichts Mister Negative, der 2008 von Dan Slott zu Beginn seiner Autorenschaft erfunden wurde, ist noch völlig unverbraucht und bietet viel Nährboden. Darum ist es umso erstaunlicher, dass eine große Zahl der altbekannten Bösewichte wie Rhino, Geier oder Scorpion eine Ewigkeit brauchen, um im Spiel endlich aufzutauchen. Die daraus resultierenden Bosskämpfe gehören zu den besten, die das Game zu bieten hat, werden dann aber in Windeseile abgefrühstückt und erledigt.
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Statt so viel Zeit darauf zu verwenden, die Story doppelt und dreifach zu erklären (was in den MJ- und Miles-Abschnitten besonders deutlich wird), hätte Insomniac lieber besagte Superbösewichte früher auftauchen lassen können. Die wirken zwar allesamt ikonisch und ausnahmslos gut designt, kommen aber fast alle viel zu kurz. Stattdessen prügelt man sich in den etlichen Nebenmissionen und Tätigkeiten durch immer gleiche Gegnermassen, sammelt Brieftauben (!) und Rucksäcke oder macht Fotos von berühmten Gebäuden und hilft Studenten dabei wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Gerade die Nebenmissionen wären der perfekte Ort die gigantische Riege an Bösewichten auftauchen zu lassen, die Spider-Man bietet. Warum dort dann so viel Zeit mit austauschbarer Nichtigkeit verplempert wird, bleibt ein Rätsel. Lediglich die äußerst knackigen Herausforderungen Task Masters sind ein perfektes Beispiel, wie Nebenmissionen hätten aussehen können. Nach erfolgreicher Ablegung jeder Herausforderung lässt sich Task Master zu einem Duell blicken, das selbst erfahrene Netzköpfe schnell ins Grab befördern kann.
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Wie bereits erwähnt sind die Abschnitte mit Miles und Mary Jane zwar oft schnell erledigt, sie tragen aber kaum zur Story bei, denn das meiste darin enthüllte weiß der Spieler zum Zeitpunkt des Geschehens bereits. Und zu allem Überfluss fühlen sie sich eher nach Arbeit als nach Spaß an. Oft wirken die Schleichpassagen wie ein Mittel zum Zweck, um Spidey an den Ort des Geschehens zu locken und MJ aus der misslichen Lage zu befreien, ob sie es nun will oder nicht.
Trotz allem sind die kleinen Verfehlungen nichts anderes als Meckern auf hohem Niveau. „Marvel’s Spider-Man“ ist der beste Spidey, den es je gab. Die Kombination aus unglaublich spaßigem Gameplay, emotionaler Story, jenseits von hollywoodreifer Inszenierung, durchweg begeisternden Sprechern und atemberaubender Grafik ist ein Kraftpaket, das es auf diesem Niveau noch nicht gab. Selbst bei noch zu wünschendem Fanservice und mehr Superbösewichten gehört „Marvel’s Spider-Man“ in jeden PS4-Schrank, egal ob man nun langjähriger Hardcore-Spidey-Leser, MCU-Neuling oder einfach nur passionierter Gamer ist.
„Marvel’s Spider-Man“ ist seit dem 7. September 2018 exklusiv für Sonys Playstation 4 erhältlich.
Abb. © Insomniac Games/Marvel
Marvel’s Spider-Man • Insomniac Games • Third-Person Adventure
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