9. November 2020

Das größte Science-Fiction-Epos aller Zeiten

Eine Leseprobe aus Frank Herberts „Die Kinder des Wüstenplaneten“

Lesezeit: 12 min.

Auch wenn der Kinostart von „Dune“ leider um ein Jahr verschoben wurde, es gibt Mittel und Wege, sich die Wartezeit zu verkürzen – zum Beispiel, indem man „Die Kinder des Wüstenplaneten“ (im Shop) liest. Der dritte Teil von Frank Herberts großer Saga, in der Neuübersetzung von Jakob Schmidt, erscheint am 14. Dezember 2020. Wir stellen Ihnen schon jetzt eine erste Leseprobe aus dem Roman zur Verfügung.

 

Ein Lichtfleck erschien auf dem tiefroten Teppich, der den nackten Fels des Höhlenbodens bedeckte. Das Licht hatte keine erkennbare Quelle, es existierte scheinbar einzig und allein auf dem roten, aus Gewürzfasern gewebten Stoff. Es bewegte sich unvorhersehbar, ein suchender Kreis von etwa zwei Zentimetern Durchmesser, der mal eine längliche, mal eine ovale Form annahm. Als es auf einen tiefgrünen Bettkasten traf, sprang es hoch und kroch über die faltigen Laken.

Unter der grünen Decke lag ein Kind mit rostrotem Haar, das Gesicht mit den vollen Lippen noch rund vom Babyspeck. Sein Körper hatte nichts von der Sehnigkeit der Fremen, war aber auch nicht so wasserfett wie der eines Außenweltlers. Als das Licht über die geschlossenen Lider des Kindes strich, regte sich die kleine Gestalt. Das Licht verschwand.

Nun waren nur regelmäßiges Atmen und, leise im Hintergrund, das beruhigende Tropfen des Wassers zu hören, das sich im Auffangbecken der Winddestille weit oberhalb der Höhle sammelte.

Erneut erschien das Licht in dem Zimmer, diesmal etwas größer und einige Lumen heller. Seine Quelle ließ sich nun vage erkennen: Eine Gestalt in einem Kapuzenmantel stand im Türbogen des Zimmers. Von ihr ging das Licht aus. Einmal mehr glitt es durch den Raum, prüfend, suchend. Es hatte etwas Bedrohliches an sich, eine ruhelose Unzufriedenheit. Diesmal hielt es sich von dem schlafenden Kind fern, verharrte auf dem Belüftungsgitter in der oberen Ecke und tastete sich an einer Wölbung der grün-goldenen Wandbehänge entlang, mit denen der umliegende Fels verdeckt war.

Dann erlosch das Licht wieder. Ein verräterisches Rascheln von Stoff erklang, als sich die Kapuzengestalt bewegte und neben den Türbogen stellte. Jeder, der mit den Abläufen hier im Sietch Tabr vertraut war, hätte sofort erahnt, dass es sich um Stilgar handelte, den Naib des Sietchs und Wächter der Waisenzwillinge, die eines Tages das Werk ihres Vaters, Paul Muad’Dibs, fortsetzen würden. Stilgar inspizierte nachts häufig die Gemächer der Zwillinge, wobei er immer erst in das Zimmer ging, in dem Ghanima schlief, und sich anschließend hier im Nachbarzimmer davon überzeugte, dass Leto keine Gefahr drohte.

Ich bin ein alter Narr, dachte Stilgar.

Er betastete das kalte Gehäuse des Lichtwerfers und steckte ihn dann in seinen Gürtel zurück. Das Ding ärgerte ihn, obwohl er nicht ohne es auskam. Es war ein fein eingestelltes Gerät aus dem Imperium, mit dem man größere Lebensformen aufspüren konnte. In den königlichen Schlafgemächern hatte es ihm lediglich die beiden schlafenden Kinder gezeigt.

Stilgars Gedanken und Gefühle ähnelten diesem Gerät. Es war, als könnte er sein inneres Suchlicht nicht abstellen. Die Bewegungen dieses Lichts wurden von einer höheren Macht gelenkt, die ihn in diesen Augenblick warf, in dem er das ganze Ausmaß der Gefahr spürte. Hier war der Fokus für die größten Träume überall im bekannten Universum. Hier lagen der Schatz der Zeit, die säkulare Herrschaft und der mächtigste aller mystischen Talismane: die göttliche Authentizität von Muad’Dibs religiösem Vermächtnis. Diese Zwillinge – Leto und seine Schwester Ghanima – waren das Brennglas einer Furcht einflößenden Macht. Solange sie lebten, lebte Muad’Dib, der für tot gehalten wurde, in ihnen fort.

Es waren keine gewöhnlichen neunjährigen Kinder. Sie waren eine Gewalt der Natur, die man anbetete und fürchtete. Sie waren die Kinder von Paul Atreides, der zu Muad’Dib geworden war, dem Mahdi aller Fremen. Muad’Dib hatte die menschliche Zivilisation zum Explodieren gebracht. In einem Dschihad waren die Fremen von ihrer Heimatwelt aufgebrochen und hatten ihre religiöse Herrschaft, deren Ausmaße und Allgegenwart auf jedem Planeten Spuren hinterlassen hatten, in das Universum getragen.

Und doch sind diese Kinder Muad’Dibs aus Fleisch und Blut, dachte Stilgar. Zwei Stöße meines Messers würden genügen, um ihren Herzschlag zum Erliegen zu bringen. Ihr Wasser würde zurück an den Stamm gehen.

Der Gedanke versetzte sein Inneres in Aufruhr.

Muad’Dibs Kinder töten …

Doch die Jahre hatten ihn auch weise werden lassen. Er kannte den Ursprung eines so entsetzlichen Gedankens – er rührte von der linken Hand des Verdammten her, nicht von der rechten des Gesegneten. Ayat und Burhan des Lebens hielten nur noch wenige Geheimnisse für ihn bereit. Einst war er stolz gewesen, sich als Fremen und die Wüste als seinen Freund zu betrachten, seinen Planeten in Gedanken den Wüstenplaneten und nicht Arrakis zu nennen, wie er auf den Sternenkarten des Imperiums verzeichnet war.

Wie einfach doch alles noch war, als unser Messias nur ein Traum gewesen war. Indem wir unseren Mahdi gefunden haben, haben wir unzählige Träume von Erlösung auf das Universum losgelassen. Jedes vom Dschihad unterworfene Volk träumt nun von einem zukünftigen Führer.

Er spähte in die Dunkelheit des Schlafgemachs.

Wenn mein Messer all diese Menschen befreien würde, würden sie dann mich zum Messias machen?

Jetzt hörte er, wie sich Leto in seinem Bett regte.

Stilgar seufzte. Er hatte den Atreides-Großvater, nach dem das Kind benannt war, nie kennengelernt. Aber viele sagten, dass die moralische Stärke Muad’Dibs aus dieser Quelle stammte. Würde die fruchtbare Eigenschaft der Richtigkeit eine Generation überspringen? Stilgar stellte fest, dass er die Frage nicht beantworten konnte.

Sietch Tabr gehört mir. Ich herrsche hier. Ich bin ein Naib der Fremen. Ohne mich hätte es keinen Muad’Dib gegeben. Aber diese Zwillinge … Durch Chani, ihre Mutter und meine Verwandte, fließt mein Blut in ihren Adern. Ich bin mit Chani und Muad’Dib und all den anderen in diese Sache verwickelt. Was haben wir unserem Universum nur angetan?

Er konnte sich nicht erklären, warum ihn nachts solche Gedanken heimsuchten und warum sie derartige Schuldgefühle verursachten. In seinem Kapuzenmantel kauerte er sich auf den Boden. Die Realität entsprach ganz und gar nicht dem Traum. Die Freundliche Wüste, die sich einmal von Pol zu Pol erstreckt hatte, war auf die Hälfte ihrer früheren Größe geschrumpft, und das mythische Paradies sich ausbreitenden Grüns erfüllte Stilgar mit Verzweiflung. Es war einfach nicht wie in dem Traum. Und er wusste, dass auch er sich mit seinem Planeten verändert hatte. Er war jetzt ein weit kultivierterer Mann als noch zu seinen Zeiten als Sietchoberhaupt. Er wusste nun über vieles Bescheid – über Staatskunst und über die weitreichenden Folgen kleinster Entscheidungen. Und doch empfand er dieses Wissen und diese Kultiviertheit als dünne Fassade über dem eisernen Kern eines einfacheren, deterministischen Denkens. Und dieser Kern rief ihn, flehte ihn um eine Rückkehr zu klareren Werten an.

Die morgendlichen Sietchgeräusche mischten sich in seine Gedanken. Die Bewohner nahmen ihre Wege durch die Höhlen auf.

Stilgar spürte einen Luftzug an den Wangen – die Türsiegel öffneten sich in die Dunkelheit vor der Morgendämmerung. Der Luftzug verriet nicht nur, wie spät es war, sondern zeugte auch von Achtlosigkeit. Die Bewohner unterirdischer Stätten hielten sich nicht mehr an die strenge Wasserdisziplin früherer Zeiten. Warum sollten sie auch, wenn man auf dem Planeten schon Regen gespürt hatte, wenn man Wolken sah, wenn acht Fremen von einer plötzlichen Flut in einem Wadi in den Tod gerissen worden waren? Bis zu diesem Ereignis hatte es das Wort »ertrunken« in den Sprachen des Wüstenplaneten nicht gegeben. Aber dies war nicht mehr der Wüstenplanet. Dies war Arrakis. Und heute stand ein ereignisreicher Tag bevor.

Jessica, die Mutter Muad’Dibs und Großmutter der königlichen Zwillinge, kehrt heute nach Arrakis zurück. Warum beendet sie gerade jetzt ihr selbstauferlegtes Exil? Warum lässt sie den sicheren Planeten Caladan hinter sich, um sich den Gefahren von Arrakis zu stellen?

Und das war nicht das Einzige, was Stilgar zu denken gab. Würde Jessica seine Zweifel bemerken? Sie war eine Bene-Gesserit-Hexe. Man hatte sie in die tiefsten Geheimnisse der Schwesternschaft eingeweiht. Und sie war eine Ehrwürdige Mutter. Solche Frauen waren scharfsinnig – und gefährlich. Würde sie ihm befehlen, sich in sein eigenes Messer zu stürzen, so wie man es dem Umma-Beschützer von Liet-Kynes befohlen hatte?

Würde ich ihr gehorchen?, fragte er sich.

Auch diese Frage konnte er nicht beantworten, aber nun dachte er über Liet-Kynes nach, den Planetologen, der als Erster davon geträumt hatte, die Wüste in jene menschenfreundliche, grüne Welt zu verwandeln, zu der sie nun wurde. Liet-Kynes war Chanis Vater gewesen. Ohne ihn hätte es keinen Traum gegeben. Keine Chani. Keine königlichen Zwillinge. Diese fragile Verkettung beunruhigte Stilgar.

Wie sind wir hier zusammengekommen? Wie haben wir uns miteinander verbunden? Zu welchem Zweck? Ist es meine Aufgabe, all dem ein Ende zu setzen, dieses große Zusammenspiel zu zertrümmern?

Nun gestand er sich seinen schrecklichen inneren Drang ein. Er konnte diese Entscheidung treffen, konnte der Liebe und der Familie zuwiderhandeln, um das zu tun, was ein Naib zuweilen tun musste: zum Wohl des Stammes ein Todesurteil fällen. Aus einer bestimmten Perspektive stellte ein solcher Mord den absoluten Verrat dar, die ultimative Schandtat. Kinder zu töten! Aber sie waren nicht nur Kinder. Sie hatten die Melange zu sich genommen, hatten an der Sietchorgie teilgenommen, sie hatten in der Wüste nach Sandforellen gestochert und auch die anderen Spiele der Fremenkinder gespielt … und sie saßen im Königlichen Rat. Kinder in einem so zartem Alter – und doch klug genug, um im Rat zu sitzen. Körperlich mochten sie Kinder sein, doch an Erfahrungen waren sie uralt, mit einem umfassenden genetischen Gedächtnis geboren, einer entsetzlichen Bewusstheit, die sie und ihre Tante Alia von allen anderen lebenden Menschen unterschied.

In vielen Nächten hatte Stilgar bemerkt, dass seine Gedanken um diesen Unterschied kreisten, der die Zwillinge und ihre Tante kennzeichnete. Viele Male hatten ihn diese quälenden Gedanken aus dem Schlaf hochschrecken lassen, und er war mit nicht zu Ende geträumten Träumen in die Schlafgemächer der Zwillinge gegangen. Nun kristallisierten sich seine Zweifel klar heraus. Auch wenn man keine Entscheidung traf, war das eine Entscheidung, das war ihm bewusst. Die Zwillinge und ihre Tante hatten im Mutterleib nicht nur das Bewusstsein erlangt, sondern auch alle Erinnerungen, die ihre Vorfahren ihnen vererbt hatten. Die Abhängigkeit vom Gewürz hatte das bewirkt, die Abhängigkeit der Mütter: Lady Jessica und Chani. Jessica hatte, bevor sie vom Gewürz abhängig geworden war, einen Sohn zur Welt gebracht, Muad’Dib. Alia war danach geboren waren. Im Rückblick war die Sache völlig klar. Die von den Bene Gesserit gesteuerte Zuchtwahl hatte nach zahllosen Generationen Muad’Dib hervorgebracht, doch die Melange war in den Plänen der Schwesternschaft nicht vorgesehen gewesen. Oh, sie hatten von dieser Möglichkeit gewusst und sich vor ihr gefürchtet, hatten sie als Abscheulichkeit bezeichnet. Für ein solches Urteil mussten sie Gründe gehabt haben. Und wenn sie sagten, dass Alia eine Abscheulichkeit war, dann traf das mit Sicherheit auch auf die Zwillinge zu, denn auch Chani war abhängig gewesen, ihr Körper gesättigt vom Gewürz, und ihre Gene hatten die von Muad’Dib ergänzt.

Die Gedanken brodelten in Stilgars Kopf. Es bestand kein Zweifel daran, dass diese Zwillinge etwas waren, das über ihren Vater hinausging. Aber in welche Richtung? Der Junge sprach von der Fähigkeit, sein Vater zu sein – und er hatte diese Fähigkeit auch schon unter Beweis gestellt. Bereits als Säugling hatte Leto von Erinnerungen erzählt, von denen nur Muad’Dib hätte wissen können. Gab es weitere Vorfahren, die in diesem unermesslichen Spektrum von Erinnerungen warteten – Vorfahren, deren Glaubensdogmen und Methoden tödliche Gefahren für die Lebenden mit sich brachten?

Abscheulichkeiten, so nannten sie die heiligen Hexen der Bene Gesserit. Und doch begehrte die Schwesternschaft die Genophase dieser Kinder. Sie wollten Spermium und Eizelle ohne das störende Fleisch, das beides in sich trug. War das der Grund für Lady Jessicas Rückkehr? Sie hatte einst mit der Schwesternschaft gebrochen, um ihren Herzog zu unterstützen, aber den Gerüchten zufolge hatte sie sich den Bene Gesserit inzwischen wieder angeschlossen.

Ich könnte all diesen Träumen ein Ende machen, dachte Stilgar. Wie einfach es doch wäre.

Und einmal mehr erstaunte es ihn, dass er diese Möglichkeit überhaupt in Betracht ziehen konnte. Waren Muad’Dibs Zwillinge verantwortlich für die Wirklichkeit, die die Träume anderer auslöschte? Nein. Sie waren lediglich die Linse, durch die sich das Licht ergoss, um neue Formen im Universum zu erhellen.

Sein gequälter Geist floh zu einem uralten Fremenglauben: Gottes Befehl wird kommen, versuche nicht, ihn zu drängen. Es ist an Gott, den Weg zu weisen, und manche weichen von ihm ab.

Es war Muad’Dibs Religion, die Stilgar am meisten verstörte. Warum machte man einen Gott aus ihm? Warum vergöttlichte man einen Mann, von dem man wusste, dass er aus Fleisch und Blut war? Muad’Dibs Goldenes Elixier des Lebens hat ein bürokratisches Monstrum erzeugt, das rittlings über allen menschlichen Belangen saß. Regierung und Religion waren eins, sodass der Gesetzesbruch zur Sünde würde. Wie Rauch stieg ein Geruch von Blasphemie von jedem Zweifel an einem Regierungsedikt auf. Und wer sich der Rebellion schuldig machte, beschwor das Höllenfeuer auf sich herab.

Und doch waren es Menschen, die für jene Regierungsedikte verantwortlich waren.

Traurig schüttelte Stilgar den Kopf; er nahm die Bediensteten, die das königliche Vorzimmer zur Verrichtung ihrer morgendlichen Pflichten betreten hatten, nicht einmal wahr. Er betastete das Krismesser an seiner Hüfte, dachte an die Vergangenheit, die es symbolisierte, dachte daran, dass er mehr als einmal mit sinnlosen Aufständen sympathisiert hatte, die man auf seinen eigenen Befehl hin niedergeschlagen hatte. Er spürte eine große Verwirrung und hätte zu gerne gewusst, wie sie sich ausmerzen ließ, um wieder zu den einfachen Prinzipien zurückzukehren, für die das Messer stand. Doch die Räder des Universums ließen sich nicht zurückdrehen. Sie waren ein zu gewaltiges und zu komplexes Getriebe, das auf die graue Leere des Nicht-Seins projiziert wurde. Wenn Stilgars Messer den Zwillingen den Tod brachte, würde das nur neue Komplexitäten erzeugen, die sich in die menschliche Geschichte einwoben. Es würde neue Wogen des Chaos auslösen und die Menschheit dazu anstiften, neue Formen von Ordnung und Unordnung zu erproben.

Er seufzte. Und langsam wurde er sich der Bewegungen um ihn herum bewusst. Ja, diese Bediensteten stellten eine Art Ordnung dar, deren Dreh- und Angelpunkt Muad’Dibs Zwillinge waren. Sie bewegten sich von einem Augenblick zum nächsten und kümmerten sich um die Notwendigkeiten, die sie dort jeweils erwarteten.

Am besten macht man es ihnen nach, dachte Stilgar. Am besten kümmert man sich um alles erst dann, wenn es so weit ist … Ich bin nach wie vor ein Diener. Und mein Herr ist der mitfühlende Gott. In Gedanken rezitierte er: »Gewiss haben Wir ihnen Halseisen angelegt, die bis ans Kinn reichen, damit sie erhobenen Hauptes gehen. Und Wir haben vor ihnen eine Mauer errichtet und hinter ihnen eine Mauer errichtet. Und Wir haben sie bedeckt, damit sie nichts sehen.« So stand es im alten Glauben der Fremen geschrieben.

Stilgar nickte. Zu sehen, den nächsten Moment so vorauszuahnen, wie Muad’Dib es mit seinen Ehrfurcht gebietenden Zukunftsvisionen getan hatte, erweiterte die menschlichen Angelegenheiten um eine Gegenkraft. Es erzeugte neue Räume für Entscheidungen. Frei von Ketten zu sein – das konnte auf eine Laune Gottes hindeuten. Eine weitere Komplexität, die außerhalb menschlicher Reichweite lag.

Er nahm die Hand vom Messer. Seine Finger kribbelten von der Berührung, doch die Klinge, die einst im Maul eines Sandwurmes geschimmert hatte, blieb in der Scheide. Stilgar wusste, dass er sie nicht ziehen würde, um die Zwillinge zu töten. Er war zu einer Entscheidung gelangt. Lieber wollte er sich eine alte Tugend bewahren: Loyalität. Lieber die Komplexitäten, die man zu kennen glaubte, als die, die sich jeglichem Verständnis entzogen. Besser das Hier und Jetzt als die Zukunft eines Traumes. Der bittere Geschmack in seinem Mund verriet ihm, wie leer und abstoßend manche Träume sein konnten.

Nein, dachte er. Keine Träume mehr!

 

Frank Herbert: »Die Kinder des Wüstenplaneten«Originaltitel: Children of Dune ∙Roman ∙ Neu übersetzt von Jakob Schmidt ∙ Wilhelm Heyne Verlag, München 2020 ∙ 592 Seiten ∙ Preis des E-Books € 11,99 (im Shop)

 

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