31. Januar 2021 3 Likes

Die Zukunft des „Donjon“-Universums

Jetzt auch mit SF: Die fantastische Genre-Satire von Sfar, Trondheim und anderen frankobelgischen Comic-Stars ist zurück

Lesezeit: 7 min.

Im Jahr 1998 starteten die französischen Comic-Größen Joann Sfar („Die Katze des Rabbiners“, „Professor Bell“) und Lewis Trondheim („Ralph Azham“, „Die erstaunlichen Abenteuer von Herrn Hase“) ihre satirische Fantasy-Reihe „Donjon“. Den Namen dieser Genre-Parodie voller Abenteuer, Monster und Magie leiteten sie vom Hauptturm einer mittelalterlichen Festung sowie dem englischen Wort für Verlies ab, also wie im fantastischen Rollenspielklassiker „Dungeons & Dragons“.

Der titelgebende Donjon auf dem Planeten Terra Amata diente lange als Dreh- und Angelpunkt eines großen Fantasy-Abenteuerspielplatzes und witzigen Comic-Kosmos. Sfar und Trondheim tobten sich hier so richtig aus und wurden von hochkarätigen Zeichnern unterstützt, darunter Manu Larcenet („Blast“), Mazan („Grimms Märchen“) und Christophe Blain („Isaak der Pirat“). Die All-Stars der frankobelgischen Comic-Szene verwirklichten parallel mehrere „Donjon“-Ableger auf verschiedenen Zeitachsen. Von den Titeln und der obskuren Nummerierung her sieht das recht kompliziert aus, das Schöne an „Donjon“ ist aber, dass man eigentlich jeden Band aufschlagen kann und sich einem die Storys, die Figuren, der Humor und die dreisten Schwert-und-Magie-Persiflagen rasch erschließen.

2015 kam nach rund 40 Alben der vermeintlich finale Comic der Reihe heraus, die hierzulande bei Reprodukt erscheint. Doch 2020 kehrten Sfar, Trondheim und der Donjon überraschend zurück. Zuletzt erschienen die Fortsetzung einer populären Hauptreihe sowie die ersten Bände eines großartigen neuen, obendrein eigenständigen Spin-offs, die in der Fantasy-Vergangenheit sowie der Science-Fiction-Zukunft des Donjon-Universums angesiedelt sind. Höchste Zeit für einen Streifzug durch die Welten und Zeiten des Donjon …

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Die Fantastik ist leicht zu parodieren, große Fantasy-Zyklen sogar noch leichter. Da stehen schließlich nicht nur massig Archetypen, Elemente, Motive, Konventionen und Klischees bereit, um durch den Kakao gezogen zu werden, sondern zudem ganze Erzählstrukturen und Veröffentlichungsformen. Joann Sfar und Lewis Trondheim, zwei wichtige Vertreter einer neuen Generation französischer Comic-Macher nach Hergé, Goscinny, Uderzo, Franquin und den übrigen alten Meistern, konnten in „Donjon“ demnach von Anfang an aus den Vollen schöpfen, und genau das taten sie auch – zusammen mit vielen hochtalentierten Zeichnern und Koloristen, die den Geschichten über die Donjon-Welt einen passend modernen Look verpassten. Lange vor Multimedia-Erfolgen wie „Adventure Time“ oder „Rick and Morty“ glänzte „Donjon“ mit frischen, frechen Fantasy-Geschichten und einer nichttraditionellen Optik. Die Welt des titelgebenden Donjon fungiert dabei als vertraute Kulisse für viele irrwitzige Ideen und Storys, die unter der klamaukigen Oberfläche auch mal mehr sein können als bloße Genre-Verulkungen. Für ihre ambitionierte Reihe peilten Sfar und Trondheim sogar mehrere Hundert Alben an, obwohl diese größenwahnsinnige Vorhersage immer Teil des satirischen Ansatzes schien.

Die obskur nummerierten Erzähleinheiten von „Donjon“ setzen jedenfalls in verschiedenen Epochen auf der Welt Terra Amata ein. Aufhänger der meisten Geschichten sind der Donjon, ein kommerzialisierter Riesen-Dungeon voller Monster und Kreaturen, sowie die Gestalten und Helden im Umfeld seiner langen Historie – allen voran der rote Drachenkrieger Marvin und die anthropomorphisierte Ente Herbert von Vaucanson alias Der Große Khan, Antihelden erster Güte, die mit ihren eigenen Schwächen genauso kämpfen wie gegen die dunkle Macht. Ihre Abenteuer zur Blütezeit des Donjon bilden das Rückgrat der Hauptserie, auch als „Zenit“ bezeichnet. Die Geschichten in der Nebenreihe „Donjon: Parade“ zeigen, was Herbert und Marvin zwischen den ersten Alben der Kernreihe erleben, und der Ableger „Donjon: Morgengrauen“ deckt als Prequel die Vergangenheit mit der Entstehungszeit des Donjon ab. Jeder Band von „Donjon: Monster“ widmet sich derweil einer anderen Nebenfigur des Epos, und „Donjon: Abenddämmerung“ spielt in der düsteren, endzeitlichen Zukunft Terra Amatas.

Dass trotz des geballten kreativen Talents nicht jedes Album ausnahmslos brillant ist, mag man fast schon wieder als typisches Merkmal jedes populären Fantasy-Zyklus werten. Den generellen Stellenwert von „Donjon“ kann die eine oder andere schwächere Geschichte ohnehin nicht ankratzen. Dieses außergewöhnliche, in seiner konzeptionellen und inhaltlichen Ausschweifung geradezu postmoderne Projekt hat den europäischen Comic-Markt abseits seiner über Dekaden hinweg etablierten Serien-Konventionen in den späten 1990ern und den gesamten 2000ern viele Jahre und Bände lang bereichert, belebt und begeistert. Mehr kann man von einem zu groß geratenen Verlies und einer Gruppe Abenteurer und Antihelden kaum erwarten. Entsprechend traurig war man, als die Reihe 2015 mit einem finalen Album beendet wurde. Doch wie sich zeigt, ist der faszinierende Donjon-Kosmos mächtiger als seine Schöpfer, die seiner Anziehungskraft anscheinend nicht auf Dauer widerstehen konnten und seit 2020 neue Comics vorlegen, die seit Kurzem auch auf Deutsch erscheinen.

 

Zurück in die Vergangenheit

In „Donjon – Zenit Bd. 7: Jenseits der Mauern“ geht es nach 13 Jahren sogar mit einer Haupthandlung und in einer turbulenten Hochphase aus der jüngeren „Donjon“-Vergangenheit weiter. Der Donjon wurde von Feinden eingenommen, Drache Marvin, Ente Herbert und die katzenhafte Isis suchen auf einer Queste die Mittel zur Rückeroberung. Dabei legen sie sich mit dem Orden der Vollzugsprovisoren an, und Herbert findet die Liebe. Die Jahre haben den Fanlieblingen, ihren Schöpfern und deren Humor nichts anhaben können. Selbst wenn man noch nie ein „Donjon“-Album gelesen oder inzwischen so gut wie alles wieder vergessen hat, erfreut einen dieser neue Band von Sfar, Trondheim und Zeichner Boulet („Wie ein leeres Blatt“) als gewohnt frecher und respektloser Rollenspiel-Fantasy-Fun, der einen bei vielen Gelegenheiten und Dialogen laut lachen lässt.

Ein noch größeres Vergnügen stellt sogar „Die Armee des Schädels dar, das erste komplett eigenständige Album der brandneuen Reihe „Donjon Antipoden“ mit der ungewöhnlichen Bandnummer -10.000. Wie die Zahl suggeriert, setzt der Comic weit vor dem Anfang, dem ersten Album und letztlich in der fernen Frühzeit Terra Amatas ein. Wie hätte diese Welt ausgesehen zur Zeit eines Comics, der 10.000 Alben vom ersten Band von 1998 entfernt ist? Als neue Hauptfigur betritt der namenlose Kampfhund eines Orks die Bühne, dessen Herr in der Schlacht gegen eine Armee Elfen fällt. Der treue, trauernde Köter gerät ausgerechnet an einen Artgenossen im Dienst der Elfen, trotzdem ziehen die beiden Vierbeiner gemeinsam los, weil der loyale Hund der Ork-Horde hofft, seinen Herrn mithilfe von Zauberei wiedererwecken zu können.

Die folgende Odyssee zwischen rüden Kämpfen und überraschender Magie hat „Donjon“-Debütant Grégory Panaccione („Ein Ozean der Liebe“) ausdrucksstark und schön mit Anleihen bei Sfar illustriert, Stammkolorist Walter fäbrt das Ganze überdies gekonnt und düster ein. Von der Katze des Rabbiners und Sokrates dem Halbhund aus Monsieur Sfars Portfolio zum Kampfhund des Orks: „Donjon Antipoden -10.000: Die Armee des Schädels“ präsentiert sich zum Comeback des Franchise tierisch gut, witzig und bissig. Der perfekte Donjon-Comic für den Erstkontakt oder Gelegenheitsleser, die noch nie in den Donjon-Kosmos reingeschnuppert haben und das immer mal tun wollten – und ein extra großes Vergnügen für alle, die etwa auf die Zamonien-Werke von Walter Moers abfahren.

 

Brutalo-Donald und Riesen-Roboter in der Zukunft

Aber es wird zum Donjon-Revival noch besser. Gerade ist nämlich das Album „Donjon Antipoden +10.000: Rubeus Khan“ erschienen. Von -10.000 zu +10.000, damit wäre dann auch das mit dem Reihen-Titel geklärt, die Antipode bezeichnet schließlich das diametral gegenüberlegende und Entgegengesetzte. Nach der Fantasy-Vergangenheit entführen Sfar, Trondheim und der international agierende Zeichner Vince Roucher („The Shadow and Doc Savage“, „Chronokids“) diesmal in die ferne Zukunft von Terra Amata. Vielen geht es finanziell nicht gut, weil Roboter die meisten Jobs effizienter und billiger erledigen. Gleichzeitig sind die riesigen Kampfroboter die einzige Hoffnung im Krieg gegen die Magma-Dämonen aus dem Erdinneren. In dieser Zukunft lebt die rote Ente Robert von Vaucanson, ein Nachfahre des Großen Khan aus der archaischen Hochzeit des Donjon. Robert ist ein brutaler Donald aus der Arbeiterklasse, der so gut wie immer vor Wut explodiert und dann in seiner Gewalttätigkeit kein Halten mehr kennt und z. B. gnadenlos den Riesenschraubenschlüssel schwingt. Er arbeitet als Wachmann in der Roboterfabrik seines dagobert-reichen Onkels, die eines Nachts von Terroristen mit Mechs angegriffen wird. Robert verteidigt die Familie, landet am Ende jedoch im Kittchen und kämpft erbittert für seine Chance, sich zu rächen und seinen kleinen Sohn wiederzusehen …

Das ist natürlich eine in jederlei Hinsicht ziemlich heftige Entenhausen- und Duck-Persiflage, die Sfar, Trondheim und Vince mit starkem Noir-Sound und überzeugenden, wenngleich oft blutigen Bildern inszenieren. Auf unterhaltsame Weise spielen sie mit den Tropen des Disney-Entenclans und einem gelungenen, geerdeten Science-Fiction-Ambiente, das wirklich nur mit minimaler, komplett vernachlässigbarer Anbindung an den restlichen „Donjon“-Kanon hervorragend funktioniert. Wie die entgegengesetzte Fantasy-Nummer um den Hund des Orks, ist auch das Neo-Noir-Abenteuer der wütenden, brachialen Ente in einer Welt der Roboter letztlich ein fast perfekter, schwer unterhaltsamer Genre-Einzelband.

Sfar, Trondheim und Co. haben bei der Wiedergeburt ihrer berühmten Reihe bisher alles richtig gemacht. Noch nie im „Donjon“-Universum gelandet und immer gezögert, auf den perfekten Einstiegspunkt gewartet? Dann gibt es auch für SF-Fans jetzt keine Ausrede mehr.

Abb.: © 2020 Éditions Delcourt

Joann Sfar, Lewis Trondheim, Grégory Panaccione: Donjon – Antipoden -10.000 Bd. 1: Die Armee des Schädels • Reprodukt, Berlin 2020 • 48 Seiten • Paperback: 13 Euro

Joann Sfar, Lewis Trondheim, Vince: Donjon – Antipoden +10.000 Bd. 1: Rubeus Khan • Reprodukt, Berlin 2021 • 48 Seiten • Paperback: 13 Euro

Joann Sfar, Lewis Trondheim, Boulet: Donjon – Zenit Bd. 7: Jenseits der Mauern • Reprodukt, Berlin 2020 • 48 Seiten • Paperback: 13 Euro


Alle Seiten aus „Donjon – Antipoden +10.000 Bd. 1: Rubeus Khan“

 

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