7. April 2022

„Monster“: Das Grauen hat viele Gesichter

Das Comic-Überwerk von Barry Windsor-Smith („Conan der Barbar“, „Wolverine: Waffe X“)

Lesezeit: 3 min.

Barry Windsor-Smith zählt seit über einem halben Jahrhundert zur künstlerischen Elite des englischsprachigen Comics. Man könnte jetzt seine vereinzelten Storys über Dr. Strange, Iron Man, Daredevil, Machine Man, die X-Men oder das von ihm mitgeschaffene Duo Archer & Armstrong aufzählen. Allerdings sind es vor allem diese Stationen, an die man denkt, wenn der Namen Barry Windsor-Smith fällt: Die ersten wegweisenden Conan-Comics bei Marvel, die der 1948 geborene Engländer ab 1970 wahnsinnig elegant zeichnete und mit denen er und Autor Roy Thomas den Barbaren von Robert E. Howard noch vor den Schwarzenegger-Filmen zur Multimedia-Ikone machten (und für die sie Red Sonja aus dem Pulp-Magazine-Schaffen des Träumers aus Texas destillierten). Windsor-Smith’ Zeit als Teil von The Studio, jenem legendären Künstler-Kollektiv in einem New Yorker Loft, aus dem heraus er, Jeff Jones, Michael Wm. Kaluta und Bernie Wrightson in der zweiten Hälfte der 1970 ihre grandiose Kunst über die herkömmlichen Grenzen des ‚Comic-Ghettos’ hinaus in die weite Welt trugen. Und die von Mr. Windsor-Smith mit viel künstlerischer Freiheit geschriebene, gezeichnete, getuschte, kolorierte und teils sogar geletterte Panel-Saga um Wolverine und das Waffe-X-Projekt, die 1991 zwischen Cyberpunk und Horror erstmals die Anfänge des Berserkers unter den Mutanten offenlegte, was Comics, Filme und mehr bis heute beeinflusst.

Allerdings ist die Karriere von Windsor-Smith auch von Konflikten mit Wegbegleitern und Verlagen durchzogen. Dazu passt selbst die Genesis seines neuen seitenstarken Werkes „Monster“, an dem er Jahrzehnte gearbeitet hat. Ursprünglich sollte diese Geschichte nämlich schon Mitte der 1980er eine Hulk-Story über Dr. Bruce Banner und dessen gewalttätigen Vater werden (was parallel auf andere Wege Teil des Marvel-Kanons wurde). Aus heutiger Sicht darf man sich wohl glücklich schätzen, dass das nicht klappte und der seit Langem in den USA lebende Brite alle Zeit der Welt darauf verwenden konnte, einen ganz anderen Comic aus der Idee zu entwickeln – die so viel mehr wurde als bloß ein Hulk-Drama, und die in den 2020ern mit möglichst wenigen Beschränkungen, was allein den Umfang oder das Format angeht, zum ausladenden Comic-Monstrum mutieren und reifen durfte. Bei Cross Cult liegt nun eine tadellose deutschsprachige Ausgabe vor. Einzig der Originaltitel „Monsters“ hat einen leichten Vorteil, da er bereits auf dem Cover mehrere Monster kommuniziert …

Denn nicht nur der versehrte Bobby Bailey, der vom US-Militär in den 1960ern als Teil des Projekts Prometheus mittels Nazi-Gentechnologie in einen übermenschlichen Supersoldaten verwandelt werden soll, wird im Comic zum Monster. Schon in den 1940ern haben der Junge und seine Mutter unter dem Vater zu leiden, der nach dem Zweiten Weltkrieg völlig verändert aus Deutschland zurückkehrt, wo er Schreckliches erlebt hat, und die Familie daheim in der Vorstadt mit seiner Grausamkeit und seiner Gewalt terrorisiert. Diese beiden äußerst intensiven „Monstergeschichten“ verknüpft Barry Windsor-Smith noch mit einigen anderen Schicksalen, außerdem setzt er auf eine interessante chronologische Struktur mit vielen Rückblenden und u. a. illustrierten Tagebucheinträgen – und auf eine unglaubliche Visualisierung. Seine detailreichen Schwarz-Weiß-Kreuzschraffuren erschaffen eine spektakuläre Plastizität und Emotionalität, die Seitenlayouts sind über jeden Zweifel erhaben. Und irgendwie erscheint es einem nur allzu passend, dass sich „Monster“, in dem verschiedene Arten Grauen und nicht zuletzt eine Menge „Frankenstein“ stecken, stilistisch damit direkt neben den berühmten Illustrationen von Windsor-Smith’ The Studio-Mitstreiter Wrightson für den Schauerklassiker über den modernen Prometheus positioniert.

Es dürfte schwer werden, dieses Jahr einen beeindruckenderen, intensiveren und wuchtigeren Comic als „Monster“ zu finden. Natürlich sollte man bei all der Begeisterung für dieses vermutlich letzte große Werk von Barry Windsor-Smith keinesfalls übersehen, dass das fast 400 Seiten starke Album durchaus ein paar Macken hat. Dass dieses überwältigende Monstrum von einem Comic bei allem erzählerischen Können und aller gestalterischer Brillanz ein bisschen träge wirkt, ja, vom Duktus und Tempo her vor 35 Jahren besser in die Landschaft der neunten Kunst gepasst hätte. Zumal die berührende, düstere Bildergeschichte hinsichtlich all ihrer Elemente, Figuren, Verknüpfungen und Dialogen hin und wieder schlichtweg too much ist. „Monster“ kommt also keineswegs perfekt daher, wie sich das für ein Monster eben gehört – und dennoch stellt es das späte, opulente Meisterwerk eines Ausnahmekünstlers dar, das man nicht so leicht vergessen wird.

Abb.: © Barry Windsor-Smith/deutsche Ausgabe bei Cross Cult

Barry Windsor-Smith: Monster • Cross Cult, Ludwigsburg 2022 • 370 Seiten • Hardcover: 40 Euro

 

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