12. Mai 2024

„Dark Matter“ – Viele Gerede im Multiversum

Unglückliche Adaption eines Top-Romans

Lesezeit: 4 min.

Dark Matter“ entlässt die Zuschauer nach neun Folgen vor allem mit einer Botschaft: Lest doch mal wieder ein Buch! Es ist schon ironisch, dass ausgerechnet der Autor der 2016 erschienenen Vorlage, Dark Matter - Der Zeitenläufer“ (im Shop), höchstpersönlich neun Stunden eindringlich vor Augen führt, was seinen Roman lesenswert macht. Blake Crouch, der schon an den Serienumsetzungen seiner vorherigen Bücher beteiligt war, wollte hier das Ruder in die Hand nehmen, sich um sämtlich Aspekte der Produktion selbst kümmern und fungierte erstmalig als Showrunner.

Im Mittelpunkt der Handlung steht Physikprofessor Jason Dessen (Joel Edgerton), der in Chicago ein beschauliches Mittelstandsdasein mit Frau Daniela (Jennifer Connelly) und Sohn Charlie (Oakes Fegley) führt. Eines Abends kommt’s aber dicke: Er verlässt eine Bar und wird überfallen. Der Angreifer, der eine weiße Maske trägt, bringt ihn an einen geheimen Ort und verpasst ihm dort eine Spritze, worauf Dessen das Bewusstsein verliert. Wieder bei Bewusstsein hat sich die Alltagswelt des frisch Überfallenen frappierend verändert: Seine Arbeitsstätte ist nun ein geheimnisvolles Institut und viele Menschen aus seinem Umfeld erkennen ihn nicht wieder. Als er zu Hause ankommt, gibt sich eine völlig Fremde, Amanda (Alice Braga), als seine Frau zu erkennen und vom Sohn fehlt jeder Spur. Parallel dazu kehrt woanders jemand, der genau aussieht wie Dessen zu Dessens Familie zurück, doch Daniela bemerkt langsam, aber sicher, dass da jemand vor ihr steht, der zwar aussieht, wie ihr Ehemann, aber nicht wirklich ihr Ehemann ist. Des Rätsel Lösung: Jason hatte sich an einem Punkt in seinem Leben gegen Karriere und für Familie entschieden, weswegen in einem Paralleluniversum eine weitere Version von Jason Karriere gemacht hat und unverheiratet geblieben ist. Dieser Jason hat sich’s aber anders überlegt und will nun den Platz von Jason 1 einnehmen, zum Wandeln zwischen den Universen dient eine von ihm entwickelte Box – auf die Jason 1 stößt und mit der er wieder nach Hause gelangen will, ein Weg, der durch eine ganze Reihe an Welten führt …

Die Hypothese vom Multiversum ist dank Filmen wie „Everything Everywhere All At One“ (2022), „Doctor Strange In The Multiverse of Madness“ (2022) oder „Spider-Man: Into The Spider-Verse“ (2023) mittlerweile fester Bestandteil der Popkultur, weswegen die Grundidee nicht mehr allzu frisch wirkt, doch Croachs’ Roman war natürlich deutlich früher da und was „Dark Matter“ noch heute von den Kollegen abhebt, ist der geerdete Ansatz: Trotz Storymotor aus der Quantenphysik dreht sich’s hier vor allem um normale Bürger und deren nur allzu menschliche Gefühlswelten, mit denen man als Leser oder Zuschauer natürlich prima connecten kann: Wer saß nicht schon mal seufzend am Schreibtisch und hat sich überlegt, was aus dem Leben geworden wäre, wenn man damals nur dies, das oder jenes gemacht hätte.

Crouch hatte aus dieser Prämisse jedenfalls einen schnellen Pageturner gemacht, dessen 400 Seiten sich wie 200 anfühlen. Das Buch sollte erst zu einem Film werden, was höchstwahrscheinlich die weitaus bessere Wahl gewesen wäre, aber nun liegt eine Serie vor, deren neun Stunden sich wie neunzehn anfühlen. Denn: Um die Story irgendwie auf Serienlänge zu bringen wurde vor allem die Charaktere und deren Beziehungen zueinander „vertieft“: Unter anderem sieht man auch Jason 2 beim Unterrichten, ein Gespräch in einer Bar zwischen Jason 1 und einem alten Studienfreund wurde um eine irrelevante Komponente verlängert, Jason 2 war im Buch allein, lebt jetzt allerdings in einer nicht näher definierten Beziehung mit Amanda zusammen, ebenso wurde die Beziehung zwischen Jason 2 und Daniela ausgebaut. Soll heißen: Nach einem durchaus viel versprechenden Einstieg mutiert die TV-Adaption schnell zu einem in düsteren, grauen, monotonen Bildern gekleideten, drögen, freudlosen Labermarathon, der phasenweise fast schon ein bisschen Psychotheraphie-Feeling aufkommen lässt.

Wenig hilfreich ist zudem Joel Edgerton: Der an sich gute Darsteller ist in den meisten Szenen zu sehen, seine beiden Jasons unterscheiden sich aber vor allem dadurch, dass Jason 1 ein paar Schrammen im Gesicht hat. Edgerton macht etwas zu sehr einen auf subtil angesichts dessen, dass Jason 2 ja eigentlich eine Bedrohung für Jason 1 darstellt – die gedruckte Version kehrt die Fremdheit von Jason 2 vor allem mit einem Wechsel der Erzählperspektive da viel besser raus. Nicht zu vergessen: da man vermutlich einiges an Budget verbraten durfte, Apple TV+ ist bekanntermaßen ja nicht gerade knauserig, gibt’s in der Serie auch mehr Welten, was sich aber kurz vor der Beliebigkeit bewegt, manchmal hat man aufgrund mäßiger CGI-Trickserien das Gefühl, man guckt eine eingeschobene Videospiel-Cutscene.

Jedenfalls: Von der ausgewogenen, gut getakteten Mischung aus Science-Fiction, Thriller und etwas Drama, die das Buch so unterhaltsam gemacht hat, ist nicht mehr viel übrig. Der Roman macht Spaß, die Serie ist Arbeit – und das wird man in einem Paralleluniversum nicht anders sehen!

Blake Crouch: Dark Matter. Der Zeitenläufer • Roman • Aus dem Amerikanischen von Klaus Berr • Goldmann, München 2019 • 416 Seiten • Erhältlich als Taschenbuch, Paperback, eBook, Hörbuch Download und Hörbuch Download (gek.) • Preis des Taschenbuchs: € 10,00 • im Shop

Dark Matter • USA 2024 • Darsteller: Joel Edgerton, Jennifer Connelly, Oakes Fegley, Alice Braga, Jimmi Simpson, Dayo Okeniyi, Marquita Brooks • Die ersten beiden Episoden sind seit dem 08.05. auf Apple TV+ abrufbar, weitere Folgen gibt’s im Wochentakt.

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