11. August 2013

Großstadtparanoia

David Cronenbergs „Cosmopolis“

Lesezeit: 4 min.

Don DeLillo gehört neben Thomas Pynchon zu den größten postmodernen Autoren der Gegenwart. In Romanen, Theaterstücken und Kurzgeschichten erweist er sich spätestens seit seinem internationalen Durchbruch mit »Weißes Rauschen« (1985) als Chronist der Gegenwart, als eiskalter Analyst der Wechselbeziehung von Individuum und Gesellschaft und als eloquenter Meister der Paranoia. All diese Aspekte erreichten ihren spektakulären Höhepunkt mit seinem Opus Magnum »Unterwelt« (1998), in dem er ein amerikanisches Panorama der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schuf, das in seiner Vielstimmigkeit, narrativen Dynamik und thematischen Breite bis heute seinesgleichen sucht.

Seit diesem wahrlich großen Wurf veröffentlichte er eher kleinere Werke, die aber keinesfalls von weniger Anspruch zeugen. Im Gegenteil – kurze Romane wie »Körperzeit« (2001), »Falling Man« (2007) oder »Der Omega-Punkt« (2010) sind Kabinettstücke der Verdichtung; in Bezug auf ihre thematische Vielfalt und die Fülle der Fragen, die sie stellen, stehen sie dem epischen »Unterwelt« in nichts nach.

Zu den beeindruckendsten dieser Kurzromane zählt »Cosmopolis« (2003) – auf der Handlungsebene die Geschichte des 28-jährigen Börsenmilliardärs Eric Packer, der an einem besonders turbulenten Tag in seiner Stretch-Limousine quer durch Manhattan fährt, um sich die Haare schneiden zu lassen. Während dieser Odyssee begegnet er diversen Menschen aus seiner persönlichen und professionellen Peripherie – Leibwächter, Analysten, einem Arzt, seiner Ehefrau, diversen Geliebten, einem toten Rap-Star und schließlich dem ehemaligen Angestellten, der ihn erschießen wird.

In zahlreichen Gesprächen, inneren Monologen und einer Art subjektlosem Stream-of-Consciousness strickt DeLillo nun einen romanesken Essay, in dem es um die destruktive Macht der Märkte geht, um die Wechselbeziehung von Geld und die Wahrnehmung von Zeit, um die Bedeutung von Währung, um die Auflösung des Individuums in der Anhäufung von Kapital, um die Unmöglichkeit, in einer Welt, die bedingt durch absurde Spekulationsgeschäfte nur noch eine auszubeutende Vergangenheit und eine renditeversprechende Zukunft kennt, die Gegenwart zu gestalten. Man könnte das Kapitalismuskritik nennen (ein Begriff, 2003 noch nicht so omnipräsent wie in der Occupy-dominierten Jetztzeit), doch griffe man damit zu kurz.

Denn DeLillo geht es nicht um soziologische Analyse oder psychologisches Drama – vielmehr begibt er sich mit seiner Darstellung der kompletten Durchdringung und wechselseitigen Beeinflussung von natürlichen, körperlichen Prozessen und von Menschen geschaffenen Systemen, die ein Eigenleben annehmen, sowie unerklärlichen Geschehnissen (wie etwa der Tatsache, dass Eric wiederholt auf einem seiner vielen Bordbildschirme Ereignisse sieht, die noch gar nicht stattgefunden haben) auf das Terrain einer holistischen Mystik, der er mit intellektuellem Blick und kalten Worten Gestalt verleiht.

Eine zutiefst literarische Technik – kein Wunder, dass sich bisher niemand an die Verfilmung eines DeLillo-Stoffes wagte. Wie sein großer Kollege Pynchon gehört der New Yorker zu den wenigen großen amerikanischen Autoren, deren Romane einfach nicht den Weg auf die Leinwand finden. Zu hermetisch und spröde scheint diese Prosa, zu sehr verortet im Schriftlichen, und obwohl gerade DeLillo in seinen Romanen immer wieder »filmische« Techniken einsetzt, zu undurchlässig für die Adaption.

Dass sich nun mit David Cronenberg ein Regisseur dieser Herausforderung stellt, der bereits mit William S. Burroughs’ »Naked Lunch« einen als unverfilmbar geltenden Stoff zu einem höchst idiosynkratischen filmischen Meisterstück machte, ist ein wahrer Glücksfall. Cronenberg, der sich in den letzten Jahren immer weiter vom Body-Horror seiner frühen Independent-Hits wie Parasiten-Mörder (1975), Rabid (1977) oder Scanners (1981) entfernte, um sich mit schwankendem Erfolg eher realistischen Stoffen mit den Schwerpunkten Sex, Gewalt und Psychologie zu widmen (was vor zwei Jahren in dem etwas vermurksten Freud-Jung-Drama Eine dunkle Begierde gipfelte), wählt für seinen Cosmopolis einen völlig anderen Ansatz als für seine Version von Burroughs’ Beat-Klassiker.

Setzte er dort noch auf eine Collagetechnik, die Elemente des Romans mit einer Art imaginiertem Making-of verband, um der Natur der Vorlage gerecht zu werden, und schuf so eine schwül-exotische Neo-Noir-Drogenfantasie, wählt er hier eine kalte, distanzierte Inszenierung, die sich sklavisch an die Vorgaben des Romans hält. Das Ergebnis ist ein zutiefst antipsychologischer Film, eine fast schon Beckett-artige Aneinanderreihung oft surrealer Dialog-Szenen, in denen neben großartigen Darstellern wie Robert Pattinson, Juliette Binoche, Paul Giamatti und Samantha Morton vor allem DeLillos Sprache die Hauptrolle spielt.

Anders als noch in Naked Lunch sind fast alle Dialoge wortwörtlich dem Roman entnommen, eine Drehbuch-Entscheidung, die erstaunlich gut funktioniert. Die Kraft dieser spröden Prosa und ihr immenser Ideenreichtum benötigen schlicht keine inszenatorische Flamboyanz, und so beschränkt sich Cronenberg wie in seinen letzten Filmen wieder auf subtil variierte Kamerawinkel, unauffällige Ausleuchtung, einen ominösen Soundtrack und die Konzentration auf das gesprochene Wort, ein Stil, der Cosmopolis oft in die Nähe einer Theaterinszenierung rückt. Cronenberg gibt dem Text viel Raum zur Entfaltung und bewirkt mit unauffälligen filmischen Techniken eine fast unmerkliche Zunahme der Paranoia, die auch DeLillos Roman durchzieht. Eine Paranoia, die aber eben nicht psychologisch motiviert wird, sondern sich in den oft entpersönlichten Dialogen entfaltet, die nicht wirklich zwischenmenschlich wirken, sondern auf einer mystischen Ebene philosophische Resonanz entwickeln.

Cosmopolis ist das perfekte Beispiel dafür, wie ein Regisseur auf der Höhe seines Könnens bei der Verfilmung eines Romans genau die richtigen Entscheidungen trifft, die Stärken des Textes erkennt und sich in den Dienst des Stoffes stellt, ohne eine reine Bebilderungsmaschine anzuwerfen. Vielleicht nicht der einzige, aber sicherlich der angemessenste Weg, sich dem Werk dieses großen Autors zu nähern.

Cosmopolis • Can/F/P/I 2012 · Regie: David Cronenberg · Darsteller: Robert Pattinson, Juliette Binoche, Sarah Gadon, Jay Baruchel, Paul Giamatti, Samantha Morton, Mathieu Amalric

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