7. November 2025

„Der Mann, der immer kleiner wurde“ – Eine Frage der Perspektive

Jan Koenens schöne Variation von Richard Mathesons Roman

Lesezeit: 3 min.

Fast 70 Jahre ist es her, dass der legendäre B-Picture-Regisseur Jack Arnold einen seiner besten und berühmtesten Filme drehte: „Die unglaubliche Geschichte des Mister C.“, der eine ganz einfache Geschichte erzählt: Ein Mann schrumpft, verursacht durch eine radioaktive Wolke, immer kleiner wird er, bis er ganz aus der Makrowelt verschwindet und Einzug in den Mikrokosmos hält.

Als Reflexion über das Verhältnis der Geschlechter hatte Richard Matheson, der Autor der Romanvorlage, die Geschichte intendiert, als Parabel über einen durchschnittlichen Mann im Amerika der 50er Jahre, dessen Position in der Gesellschaft und in seine Kleinfamilie durch sein Schrumpfen in Frage gestellt werden, bis sie sich ganz auflöst.

Jack Arnold machte daraus eine Allegorie über das Verhältnis des Menschen zu seiner Umgebung, ein nachdenklicher, melancholischer Film, der durch für damalige Verhältnisse spektakuläre Spezialeffekte beeindruckte. Trotz des großen Erfolgs des Films kam es nie zu einer Fortsetzung und auch ein Hollywood-Remake blieb immer im Entwicklungsstadium stecken, allein eine weibliche Version entstand Anfang der 80er Jahre mit „Die unglaubliche Geschichte der Mrs. K.“, die eher auf das komödiantische Potential des Konzeptes abzielte.

Nun hat jedoch der niederländische, meist in Frankreich arbeitende Regisseur Jan Koenen den Stoff unter dem Titel „Der Mann, der immer kleiner wurde“ neu verfilmt und hält sich dabei sehr eng an die Roman-Vorlage. Diesmal wird der schrumpfende Mann von Jean Dujardin gespielt, der zu Beginn mit seiner Frau und der kleinen Tochter in einem Haus am Meer lebt und auf den ersten Blick rundum glücklich scheint. Geldsorgen plagen ihn jedoch, vielleicht auch die durch eine Middlifecrisis beförderte Frage, was da noch kommen mag, wie er den Rest seines Lebens verbringen soll.

Eines Tages beginnt er zu schrumpfen, sein Arzt beschwichtigt anfangs noch, doch bald lässt sich nicht mehr ignorieren, dass Merkwürdiges geschieht. Heilung ist nicht in Sicht, für eine Weile freut sich seine Tochter über den kleinen Papa, doch der hadert zunehmend mit seinem Schicksal. Und findet sich bald eingesperrt im Keller wieder, nachdem ihn die Hauskatze fast als Nachtisch verspeiste.

Zu Beginn des Films noch in voller Größe, hatte er seine Tochter angesichts der Anwesenheit einer kleinen Spinne beruhigt, doch genau diese erweist sich bald als größte Gefahr. Noch ist Mr. C in etwa gleich groß, kann sich mit Hilfe einer zum Schwert umfunktionierten Nähnadel verteidigen, doch damit ist es bald vorbei.

Ein modernes Hollywood-Remake der Geschichte wäre wohl deutlich actionlastiger geworden, hätte dem schrumpfenden Mann mit den Möglichkeiten moderner Computertechnik allerlei Gegner und Aufgaben in den Weg gestellt. Nicht so jedoch Jan Kounen, der zurückhaltend erzählt und der existenzialistischen Komponente der Geschichte Raum gibt, sich zu entfalten.

Über weite Strecken ist Mr. C, ganz allein, kein Mensch sucht mehr nach ihm, seine Frau und Tochter haben ihn längst vergessen, das Haus steht zum Verkauf. Aus dem Keller scheint kein Entkommen zu sein, das Schrumpfen geht unaufhaltsam voran, doch im Angesichts des Endes erwacht in Mr. C noch einmal der Wunsch zu leben.

Koenen hat im Lauf seiner Karriere immer wieder einen Hang zum Metaphysischen bewiesen, besonders im spektakulären, psychedelischen Finale von „Blueberry“, wo die Realität sich auflöste, das Größte mit dem Kleinsten verschmolz. Ganz im Sinne von Mr. C, der vor dem Sturz in den Mikrokosmos, noch einmal in die Sterne blickt und am Ende realisiert, dass er immer noch, obwohl er immer kleiner wird, ein Teil des großen Ganzen bleibt. Ein traumhaftes Ende eines bemerkenswert bedächtigen, unkonventionellen Films.

Abb.: Leonine Studios

Der Mann, der immer kleiner wurde • Frankreich, Belgien 2025 • Regie: Jan Kounen • Darsteller: Jean Dujardin, Marie-Josée Croze, Stéphanie Van Vyve • im Kino

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