16. Oktober 2014 3 Likes 4

Das rote Geisterhaus

Warum es noch zu früh ist, auf dem Mars zu landen – eine Kolumne von Uwe Neuhold

Lesezeit: 8 min.

Stellen Sie sich vor, Sie würden ein unheimliches altes Haus untersuchen. Sie wissen nicht genau, was da drin vor sich geht: Es könnte belebt sein oder auch nicht. Die Luft im Inneren ist möglicherweise giftig, vielleicht gibt es auch tödliche Strahlung, oder der Boden ist von Falltüren durchsetzt. Würden Sie unbesorgt rein gehen, oder sich vorsichtig annähern? Keine Frage, jeder vernünftige Mensch würde erst mal die Umgebung sichern, danach mit Kameras ins Gebäude spähen und dann zur Sicherheit Roboter rein schicken, bevor er selbst das Haus betritt.

Elon Musk gehört allerdings zur ersten Kategorie: Der Gründer der privaten Weltraumfirma SpaceX will in zehn bis fünfzehn Jahren  80.000 Menschen zu einem Geisterhaus namens Mars senden. Ganz ähnlich denkt der niederländische Unternehmer Bas Lansdorp, welcher bis zum Jahr 2025 im Rahmen seines Projekts „Mars One“ erste Siedler auf dem roten Planeten absetzen will – mit einem One-Way-Ticket: der Rückflug ist nicht vorgesehen, da Brennstoff und Nahrungsmittel hierfür zu teuer wären. Die NASA und ESA entwickeln eigene Projekte, bei denen zwar ein Rücktransport eingerechnet ist – doch auch bei diesen geht es um eine möglichst schnelle Landung, gefolgt vom Aufbau erster Habitate und Stationen zur Erforschung der Marsoberfläche.

Sie alle fliegen in den ziemlich sicheren Tod.

Zuerst gilt es die Zeit selbst zu überstehen. Nach dem heutigen Stand der Technik würde ein Raumschiff unter optimalen Bedingungen rund 250 Tage für den Hinflug benötigen. Was es psychologisch bedeutet, monatelang auf engstem Raum zusammenzuleben, zeigte etwa das europäisch-russische Experiment „Mars-500“: das Immunsystem der sechs teilnehmenden Männer war bereits durch die lange Isolation, die Enge an Bord und den daraus entstehenden Stress geschwächt. Hinzu kämen im Realfall Bedrohungen durch Schwerelosigkeit (Muskelschwund), Weltraumstrahlung (Krebs) und Trümmerflug (Zerstörung lebenswichtiger Einheiten).

Gehen wir davon, Raumschiff und Crew kommen dennoch unbeschadet an. Nun steht jedoch die Landung bevor. Diese ist am Mars leider weitaus härter als irgendwo sonst im inneren Sonnensystem. Denn die Marsatmosphäre ist einerseits so dünn, dass der Sinkflug nicht durch Fallschirme gebremst werden kann. Andererseits ist sie stark genug, um die Landekapsel unerbittlich anzuziehen und aufschlagen zu lassen. Bei der Mondlandung durch Apollo-11 konnten die Astronauten (aufgrund der fehlenden Schwerkraft) noch bis zur letzten Sekunde entscheiden, ob sie landen wollten oder nicht. Am Mars ist man zum Landen verdammt, da das Bremsen bei atmosphärischer Reibung zuviel Energie verbraucht. Kein Wunder, dass bereits Marssonden auf der Planetenoberfläche zerschellten und man die Landung des Rovers Curiosity „seven minutes of terror“ nannte.

Nächstes Problem: die Lebenserhaltung. Wir haben überhaupt keine Erfahrung im langfristigen Überleben einer Crew in einem wirklich abgeschlossenen System. Alle bisherigen Experimente auf der Erde gingen früher oder später schief. Auch die Raumstation ISS muss regelmäßig mit Nahrung und Trinkwasser beliefert werden. Die Bewohner von Mars-Habitaten könnten weder ausreichend Nahrung anbauen, noch Sauerstoff erzeugen (Ideen hierfür wie die Nutzung von Algen sind kreativ, aber für lange Zeiträume unerforscht). Nicht einmal Abfall könnte man dort entsorgen; benutzte Wäsche ließe sich nicht waschen, sondern müsste verbrannt werden, um nicht alles voll zu müllen. Selbst NASA-Wissenschaftler gehen davon aus, dass man ein wirklich autonomes Habitat zuerst über Jahre im Weltraum (nicht auf der Erde) testen müsste.

Was alles noch erschwert: Die starke Weltraumstrahlung, welche aufgrund dünner Atmosphäre und schwachen Magnetfelds ständig auf die Kolonisten treffen würde. Man kann am Mars natürlich überleben, wenn man sich nicht länger als maximal zwei Jahre dort aufhält und einem das um mindestens 3% erhöhte Krebsrisiko nicht stört. Selbst in abgeschirmten Habitaten wäre das Tragen schwerer Raumanzüge ratsam. Und in Gewächshäusern (die Glasdächer benötigen, um energieeffizient Sonnenlicht zu nutzen) würde auch die hineingeblasene Luft nicht vor der massiven Strahlung schützen. Leben auf dem Mars wäre ungefähr so wie auf der Erde kurz nach einem Atomkrieg: ein nur von kurzen Ausflügen unterbrochenes Stubenhocker-Dasein hinter  Bleiwänden – oder in Höhlen unter der Marsoberfläche.

Natürlich wirkt sich auch die geringe Schwerkraft am Mars nicht vorteilhaft auf menschliche Körper aus: ähnlich wie im Weltraum selbst wäre sie bald als Knochen- und Muskelschwund bemerkbar. Dies beträfe hauptsächlich die erste Siedlergeneration, welche noch an das Gravitationsfeld der Erde gewöhnt wäre. Doch ob in der harten Strahlung des Mars überhaupt eine Entwicklung gesunder, lebensfähiger Nachkommen möglich wäre, ist zumindest zweifelhaft.

Selbst wenn unser Körper trotz allem mitspielt: Wo können wir dort wohnen? Man kann am Mars kein normales Haus bauen, sondern benötigt runde Formen aus massivem Material, mit höchstens ein paar winzigen Fenstern – einfach um darin den für das Leben nötigen Luftdruck nicht entweichen zu lassen. Das Haus müsste so eingerichtet sein, dass man sich darin mit Raumanzug bewegen kann. Und sollte dieser dennoch mal einen Riss abbekommen, wäre man Gefangener seiner eigenen Wohnung, falls man ihn nicht reparieren kann. Auch die Luftzirkulation wäre extrem aufwändig (ähnlich wie bei der ISS), denn sobald sie etwa durch Gas oder Krankheitserreger kontaminiert ist, wäre zwangsläufig die Atemluft betroffen (genau genommen wäre es komplizierter als bei der ISS, denn die Raumstation kann giftige Gase wenigstens in den Weltraum blasen und neue Atemluft von der Erde geschickt bekommen). In jedem Fall könnten am Mars wirklich nur Multimillionäre oder Überlebenskünstler längere Zeit leben; insofern ist es schon komisch, dass die obigen Kolonisierungsprojekte von ihren Teilnehmern lediglich verlangen, älter als 18 und gesund zu sein, sowie über gute Englischkenntnisse zu verfügen.

Eigentlich beginnen die Probleme schon viel früher: bei der Motivation der Marssiedler. Sie verlassen unseren Planeten, um eine zweite Erde zu kolonisieren. Doch das ist völlig unsinnig. Am Mars ist buchstäblich alles anders, und selbst ein Terraforming würde tausende (oder gar hunderttausende) Jahre benötigen. Das bedeutet: die Siedler werden weder die Früchte ihrer Anstrengungen erleben, noch später für ihre Taten geehrt werden – denn man wird sie längst vergessen haben. Noch schlimmer: vielleicht wird man ihnen vorhalten, derart überhastet am Mars gelandet zu sein. Warum? Weil sie damit zu gedankenlosen Zerstörern wurden.

Was nämlich in der Diskussion rund um die Marslandung viel zu oft vergessen wird, ist die Tatsache, dass jede Landung durch Menschen den Planeten kontaminieren würde. Denn sowohl das Raumschiff als auch die menschlichen Körper sowie ihre Atemluft und Ausscheidungen bringen fremde Mikroorganismen von der Erde mit. Im worst case würden diese bereits bei einem Crash auf der Marsoberfläche ungehindert frei gesetzt. Selbstverständlich bestand und besteht diese Gefahr auch bei unbemannten Marssonden. Im Grunde müsste jede Absturzstelle so schnell wie möglich geräumt und sterilisiert werden, denn wie wir wissen, können extremophile Bakterien auch in kältesten Gebieten und unter härtester Strahlung überleben und sich fortpflanzen. Stellen Sie sich nun ein paar am Marsboden verstreute menschliche Leichen vor: hundert Trillionen Mikroben in zehntausend verschiedenen Arten freuen sich darauf, die Körperinnereien zu verlassen und eine Umwelt ohne Feinde zu erkunden.

Selbst Habitate und Laboratorien wären nicht absolut davor gefeit, winzige Organismen freizusetzen und dadurch ungeplante Ökologien zu erschaffen – oder am Mars vielleicht beheimatete Lebewesen anzugreifen. Selbst bei Bohrungen durchs Eis des sibirischen Wostok-Sees ist es trotz professionellen Equipments und wissenschaftlicher Vorsicht völlig unmöglich, das seit Jahrtausenden unberührte Wasser unter dem Eis frei von oberirdischen Keimen zu halten. Ein einziger der häufigen Sandstürme am Mars würde genügen, um freigesetzte irdische Sporen und Bazillen über die ganze Hemisphäre zu verteilen. Es könnte also passieren, dass wir Leben am Mars zerstören, bevor wir es überhaupt entdecken.

Schlimm wäre das nicht nur für potenzielle am Mars heimische winzige Lebewesen, sondern auch weil es einen enormen Erkenntnisverlust darstellen würde. Alles was wir über die Anfangsbedingungen des Lebens im Sonnensystem lernen könnten, wäre dahin. Was uns Marsorganismen über die früheste Entwicklung von Aminosäuren zu primitiven Zellen erzählen hätten können: vernichtet. Die letzten Überlebenden aus den einstigen Mars-Ozeanen: futsch. Ja wir könnten uns, falls wir neue Aminosäuren oder Mikroben entdecken, nicht mal mehr sicher sein, ob sie wirklich vom Mars stammen – oder eine bisher unbekannte Spezies von der Erde darstellen (und wir kennen derzeit nur einen kleinen Prozentsatz des irdischen Mikro-Lebens).

Okay, was also sollten wir tun, anstatt planlos und unangemeldet in dieses geheimnisvolle Geisterhaus am Nachbargrundstück unseres Sonnensystems hinein zu platzen? Sollten wir den Mars denn unerforscht lassen? Mitnichten.

Wir könnten stattdessen schrittweise vorgehen, wie es unzählige Expeditionen auf der Erde vorgezeigt haben: Zuerst testen wir, ob und unter welchen Bedingungen wir überhaupt in der Lage sind, mehrere Jahre in einem abgeschlossenen System zu überleben. Hierzu bietet sich zuallererst nicht der Mars an, sondern unser Mond. Ich verstehe ja übrigens nicht, warum Leute wie Elon Musk nicht ihr Geld ausgeben, um dieses viel nähere Ziel zu erreichen: der Mond ist genauso aufregend, besitzt ebenfalls Rohstoffe und kann im Vergleich zum Mars viel leichter als Fluchtort der Menschheit für den Fall globaler Katastrophen genutzt werden. Denn eines ist sicher: selbst wenn es auf der Erde zu einem Nuklearkrieg, einer globalen Pandemie oder einem verheerenden Asteroideneinschlag kommen sollte, ist sie immer noch der lebenswerteste Planet für uns im Sonnensystem. Statt unerreichbar auf dem Mars zu überdauern, könnten wir sie vom Mond aus beobachten, schrittweise dekontaminieren und schließlich wieder kolonisieren.

Aber zurück zur Erforschung des Mars: parallel zu den Langzeittests am Mond sollte eine Forschungsflotte aufgebaut werden, welche sich (basierend auf den Erkenntnissen der Mondstation) in 15 bis 20 Jahren tatsächlich auf die Reise zum Mars macht. Allerdings landet sie dort nicht, sondern verbleibt in dessen Orbit. Anstatt den Planeten zu kontaminieren, erkundet sie ihn mittels Sonden, Robotern und Telepräsenz von einer Orbitalstation aus. Dies hätte viele Vorteile: So könnte die Crew viel leichter und billiger mit Lebensmitteln und Sauerstoff von der Erde versorgt werden, da der jeweilige Lande- und Startvorgang am Mars entfiele. Mittels Sonnenkollektoren könnte außerhalb der Marsatmosphäre leichter Energie sowohl für Forscherstation als auch Sonden erzeugt werden. Beim Einsatz von Telepräsenz (also der Echtzeit-Steuerung „sehender“, „hörender“ und „tastender“ Oberflächen-Roboter durch mit ihnen vernetzte Wissenschaftler in der Orbitalstation) entfiele die Zeitverzögerung von mehreren Minuten, wie sie zwischen Erde und Mars entsteht. So könnte man auch weitaus schneller auf unvorhergesehene Probleme – und Entdeckungen - reagieren. Selbst die vorhandenen Rover wie Curiosity ließen sich dadurch schneller bewegen und präziser steuern. Auf diese Weise ließen sich bei Tag und Nacht auch Orte des Planeten erreichen, die für Menschen in schwerfälligen Raumanzügen viel zu gefährlich werden. Und natürlich wäre durch diese Art der Erkundung das Risiko einer Kontaminierung des Planeten mit irdischen Organismen minimiert.

Interessanterweise kam bereits vor Jahren die HERRO Studie zum Ergebnis, dass eine Orbitalstation mit Telepräsenz-Ausstattung dreimal mehr wissenschaftliche Ergebnisse bringen würde als eine bemannte Mission auf der Marsoberfläche – und das zu weitaus geringeren Kosten und Risiken. Die Massenmedien und Multimillionäre müssten solche Erkenntnisse nur lesen und – statt eines publicityträchtigen Schnellschussprojekts – ernsthaft an eine methodische Erforschung heran gehen. Dann warten als Preis am Ende tatsächlich die Landung von Menschen und eine überlebensfähige Kolonie auf dem Mars. Das Geisterhaus würde seine Gefahren verlieren und stünde als Zweitwohnsitz für die Menschheit zur Verfügung.

Uwe Neuhold ist Autor und bildender Künstler, der sich insbesondere mit naturwissenschaftlichen Themen befasst.
 

Der große Mars-Roman von Andy Weir, „Der Marsianer“ (im Shop), ist gerade erschienen und wird in allen seinen Aspekten in der Themenreihe Roter Oktober auf diezukunft.de vorgestellt.

Kommentare

Bild des Benutzers timetunnel

Fehler im Text: "Bei der Mondlandung durch Apollo-11 konnten die Astronauten (aufgrund der fehlenden Schwerkraft) ..." Natürlich gibt es auf dem Mond Schwerkraft, ca. 1/6 der Schwerkraft der Erde.

Bild des Benutzers Uwe Neuhold

Stimmt, das war von mir zu salopp formuliert - danke für den Hinweis!
So ganz ohne Schwerkraft wäre seinerzeit Neil Armstrong schon beim ersten Hüpfer für ewig hinaus ins All geschossen ;-)

Bild des Benutzers Judith

Das rückt einem mal die Perspektive zurrecht, wo wir eigentlich stehen, und was wir uns anmaßen - zumindest manche von uns. Als wäre eine Reise zum Mars wie ein Spontanurlaub.

Bild des Benutzers Uwe Neuhold

Ja, darum ging es mir - ich hoffe, dass es statt fataler Rückschläge zu einer schrittweisen, planvollen Erforschung kommt; denn nur so werden wir es schaffen, uns dauerhaft ins All hinaus zu bewegen. Wie die Chancen dafür stehen? Hmm...

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