17. November 2018 1 Likes

Krieg der Knochenjäger

Zwischen ‚Wild West‘-Abenteuer und Dinomania: Michael Crichtons „Dragon Teeth“

Lesezeit: 4 min.

In diesem Monat jährte sich Michael Crichtons Todestag zum zehnten Mal. Mit gerade einmal 66 Jahren verstarb 2008 der Schriftsteller, der durch seinen „Jurassic Park“ das Dinosaurierbild einer ganzen Generation geprägt hat. Doch Crichton war mehr als nur ein weiterer dinoverrückter Schriftsteller. Er war ein fantastischer Geschichtenerzähler mit einem untrüglichen Gespür für raffinierte technische Entwicklungen und spannende historische Stoffe. Das zeigen auch seine Romane, die posthum veröffentlicht wurden. Nach „Gold – Pirate Latitudes“ (2009) und „Micro“ (2011) erschien nun ein Roman, den Crichton bereits in den 1970ern verfasste und der zeigt, dass ihn seine Faszination für Dinosaurier sein ganzes Schriftstellerleben über begleitet hat. In „Dragon Teeth. Wie alles begann“ begibt er sich auf eine fiktive Reise zu einem ganz realen Konflikt: den legendären „Bone Wars“.

New Haven, 1875. William Johnson ist der älteste Sohn eines reichen Schiffsbauern aus Philadelphia und ein „Frischling“ an der Yale University. Wie das mit jungen Männern seines Schlags so ist, dauert es nicht lange, bis er seine Nemesis gefunden hat: Harold Hannibal Marlin. Marlin zieht William damit auf, dass dieser noch nie im Westen gewesen sei und keine Ahnung davon habe, wie wichtig das Land jenseits der Küsten für die Entwicklung der USA sei. Um sich und Marlin das Gegenteil zu beweisen, prahlt William damit, bereits die Reise in den Westen für den nächsten Sommer zu planen. Er schließe sich dem exzentrischen Paläontologen Othniel Charles Marsh an. William setzt alles daran, noch einen Platz unter Marshs studentischen Hilfskräften zu bekommen. Tatsächlich nimmt Marsh ihn auf, allerdings unter der Bedingung, er könne die Expedition als Fotograf begleiteten. Also lernt William in den folgenden Monaten die noch neue Kunst der Fotografie. Die Reise im Sommer 1876 steht jedoch unter keinem guten Stern. Marsh ist William gegenüber besonders skeptisch, kommt er doch aus derselben Stadt wie Marshs temperamentvoller Erzrivale Edward Drinker Cope. Hinzu kommen die Sioux-Kriege, die der Suche nach Fossilien ein schnelles Ende setzen könnten. Und so nimmt Williams Reise erst mit Marsh, dann mit Cope mehr als nur eine abenteuerliche Wendung.

Eines vorweg: „Dragon Teeth“ ist keine historisch korrekte Erzählung. Das war auch gar nicht Crichtons Intention. Stattdessen hat er einen spannenden ‚Wild West‘-Roman über einen ereignisreichen und alles andere als ruhmreichen Abschnitt der US-Geschichte geschrieben. Es ist eine Zeit, in der die Paläontologie noch in den Kinderschuhen steckte. Fossilien wurden von Teilen der Bevölkerung als Prüfung Gottes angesehen und Darwins Evolutionstheorie als Blasphemie. Während einige ihr Glück im Goldrausch suchten und die Eisenbahn immer mehr Gebiete erschloss, kämpfte das US-Militär gegen die Sioux. In diesem ganz realen historischen Kontext schickt Crichton Marsh und Cope, zwei der wohl schillerndsten Forscher ihrer Zeit, auf eine fiktive Suche nach Knochen.

Vorbild hierfür sind die vielen Geschichten, die Marshs und Copes Rivalität schon zu ihren Lebzeiten so populär und bekannt machten. Die einstigen Freunde wurden zu erbitterten Feinden, die ihre Ausgrabungen gegenseitig manipulierten und sabotierten, um die wissenschaftliche Reputation des jeweils Anderen zu zerstören. Obwohl beide zusammen über 120 Dinosaurierarten entdeckten und sich für ihre Berufung beinahe finanziell ruinierten, zerstörten sie auch schon mal Knochen, damit sie nicht dem jeweils Anderen in die Finger fielen. Wie viele bis heute unentdeckte Dinosaurier dieser Fehde zum Opfer fielen ist nicht bekannt (mehr über die „Knochenkriege“ können Sie u. a. in Bernhard Kegels „Ausgestorben um zu bleiben“ nachlesen).

Der (leider nur fiktive) William erlebt im Sommer 1876 nicht nur den Zwist zwischen den beiden US-Paläontologen. Er sieht auch einen ‚Wilden Westen‘, der sich wandelt. Ein kleines Dorf konnte eben noch ein Räubernest ohne Recht und Gesetz sein und ein paar Wochen später zur Boomtown werden. Begleitet wird die rasante Urbanisierung des Westens durch einem verheerenden Raubbau an der Natur, unstillbare Gier nach Gold und Ruhm, Rassismus gegenüber den Native Americans und Zerstörung der indigenen Lebensräume. Mittendrin dann ein paar dinoverrückte Abenteurer und legendäre Revolverhelden wie Wyatt und Morgan Earp.

Michael Crichtons „Dragon Teeth. Wie alles begann“ ist ein lesenswerter Ritt und rasanter Galopp durch den sich wandelnden ‚Wilden Westen‘ und ein beklemmender Blick auf eine nicht immer ruhmreiche Umbruchzeit. „Dragon Teeth“ zeigt die wissenschaftlichen Auswüchse der Dinomania und ist in vielerlei Hinsicht der Vorläufer von „Jurassic Park“. Es gibt keine schönere Art sich an Michael Crichton zu erinnern (und die Ur-Auführung von Steven Spielbergs Verfilmung vor 25 Jahren zu feiern!) als „Dragon Teeth“ zu lesen! Apropos Verfilmung: National Geographic macht aus dem neuen Crichton eine TV-Serie. Wenn die nur halb so gut ist wie der Roman, dürfte ihr der Kultstatus jetzt schon sicher sein.

Michael Crichton: Dragon Teeth. Wie alles begann • Aus dem Amerikanischen von Klaus Berr • Blessing Verlag, München 2018 • 320 Seiten • 22,00 €

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