15. Juni 2018

Der Dino im Hühnerstall

Bernhard Kegels „Ausgestorben um zu bleiben“ ist das paläontologische Buch, auf das alle gewartet haben

Lesezeit: 3 min.

Waren Sie schon in „Jurassic World: Das Gefallene Königreich“? Nein? Aber Sie haben den Trailer gesehen, oder? Dieses CGI-Feuerwerk, in dem die gegen ihren Willen wiederauferstandenen Dinosaurier auf der Isla Nublar vor dem endgültigen Exitus durch einen Vulkanausbruch gerettet werden sollen? Mit Sicherheit entsprechen T-Rex, Velociraptor, Triceratops und Co. aus dem Film Ihrer Vorstellung von einem Dinosaurier: ziemlich groß, ziemlich schwer, ziemlich laut – und vor allem – ziemlich stark beschuppt. Wie sollte es auch anders sein?

Der promovierte Biologe Bernhard Kegel (u. a. „Die Herrscher der Welt. Wie Mikroben unser Leben bestimmen“, „Tiere in der Stadt. Eine Naturgeschichte“) schließt mit seinem paläontologischen Werk „Ausgestorben, um zu bleiben. Dinosaurier und ihre Nachfahren“ so manche Wissenslücke um unser aller Lieblingsfilmmonster und räumt mit gleich mehreren Klischees auf. Er stellt schon in der Einleitung klar: unser Bild der Wesen, die vor Jahrmillionen auf der Erde wandelten, ist mehr von der (Pop-)Kultur als von der Wissenschaft geprägt. Davon ausgehend lädt Kegel seine Leser ein, mit ihm einen Streifzug durch die Entdeckungs- und Forschungsgeschichte der Dinosaurier zu machen. Dieser ist nicht nur äußerst lehrreich, sondern auch unterhaltsam geschrieben. „Ausgestorben, um zu bleiben“ ist ein kulturhistorischer Exkurs durch die vergangenen 180 Jahre – und eines der wenigen paläontologischen Fachbücher auf Deutsch, das sich an ein erwachsenes Publikum richtet.

Auf 270 Seiten stellt Kegel in acht Kapiteln die zentralen Personen der Paläontologie vor, ohne die die Urzeitviecher weiterhin in Erdschichten auf ihre Entdeckung harren würden. Die junge Mary Anning entdeckte an der südenglischen Küste das Skelett eines Ichthyosaurus, keines Dinosauriers, sondern eines furchterregenden Meeresbewohners aus längst vergangener Zeit. Richard Owen taufte die an Land lebenden Tiere, deren Knochen wenig später entdeckt wurden, „Dinosaurier“ (deinos saurus = schreckliche Echse, oder besser gesagt, ein ehrfurchtgebietendes Getier). Es waren jedoch Künstler wie der Engländer Benjamin Waterhouse Hawkins oder der Amerikaner Charles R. Knight, die das Dinobild über Jahrzehnte prägen sollten – bis die Theorien und Vorstellungen von John Ostrom Einzug hielten in Steven Spielbergs „Jurassic Park“. Die Dinosaurier erlebten eine Renaissance.

Ausgehend von den einst als göttliche Prüfung wahrgenommenen Fossilien, entwickelte sich ein seriöser Forschungszweig, der damals wie auch heute die Massen anspricht und vor allem Kinder in seinen Bahn zieht. Kegels „Ausgestorben um zu bleiben“ zeigt, warum diese Faszination – mit wenigen Unterbrechungen – seit fast 180 Jahren anhält, und wie jeder neue Fund die als sicher geglaubten Erkenntnisse der Paläontologen auf den Kopf stellen kann. Apropos neue Funde: Vor wenigen Jahren sind Fossilien aufgetaucht, die eindeutig belegen, dass Dinosaurier federn trugen. Die Verwandtschaft zwischen unseren heutigen Vögeln und Tyrannosaurus Rex scheint nicht mehr so abwegig wie einst gedacht. Bis der König der Raubsaurier im Federkleid über die Leinwand trabt, dürfte aber noch einige Zeit vergehen. Eins ist jedoch sicher: Nach der Lektüre sehen Sie nicht nur die Leinwanddinos mit ganz anderen Augen, sondern auch die Hühner im Stall, die Spatzen in der Stadt und die Blaumeisen im Garten.

Bernhard Kegel: Ausgestorben, um zu bleiben. Dinosaurier und ihre Nachfahren • DuMont Buchverlag, Köln 2018 • 270 Seiten • 22,00 €

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