23. April 2020 1 Likes

Barbarischer Berserker auf Zeitreise

Der Comic „Berserker Unbound“ von Jeff Lemire und Mike Deodato Jr.

Lesezeit: 3 min.

Der Kanadier Jeff Lemire („Black Hammer“, „Sweet Tooth“) und der Brasilianer Mike Deodato Jr. („Avengers“, „Spider-Man“) sind zweifellos zwei internationale Schwergewichte des Heldencomics. Nachdem sie als Autor-Zeichner-Gespann für Marvel vor einiger Zeit eine ziemlich coole „Thanos“-Saga inszenierten, haben sie sich nun für ihren ersten eigenständigen, unabhängigen Titel „Berserker Unbound“ zusammengetan, der bei Splitter als Komplettband auf Deutsch erschienen ist.

Nach einem Jahr voller Abenteuer in den Königreichen des Nebels kehrt der barbarische Bastardkönig, den sie alle nur Berserker nennen und als mächtigsten aller Krieger fürchten, in seine Heimat in der Ödnis zurück. Doch seine Frau und seine kleine Tochter wurden von den Kriegern eines Hexenmeisters ermordet. Der Berseker stellt sich den Übeltätern, wird verwundet und flüchtet in eine Höhle, wo er durch einen mysteriösen Nexus in das gegenwärtige New York unserer Welt gelangt. Obwohl sie einander nicht verstehen, kümmert sich ein älterer Obdachloser am Rand der modernen Großstadt, der auch etwas verloren hat, um den verletzten Berserker. Sie ziehen außerdem gemeinsam los, um in einer Suppenküche zu essen und Alkohol zu kaufen. Der dämonische Magier und seine Meute sind dem Krieger allerdings noch immer auf den Fersen …

Jeff Lemire, der Alleskönner und Tausendsassa des zeitgenössischen englischsprachigen Comics, legt mit „Berserker Unbound“ ein neues Einzelwerk vor, das auf den ersten Blick ein wenig aus der Zeit gefallen wirkt … klar, der trashige erste „Masters of the Universe“-Film, „Catweazle“ und „Les Visiteurs“ liegen nun alle schon ein paar Jahrzehnte zurück. Dennoch bietet die Reise von Lemires axt- und schwertschwingendem Barbaren durch Zeit und Raum solide Fantasy-Unterhaltung – und in Zeiten der Corona-Krise ist leicht bekömmlicher, einfach weg zu lesender Stoff zur Weltenflucht jetzt kein Nachteil und tiefsinnigen Stoffen gegenüber eher im Vorteil. Dass Lemire trotz des einen US-Covers mit dem Titelhelden im Großstadtverkehr kaum anachronistische Konfrontationen in seine Story einbaut, mag indes nach vertanen Chancen klingen, erspart dem Berseker jedoch andererseits zu viele Persiflagen und Peinlichkeiten.


Was wäre, wenn der Barbar heute auf Erden wandeln würde? – 1979

Vor „Berseker Unbound“ verabschiedete sich Fanliebling Mike Deodato Jr. mit „Savage Avengers“ um Conan, Wolverine, Elektra und den Punisher einstweilen von Marvel. Natürlich wäre es schön gewesen, Deodato samt Lemire vorher noch an einer offiziellen, klassischeren Conan-Geschichte aus dem Haus der Ideen zu sehen, wo Robert E. Howards berühmter Barbar seit 2019 wieder ein Zuhause gefunden hat. Aber man nimmt auch diese Liebeserklärung an die barbarischen Recken der Fantasy gerne mit, auf deren Bebilderung Deodato unübersehbar große Lust hatte, selbst wenn seine experimentell anmutenden Spielereien mit dem Seitenraster wieder ein paar Mal übers Ziel hinausschießen. Nichtsdestotrotz ist der erfahrene Brasilianer der perfekte Künstler für diese Art von Barbaren-Action, wie besonders das erste und das letzte der vier Kapitel im Band beweisen. Und wieder kommt man nicht umhin und muss an die gewissermaßen ausgeschlagene klassische Conan-Story von Deodato und Lemire denken, die nicht sein sollte. Es sagt einiges über ihr Selbstvertrauen und Selbstverständnis, der eigenen Schöpfung den Vorzug vor dem Cimmerier zu geben.

Der wurde übrigens bereits im Februar 1979 im US-Heft „What if Conan the Barbarian Walked The Earth Today?“ von Roy Thomas und John Buscema bei Marvel ins „moderne“ New York gerissen – und durfte damals sogar Taxi fahren. Für alle, die diese Story immer in nostalgischer Erinnerung behalten haben, für die vielen Fans von Deodato Jr., für Sword-and-Sorcery-Spezialisten, für Conan-Cracks und für Barbaren-Befürworter stellt „Berserker Unbound“ keine epische Schlacht, aber ein kurzweiliges Scharmützel dar, bei Zamons Bart!

Jeff Lemire & Mike Deodato Jr.: Berserker Unbound • Splitter, Bielefeld 2020 • 136 Seiten • Hardcover: 19,80 Euro

 

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