23. August 2020 2 Likes

„Infidel“ - Rassismus im modernen Geisterhaus

Ein gesellschaftlich relevanter Spuk-Comic von Pornsak Pichetshote & Aaron Campbell

Lesezeit: 3 min.

Rassismus ist kein verstaubter Geist der Vergangenheit, sondern ein Monster der Gegenwart. Und obwohl die klassische Spukhausgeschichte eher mit der fantastischen Genre-Historie verknüpft wird, beweisen Autor Pornsak Pichetshote und Zeichner Aaron Campbell in ihrem eigenständigen, abgeschlossenen Comic „Infidel“, dass Rassismus und Geister unter demselben verspukten Dach eine starke aktuelle Kombination sein können.

Der moderne Ansatz für ihr Geisterhaus fängt schon mit dem Gemäuer an. Denn das Spukhaus in „Infidel“, dessen deutschsprachiger Komplettband bei Splitter vorliegt, kommt nicht als verfluchte alte Villa am Stadtrand oder als heimgesuchtes Herrenhaus auf dem Land daher. Stattdessen geht es um ein Mietshaus mitten in der amerikanischen Großstadt – in dem vor Kurzem die Lagerbestände eines Bombenbauers in die Luft gingen und ein Stockwerk verwüsteten. Aisha, ihr Freund Tom und dessen Tochter Kris wohnen praktisch noch inmitten der Baustelle nach der Explosion, in der mehrere Menschen starben. Seit die Drei im Haus bei Toms Mutter einzogen, hat Aisha schreckliche Albträume und sieht monströse Phantome. Doch nicht bloß die Wesen, die womöglich aus einer anderen Dimension stammen, vielleicht aber auch einen ganz anderen Ursprung haben, sind hässlich und verletzend. Dasselbe gilt für den Rassismus und die Vorurteile aus allen Richtungen, den vor allem, jedoch nicht exklusiv die junge Muslimin Aisha zu spüren bekommt – von Toms Mom, von ihren Nachbarn, selbst von Freunden oder der eigenen Mutter. Bei so vielen negativen Brandherden lässt die nächste Explosion aus Gewalt und Leid nicht lange auf sich warten…

Der thailändisch-amerikanische Comic-Macher Pornsak Pichetshote weiß, was gute Bildergeschichten ausmacht. Schließlich war er unter der großen Karen Berger Redakteur bei DCs legendärem Vertigo-Label, wo er Titel wie „Sandman“, „Swamp Thing“, „The Losers“, „Daytripper“, „The Unwritten“ und „Sweet Tooth“ betreute, ehe er Geoff Johns dabei half, die TV-Inkarnationen der DC-Superhelden zu lenken. Während Pichetshote obendrein Episoden für Fernsehserien wie „Marvel’s Cloak and Dagger“ und „Leicht wie eine Feder“ verfasste, veröffentlicht er inzwischen mehr und mehr eigene Comics – zuletzt u. a. eine Kurzgeschichte mit Dr. Strange und vor allem eben „Infidel“ als unabhängiges Creator Owned-Projekt beim US-Publisher Image zwischen „Ascender“ und „The Walking Dead“. In seiner beeindruckend bis erschreckend zeitgemäßen Spukhausgeschichte versteht Pichetshote es vorzüglich, echte Menschen, übersinnliche Wesen, schaurig-schöne Genre-Traditionen und gegenwärtigen Rassismus zu verweben. Seine Figuren und ihre Fremdenfeindlichkeit sind plausibel und wirklichkeitsnah, wobei der Rassismus bei Pichetshote nicht das Exklusivrecht von Verschwörungstheoretikern und Extremisten ist, sondern überall zu finden, in verschiedenen Abstufungen und Ausformungen.

Die Visualisierung all dieser Komponenten und Schreckensgespenster durch Zeichner Aaron Campbell, der z. B. „The Shadow“ von Garth Ennis, „Green Hornet“ von Matt Wagner, „James Bond: Felix Leiter“ von Jamens Robinson und „Hellblazer“ von Si Spurrier illustrierte, kommt ebenfalls sehr ansprechend daher. Campbells Strich und Seitenführung erinnern an Denys Cowan, Scott Hampton und Andrea Sorrentino; und wann immer ein Geist ins Spiel kommt, fühlt man sich von den Collagen-Effekten her an Bill Sienkiewicz und Ben Templesmith erinnert. Die Story zeigt sich äußerst ausgewogen, was ihre Elemente und die Schockeffekte angeht, und Campbell ist seinerseits jederzeit zur Stelle: Beim Emotionalen, beim Zwischenmenschlichen sowie beim übernatürlichen Grauen.

So wird „Infidel“ – was übersetzt Ungläubig/e bedeutet – trotz des schwierigen, konfliktbeladenen Reizthemas Rassismus zu einem handwerklich makellosen, thematisch wichtigen Comic für die Post-Nine-Eleven-Welt und die Ära Trump. Im Hardcover-Sammelband finden sich noch ein Vorwort der Horror-Expertin Tananarive Due, ein Nachwort von Jeff „Sweet Tooth“ Lemire und ein paar Extras, etwa die Evolution des Covers oder der Original-Pitch, mittels dessen Pichetshote, Campbell und Kolorist/Redakteur José Villarrubia (ein weiterer Könner seines Fachs, der z. B. an „Sweet Tooth“ mitwirkte und Neuausgaben älterer Bücher Alan Moores illustrierte) Image von ihrer Idee überzeugten. Und nicht bloß Image: Nach zwei von fünf US-Heften waren die Filmrechte verkauft.

Zurecht: „Infidel“ ist eine tolle Erinnerung daran, wie gesellschaftlich relevant und trotz allem unterhaltsam Genre-Comics mit klassischem Fundament sein können.

Das eine Geisterhaus, das man 2020 unbedingt betreten sollte.

Abbildungen: Infidel © Pornsak Pichetshote & Aaron Campbell

Pornsak Pichetshote, Aaron Campbell: Infidel • Splitter, Bielefeld 2020 • 168 Seiten • Hardcover: 24 Euro

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